mitcharts auf dem Filmfest München - Teil 1

04.07.2012 - 08:55 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Großes Kino in Bayern
Filmfest München
Großes Kino in Bayern
9
37
In der bayerischen Landeshauptstadt tobt derzeit der Bär, denn das Filmfest zieht Leute von überallher an. Auch moviepilot-User mitcharts ist dort und lässt uns freundlicherweise an seinen filmischen Entdeckungen teilhaben.

Jetzt ist die Katze aus dem Sack! Diese und nächste Woche dreht sich in der Speakers’ Corner alles rund um das Filmfest München. Na ja, eigentlich mehr um die Filme, die ich mir dieses Jahr anschaue bzw. angeschaut habe. Und da das 30. Filmfest letzten Freitag von Raccoon schon vorgestellt wurde, werde ich das an dieser Stelle nicht noch einmal machen, sondern lediglich auf das diesjährige Programm hinweisen. So bekommt der ein oder andere vielleicht einen besseren Überblick über die hier vorgestellten Filme und kann sich auch über die anderen Filme informieren, die dieses Jahr gezeigt werden.

Nun denn, ich will auch gar nicht länger um den heißen Brei herum reden, sonst wird der Text noch länger ohne zum Eigentlichen zu kommen, nämlich den Filmen. Also los:

Tag 1: Zeitzeugen und Zeitreisen

Der erste Tag begann für mich mit Roman Polanski: A Film Memoir, einem Film, in dem Polanskis langjähriger Freund und Produzent Andrew Braunsberg ihn mit Dokumentarfilmer Laurent Bouzereau während seinem Hausarrest 2009 besucht und mit ihm über sein Leben gesprochen hat. Dabei herausgekommen ist ein sehr persönliches Interview, welches einen Einblick in Polanskis Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und in sein Schaffen als Regisseur gibt. Für Fans von Roman Polanski ein Muss und für die, die sich generell mit Regisseuren auseinander setzen wollen durchaus empfehlenswert.

Von Zeitzeugen geht es zu Zeitreisen, denn in Journey of Love dreht sich alles um eine kuriose Anzeige (“Wanted: Somebody to go back in time with me. This is not a joke. You’ll get paid after we get back. Must bring your own weapons. I have only done this once before. Safety not guaranteed.”), die von einem Magazin in Seattle für die nächste Story herhalten muss und die drei Angestellten auf eine unerwartete Reise schickt.
Auch wenn die Geschichte hier und da kleine Schwächen hat und zum Ende hin – für den ein oder anderen – vielleicht etwas kitschig anmuten mag, so ist Journey of Love dennoch eine liebenswerte Independentproduktion mit einer tollen Regie, einem gut aufgelegtem Cast (inkl. Überraschung), einer ungewöhnlich transportierten Botschaft und einem Ende, welches für angeregte Diskussionen sorgen wird.

Tag 2: Reinkarnation, Redner und Korruption

Der zweite Tag startete ganz im Zeichen von Tarr und Tarkowski. Das Regiedebüt Southwest von Eduardo Nunes erzählt die Geschichte von Clarice, die ihr komplettes Leben innerhalb eines Tages in einem magisch anmutenden Dorf irgendwo in Brasilien durchlebt. In Verbindung mit seiner entschleunigten Inszenierung (die Tarr-/Tarkowski-Anleihen sind eindeutig erkennbar), seiner großartigen S/W-Optik und dem sehr experimentellen Seitenverhältnis von 3.66:1, ist Southwest zum einen als Allegorie auf die Vergänglichkeit des Lebens und unserer Unfähigkeit es in seiner Gesamtheit zu erfassen, zu verstehen und zum anderen ein wahrlich ungewöhnlicher Film, der vor allem Freunde des visuellen Kinos ansprechen wird.

The Orator war in vielerlei Hinsicht ein Debüt, zum einen ist es das Spielfilmdebüt von Tusi Tamasese und zum anderen das „Kinodebüt“ Samoas. In diesem geht es um den kleinwüchsigen Saili, der trotz einer ihn liebenden Ehefrau mit sich und seiner Umwelt zu kämpfen hat und auf Grund eines schweren Schicksalsschlages über sich selbst hinaus wachsen muss, um sein Ziel zu erreichen.
Das Besondere an dem Film ist die starke Einbindung Samoas, um die Geschichte zu erzählen und ihr – und damit auch dem Film – einen ganz eigenen Charakter zu verpassen. Landschaft, Kultur, Sprache, Traditionen, Leute, alles spielt eine gewisse Rolle. Zusammen mit der sauberen und ruhigen Inszenierung und seinen authentischen Laiendarstellern, ist The Orator ein wunderbarer und gelungener Beitrag des samoanischen Kinos auf internationalem Parkett.

Zu guter Letzt, ging es gleich im Anschluss – sprich raus aus dem einen und gleich rein in das andere Kino – mit Rampart – Cop außer Kontrolle weiter. Rampart – Cop außer Kontrolle ist Oren Moverman s zweiter Film und zweite Zusammenarbeit mit Woody Harrelson, welcher trotz seiner Geschichte eines korrupten Polizisten aus L.A. während des Rampart-Skandals und dem durchaus sehenswerten Cast – Harrelson trägt den Film quasi alleine und ist definitiv kein Sympathieträger – , nicht auf ganzer Linie überzeugen kann, da er größtenteils recht ziellos wirkt. Was schade ist, da Movermans Debüt The Messenger – Die letzte Nachricht wirklich überzeugen konnte.

Rampart – Cop außer Kontrolle war aber nicht die einzige Enttäuschung; das Filmfest hatte an diesem Tag auch ein Publikumsgespräch mit Nicolas Winding Refn in der Black Box im Münchner Gasteig veranstaltet und bekannt gegeben wurde das erst ca. eine Stunde vor Beginn per Facebook. Was soll’n das?
Ich hege ja die Hoffnung, dass es nach einer der drei Pusher-Vorstellungen, noch eine Q&A-Runde geben wird – Refn ist ja auf Grund der Hommage an ihn in München.

Tag 3: Sex, Ungeheuer und Selbstjustiz

„Sexualität als Surrogat, als Pflaster für emotionale Vernachlässigung“, als Bestätigung der eigenen Person oder einfach um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern, das ist das zentrale Thema von Christian Klandt s zweitem Spielfilm Little Thirteen – welcher gleichzeitig auch sein Abschlussfilm und in einem quasi-dokumentarischem Stil gehalten ist.
Sarah ist 13 Jahre alt und hat schon mit mehr Jungen geschlafen als ihre Mutter mit Männern, bis sie im Internet auf den 18-jährigen Lukas stößt und plötzlich eine Sehnsucht für eine richtigen Beziehung entwickelt. Vieles deutet allerdings darauf hin, dass das zum Scheitern verurteilt ist.
Trotz der doch wichtigen Thematik, dem Versuch das Thema auch auf andere Gesellschaftsschichten auszuweiten, seiner ungeschönten Darstellung und dem Cast, tritt der Film mehr oder weniger auf der Stelle und wodurch der vom Regisseur gewünschte Effekt verblasst und keinerlei neue Akzente für ein Vorankommen zur Bewältigung des Themas setzt.

Nach Little Thirteen war es dann auch endlich soweit, mein am meisten erwarteter Film des Filmfests lief: Beasts of the Southern Wild.
Benh Zeitlin s Geschichte von Hushpuppy, die in einer von der Außenwelt quasi abgeschnitten Bayou-Gemeinschaft mit ihrem Vater lebt und sich auf Grund eines Vorfalls allerlei Gefahren ausgesetzt sieht, könnte in ihrem Kern konventioneller nicht sein und dennoch ist sie etwas ganz besonders, da sie auf eine fast schon märchenhafte Weise erzählt wird, entspringt doch vieles der kindlichen Vorstellungskraft von Hushpuppy selbst. Zuweilen könnte man auch meinen, es wäre Poesie in Bildform – bis auf die stellenweise schreckliche Wackelkamera, dafür gehört der Kameramann verhaftet. Unterstrichen wird das Ganze noch von der achtjährigen Hauptdarstellerin, die eine unglaubliche Ausstrahlung hat und eine fulminante schauspielerische Leistung liefert.
Beasts of the Southern Wild ist nicht umsonst die am meisten gefeierte Independentproduktion des Jahres bis dato und gen Ende hätte ich sogar beinahe Pipi in den Augen gehabt.

Obgleich die Geschichte des letzten Films an diesem Tag für deutlich mehr Action, Spannung etc. sorgen könnte, so ging es in Ren shan ren haii sehr ruhig zu.
Der Film begleitet Lao Tie auf der Suche nach dem Mörder seines Bruders. Bei dieser Menschenjagd, gerät Lao Tie immer mehr an seine persönlichen Grenzen und wird von seinem inneren Schmerz und seiner inneren Wut überwältigt, was in einem letzten selbstzerstörerischen Akt endet.
Ren shan ren haii besticht vor allem durch seine stilsichere, realitätsnahe und künstlerisch ambitionierte Inszenierung, hat aber das Problem, dass er stellenweise einfach zu zusammenhangslos und – konträr zu seiner Inszenierung – etwas lustlos bzw. langweilig wirkt, was dem Film leider nicht zu Gute kommt, da er sonst ein richtig gutes Drama hätte werden können.

Tag 4: Geister, Separatisten und Schweine

Ich muss zugeben, ich kenne Coppolas jüngste Werke wie z.B. Tetro nicht und bin vollkommen jungfräulich in Twixt gegangen. Was ich zu sehen bekam war, ja, insgesamt merkwürdig. Francis Ford Coppola selbst sagt, dass Twixt auf einem ungeklärten Traum basiert, den er irgendwann in Instanbul hatte, als er betrunken war. Hinzu kommt der autobiographische Teil des Films, in dem Coppola den Tod seines Sohnes verarbeitet. Und dargereicht wird das dem geneigten Zuschauer mit einer zu anfangs stark generischen Geschichte: Ein abgehalfterter Autor einer Buchreihe über Hexen, kommt während seiner Buchsignierungstour in ein verschlafenes kleines Nest (mit einem Glockenturm mit sieben Uhren), welches ein dunkles Geheimnis hütet.
Francis Ford Coppola hatte mit seinem Mix aus „gothic romance“, Horrorwestern, Autobiographie, Philosophiegeschwurbel und visuellen Spielereien sichtlich Spaß und schickt sein Publikum auf einen sehr merkwürdigen Filmtrip, der trotz alledem auch dem geneigten Zuschauen (aber mehr dem Coppola-Fan) Spaß bereitet.

Wesentlich ernster und vor allem politisch engagierter ging es bei Rebellion zu, dem neuen Film von und mit Mathieu Kassovitz (in der Rolle des Phillipe Legorjus), in welchem er die Geschehnisse in Ouvea im Jahr 1988 kurz vor der Präsidentschaftswahl verarbeitet.
Wenn man den zum Film vorhandenen Informationen vertrauen schenken kann, dann hat sich die Realisierung dieses Filmes für Kassovitz als äußerst schwierig herausgestellt, da er auch auf Grund der Thematik viele Jahre für diese gekämpft hat und das in vielerlei Hinsicht. Die Mühe hat sich aber gelohnt, denn Kassovitz schafft es mit Rebellion ein für Nichtfranzosen recht unbekanntes Kapitel der jüngeren französischen Geschichte auf ungeschönte Weise und gänzlich frei von Pathos und Glorifizierung zu erzählen. Politische Dokumentation in Spielfilmform, auf einem wirklich hohen Niveau.

Politisch, aber dieses Mal auf eine wesentlich heitere Art, ging es auch im letzten Film des Tages, Das Schwein von Gaza von Sylvain Estibal, zu.
Was verachten sowohl Muslime als auch Juden? Richtig, Schweine. Schweine sind sowohl im Islam als auch im Judentum unreine und sündige Tiere. Aber eben dieses Tier ist der Dreh- und Angelpunkt in diesem Film. Jafaar ist ein Fischer aus Gaza und hat eines Tages ein Schwein in seinem Netz und will es auf Grund seiner Religion auf irgend eine Art und Weise loswerden, was ihm jedoch nicht gelingt und ihn in allerlei Schwierigkeiten bringt.
Das Schwein von Gaza ist eine hintersinnige Tragikomödie mit Herz und zeigt wie einfach doch die Völkerverständigung und das Überschreiten von territorialen und religiösen Grenzen ist. Er ist zu Recht ein Publikumsliebling in Frankreich und Gewinner des Cesar für den besten Erstlingsfilm geworden. Aber um letztlich wirklich etwas bewegen zu können, bedarf es mehr solcher Filme, viel mehr Publikum und vor allem mehr Herz und Verstand in der Bevölkerung um die im Film angesprochenen und ähnliche Probleme lösen zu können.

Wer es bis hier hin geschafft hat: Respekt und vielen Dank für das Durchhaltevermögen. Nächste Woche werdet ihr es noch einmal benötigen.

Damit war es das auch mit Teil 1 meines Filmfest-Resümees von mir für heute. Wir lesen uns dann hoffentlich nächste Woche bei Teil 2 wieder.


Dieser Text stammt von unserem User mitcharts. Wenn ihr die Moviepilot Speakers’ Corner auch nutzen möchtet, dann werft zuerst einen kurzen Blick auf die Regeln und schickt anschließend euren Text an ines[@]moviepilot.de

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News