Mitunter reicht ein einziger Tag

20.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Those flashes, when the universe makes sense...Ascot Elite Hom Entertainment/moviepilot
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Das Leben ist kurz, aber jede Woche, jeden Tag, jede Minute haben wir die Gelegenheit, alles zu tun, was wir schon immer tun wollten, tun sollten. Es bedarf keiner tödlichen Krankheit wie in One Week, um die Frage zu beantworten: Habt ihr alles getan?

An dieser Stelle präsentieren wir euch jede Woche einen ganz besonderen Kommentar, der irgendwo auf moviepilot hinterlassen wurde. Vielleicht nur ein paar Worte, vielleicht auch eine lange Geschichte. Vielleicht brandneu, vielleicht aber auch schon viele Jahre versteckt, unter einem Berg anderer Kommentare. Habt ihr schon mal so einen Kommentar erspäht? Seit von ihm zum Lachen, Weinen oder Nachdenken gebracht worden? Habt ihr euch dabei ertappt, wie ihr unbewusst zustimmend genickt habt und dachtet: "Genau so ist es..."? Dann sagt Kängufant Bescheid, denn das ist ein Kommentar, der an einem der kommenden Samstage hier erscheinen sollte!

Der Kommentar der Woche
So wie der Kommentar von Srics213, der uns anhand von One Week - Das Abenteuer seines Lebens daran erinnert, dass ein Film kein großer Hollywood-Meilenstein sein muss, um uns zum Nachdenken zu bringen. Und eventuell unser Leben ein kleines Bisschen zu ändern...

Als ich die Hände langsam vom Lenker meines Fahrrades nahm und freihändig fuhr, surrten nur noch die breiten Reifen und der rauschende wie laue Wind in meinen Ohren. Als ich wieder einlenkte und noch ein paar hundert Meter in die Pedale trat, war ich da. Es war schon spät, alle Lichter meines Elternhauses waren aus, ich lehnte mein Bike ins Carboard, lief durch den langen Garten zum selbst errichteten Blockhüttchen und schaute hoch in den klaren Himmel. Ich trat verpeilt ein, legte meinen Rucksack in eine Ecke, schürte das selbstgebastelte Yukonöfchen an - ein bisschen Birkenrinde und ein paar Scheite Holz liegen immer bereit - und stellte meine Dose Hühnersuppe drauf. Ein kleiner Anruf nach Hause, dass ich angekommen war folgte und nach der köstlichen Suppe glitt ich gegen irgendwann in Träume.

Wenn ich Fahrrad fahre, dann nur wenn es etwas kälter wird. Und so fuhr ich an einem Samstag letzten September gegen 18 Uhr los, genoss die Fahrt und den Sonnenuntergang um dann das zu tun, was ich immer tue - im Gartenhaus schlafen. Das Feuer ging langsam aus, die Kerze tänzelte in Schatten, alles roch nach geschälten Holzstämmen und dann kam irgendwann der Knall.

Es war noch dunkel und gefühlte drei Meter neben mir lief "I'm on fire" von Bruce Springsteen. LAUT. Ein Ruck aus dem Schlafsack und ein Blick durch die entrindete Tür lüfteten das Geheimnis. Mein Vater stand eine Laube weiter und richtete sein altes Motorrad her, während eigentlich noch alles dunkel war. Ich ging durchs klamme Gras zu ihm hin, stand nur in himmelblauer Unterhose und einem ProEvoSoccer T-Shirt da und wir beide lallten im Chor; "Was machst du denn hier?". Ein bisschen schräges Geschwätz folgte. Ich brappelte irgendwas wie "6 Uhr morgens, sogar der Mond leuchtet noch du Knallkopf, scheiße noch eins." In meiner morgendlichen Fröhlichkeit zitterte ich also Barfuß zum echten Steinhaus, haute die Kaffeemaschine an und kaute auf einem Pick Up herum. Als ich dann am Fenster stand und diesen fast fünfzig jährigen Mann, mit einer seit fünfzehn Jahren nicht gestarteten MZ aus den 70ern durch den Garten sausen sah, musste ich doch zufrieden schmunzeln.

Seit er vor Gott und dem Gesetzt ein Witwer ist, hat er schon so manchen Blödsinn und Leichtsinn vom Stapel gelassen - eine Art Post-Midlife-Krise - aber morgens um 6 die Nachbarschaft mit diesem herrlichen Krach zu ärgern...das beruhigte und belustigte mich unheimlich. Was für ein Spinner, lachte ich in mich hinein. Er driftete Minuten durch alte Maulwurfhügel und lächelte seit Wochen nicht mehr so enthusiastisch...schade, dass ich kein Foto schießen konnte.
Ich musste erst mal unter die Dusche und zwei Kaffee später fragte er mich, ob ich mit ihm eine Runde drehen wolle. Ich sagte immer noch völlig zerschossen und übermüdet; "Das letzte mal, als wir auf dem Ding saßen, ist fast 20 Jahre her und wir beide wiegen zusammen 180 kg" ...einige ironische und verhärtete Blicke später sagte ich... "...warum nicht."

Er tänzelte durchs Haus, packte irgendwelchen Plunder in einen Rucksack und wir setzten uns auf die Maschine. Was für ein Teil. Ungefilterte Kraft aus einem anderen Jahrtausend. Wir fuhren circa 30 Minuten über Stock, Stein, durch beinahe unwegsame Reifenrillen großer Traktoren und irgendwann kamen wir an einem heftigen Anstieg an. Wir stellten die blaue MZ ab und er sagte; "Hier geht es lang." Zwei Kilometer steil bergauf, drei Kilometer stur gerade aus und schon standen wir an einem Waldrand. Er lächelte mich an und sagte; "Das ist der Hohe Stein." "Ich sehe nur Bäume." knirschte ich entgegen. Wir gingen ein paar Meter und schon öffnete sich ein wirklich betörender Blick auf etliche Kilometer Land. Zig Dörfer und all die Wälder, die ich nur von unten kannte, lagen vor meinen blauen Augen.

Wir stiegen einen der steileren Felsen empor - die sehen alle aus wie 10 Meter hohe, zerdrückte Milchtüten - setzten uns und schauten in die Ferne. Glasklar, wunderschön, still. Er packte den Rucksack von meinem Rücken, holte geräucherten Lachs, zwei Brötchen, ein Messer und zwei Dosen Bier heraus. Wir blickten lange in die Ferne, dachten über die letzten Monate nach, schwiegen, aßen und schlürften in herrlichster Sonne ein Blondes. Irgendwann fing er an zu flüstern;

"Haben wir wirklich alles getan, was wir hätten tun können?" Mir stiegen sofort die Tränen in die Augen. Als ich nach rechts schaute, sah ich, wie eine leichte Träne seine Schläfen entlang wanderte. Zehn Meter über sicherem Boden und ich konnte fast nicht zuhören. "Du warst schon mal hier oben."...schlich sanft aus seinem Timbre. Ich blickte ihn ungläubig an und runzelte die Augen. "Vor dreißig Jahren war ich schon mal mit jemanden hier und du kamst 5 Monate später auf die Welt. Wir tranken eine kleine Flasche Sekt und blickten in die Weite, genau so wie heute. Hier oben ist immer noch alles so, wie ich es in meiner Erinnerung habe. Das Leben ist verdammt kurz..."

Ich nippte den letzten Schluck aus, biss in den letzten Happen meines Brötchens und meinte nur; "Das Leben ist aber auch nicht immer zu lang und wir beide würden nicht hier sitzen, hätten wir nicht alles getan..."

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One Week erzählt eine harte Facette der endlichen Existenz. Gut, der filmische Wert hält sich in engen Grenzen, der Off-Kommentar kann sich stilistisch nicht immer zwischen Humor und Ernst entscheiden und kommt in Deutsch um längen daneben. Aber der Gedanke an das eigene Leben und was man daraus - auch für sein liebendes Umfeld - macht, nun, das macht One Week wahnsinnig greif- und streitbar. Die Story über einen Todkranken, der nochmal leben will, bevor es vielleicht wirklich vorbei sein könnte, steckt voller starker Momente und wirkt nie zu weit hergeholt, wobei auch einige peinliche Momente das Bild fügen...wie das Leben halt so ist. Die Zweifler, die Liebenden und die Fragenden werden sich in diesem Film gleich unwohl wie wohlig fühlen. Denn wir fahren alle eines Tages in die selbe Grube - egal wer wir sind oder glauben zu sein - und dann möchten alle Verbliebenen einen Berg erklimmen und den guten Momenten sinnen.

One Day is enough... sometimes...

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

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