Meine liebste Serienfigur - Al Swearengen aus Deadwood

18.04.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Here's to you, Al: Ian McShane als Saloonbesitzer Swearengen in Deadwood
HBO
Here's to you, Al: Ian McShane als Saloonbesitzer Swearengen in Deadwood
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Nomen est omen, wussten schon die alten Cowboys. Im Serienmonat April verschlägt es mich auf einen Whiskey in den Saloon des fluchenden Al Swearengen aus Deadwood. Eine Huldigung.

"Welcome to fucking Deadwood." Kaum eine Serie ist mir so in Erinnerung geblieben wie die mit acht Emmys ausgezeichnete Geschichtsstunde von HBO. Das schlammbesudelte Historiendrama über die titelgebende Goldgräbergemeinde und ihre Bewohner ist nicht nur eine packende Parabel über die Entstehung der Vereinigten Staaten, sondern wartet zudem mit unvergesslichen Figuren auf, allen voran Saloonbesitzer Al Swearengen (gespielt von Ian McShane).

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Obwohl sie nur drei Staffeln im hart umkämpften Grenzgebiet massentauglicher TV-Kunst überlebt hat, wird Deadwood auch heute noch von vielen als eine der besten Serien aller Zeiten gehandelt. Das ist nicht zuletzt der filigranen Sprache zu verdanken, die den Vergleich mit literarischen Vorbildern keineswegs zu scheuen braucht. Metaphern so glasklar wie bei Goethe, Dialoge so scharfsinnig wie bei Shakespeare - Sprache wie diese ist ein Segen für die oftmals so belanglose Logorrhoe serieller Abendunterhaltung.

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Die Sprache von Deadwood ist eben so erbarmungslos wie ihre Bewohner. Laut dieser Fanseite  zum Beispiel fällt das Wort "fuck" in den 36 Folgen der drei Staffeln insgesamt 2980 Mal - mit einer Rate von 1,56 FMs (fucks per minute). Wie schon am Namen ersichtlich, ist Swearengen selbstverständlich der unverblümte Rekordhalter dieser profanen Tiraden.

Doch Swearengen ist weit mehr als ein plumper Wüterich, der in Deadwood lediglich die Rolle des Antagonisten übernimmt, um am Ende vom gesetzestreuen Sheriff zur Strecke gebracht zu werden. Im Zwiegespräch mit Saubermann Seth Bullock (Timothy Olyphant) entlarvt sich Swearengen als schlagfertiger Redner, der mit einem unerschöpflichen Repertoire aus wüsten Beschimpfungen zu gefallen weiß und damit zugleich eine ganz bestimmte politische Agenda zum Ausdruck bringt. Denn unseren raubeinigen Al könnte man auch als den Macchiavelli des Wilden Westens bezeichnen. Die Figur basiert auf der geschichtlich verbürgten Gestalt Ellis Albert "Al" Swearengen , der als Betreiber des berüchtigten Gem Theater in allerlei krumme Machenschaften verstrickt war, was ihm letztlich zum tödlichen Verhängnis wurde. Dieser Vorlage erweist die Serienfigur durch Prostitution, Drogenhandel und Glücksspiel alle Ehre. Swearengen ist ein amoralischer Bastard, der auch vor Gewalt gegen Frauen nicht zurückschreckt und keine Skrupel hat, seine Gegner mithilfe seiner ihm ängstlich ergebenen Handlanger ermorden zu lassen. Allerdings setzt er seine ihm offenbar in die Wiege gelegte Hinterlist letztlich zum Wohle der Allgemeinheit ein - wenn auch aus eigennützigen Motiven.

Al Swearengen und Seth Bullock geraten in Deadwood nicht nur verbal aneinander

Egal worüber Swearengen und Bullock reden, jederzeit scheinen sie bereit, einander an die Gurgel zu fahren. Jedes ihrer Worte kommt einer rhetorischen Sprengladung gleich. Doch um das Überleben von Deadwoods Bewohnern zu sichern, müssen sich die beiden auf Gedeih und Verderb zusammenraufen. Wenn Bullock für die natürliche Utopie eines John Locke steht, ist Swearengen ein Anhänger von Thomas Hobbes, der den Menschen im ständigen Kampf mit seinen Artgenossen sah. Bullock steht für die spontane und organische Entwicklung von gesellschaftlicher Ordnung, während Swearengens politisches Ideal eine autoritär geführte Tyrannei ist, die auf der Unterdrückung des Schwächeren beruht. Zwar sind sie Spiegelbilder voneinander, verfolgen aber letztlich dasselbe Ziel.

Swearengen handelt stets gemäß seiner rohen Instinkte, doch so diabolisch diese Seite des Menschen auch sein mag, die er verkörpert, ist auch er zu Taten von enormer Güte fähig. Das macht es schwer, ihm seine Menschlichkeit abzusprechen. Sein Charisma obendrein macht es schwer, ihn zu verachten. Im Wechselspiel mit seiner behinderten Putzfrau Jewell zeigt sich, dass er im Grunde ein sehr empfindsamer Mensch ist. Allerdings ist es ihm egal, ob er als gut oder schlecht wahrgenommen wird. Solche Unterscheidungen haben in der amoralischen Welt, die uns mit Deadwood präsentiert wird, ohnehin jegliche Bedeutung verloren.

Pain or damage don't end the world. Or despair, or beatings. The world ends when you're dead. Until then, you got more punishment in store. Stand it like a man, and give some back.

Mit Sätzen wie diesen beweist Al Swearengen, dass er Philosoph und Poet in Personalunion ist.


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