Museum - Ein unwiderstehlich verspielter Heist mit Gael García Bernal

22.02.2018 - 19:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Gael García Bernal in Museum
Distant Horizon
Gael García Bernal in Museum
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Gael García Bernal unternimmt einen der größten Museumseinbrüche der Geschichte im Berlinale-Beitrag Museum, ein Heist-Film getrieben von einer unwiderstehlichen kreativen Spielfreude.

Sechs Monate, so wurde hinterher bekannt, haben die Räuber den Einbruch geplant, der das Museum für Anthropologie in Mexiko-Stadt um einige der größten Kulturschätze des Landes brachte. Eine große Diebesbande wurde vermutet. Es mussten Experten aus Hehlerkreisen in Guatemala oder Kolumbien sein. Wer sonst sollte solch einen ausgeklügelten Coup landen? Zwei einfache Studenten genügten, wie Museum erzählt, in dem Gael García Bernal seinem auf der Stelle tretenden Leben die filmwürdige Größe verschaffen will. Bei der Berlinale 2018 hat es der mexikanische Heist-Film in den Wettbewerb geschafft, wohl auch weil er fast ebenso viele Elemente in sich vereint wie Maya- und Azteken-Werke in den Rucksäcken der Diebe landen: Familiendrama, Road Movie, Monumentalfilm, Auseinandersetzung mit der postkolonialen Erinnerungskultur und Meta-Stilübung. Seinem dominierenden Genre wird Museum jedenfalls gerecht mit einer der besten Heist-Sequenzen der letzten Jahre. Der Rest ist auch nicht übel.

Vom Langzeitstudenten zum Filmhelden

"Mesoamerikanisch" heiße es, korrigiert Juan (Gael García Bernal) den zwielichtigen Kunsthändler, der ihre Ware abnehmen soll, und nicht prähispanisch oder präkolumbisch. Juan legt Wert auf den Umstand, dass Christoph Columbus nicht das Jahr Null der amerikanischen Kulturen markierte. Juan erklärt kleinen Kindern auch, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. So einer ist er, ewiger Student der Veterinärmedizin, von dem schon längst nichts mehr erwartet wird, der aber trotzdem jedes Gespräch mit angelesenen Fakten aus den unterschiedlichsten Bereichen ersticken kann. Von der Familie wird er nur "der Kurze" genannt. Vermutlich treffen Körpergröße und Leistung in dem Kosenamen zusammen. Am Weihnachtsabend 1985 macht er sich mit seinem besten Freund Wilson (Leonardo Ortizgris) auf zu dem Museum. Mit 140 Stücken kommen sie wieder heraus und Juan ist ein anderer geworden, wie uns der Erzähler erklärt. Ein Filmheld zunächst einmal.

Museum

Unter majestätischen Orchesterklängen war Juan in das Museum eingebrochen, als kehre ein König in seinen Palast zurück. Bestens vorbereitet, werden die Schlösser geknackt. Eine Alarmanlage gibt es nicht. Das kulturelle Erbe Mexikos wird mit ein bisschen Glas und unterbesetzten Wächtern geschützt. Etwas komplizierter geht es an den Vitrinen zu. Nägel werden in die Ränder geschlagen, Drähte herumgewickelt, das Ganze mit Essigsäure versiegelt und eine Ladung Strom durchgejagt, bis der Rauch aufsteigt und die Vitrine sich lösen lässt. In der gefesselt beobachteten Sequenz blickt Michael Mann über die Schulter, bevor Regisseur und Co-Autor Alonso Ruizpalacios den nächsten Haken schlägt. Einem Diavortrag gleich, wechseln sich gespielte Standbilder von Juan und Wilson ab, wie sie - möglichst still haltend - Schmuck und Schalen der Könige in Händen tragen, ertappt in flagrante delicto. Und filmisch verewigt. Wenn der Kurze schon nichts Großes schaffen kann, dann sollte er es wenigstens stehlen.

Staatsfeind Nummer 1

Der Heist gelingt, schon bald liegen die Schätze in einer Truhe in Juans Elternhaus. Die Suche nach dem Hehler beginnt und somit das Road Movie, das Juans und Wilsons Freundschaft auf die Probe stellen und der Inszenierung ein noch größeres Spielfeld zum Austoben bieten wird. Auf mehreren Ebenen können wir Juans Tat verstehen. Als Versuch, die Werke von Maya und Azteken den Erben Hernán Cortés' zu entreißen. Ein demonstrativer Akt. Oder als Rekreation eben jenes Diebstahls nicht nur von Freiheit und Land, sondern der Kultur, der Erinnerung und eines Stückes Identität. Als Feinde des Landes werden die Diebe in den Medien nämlich gebrandmarkt, die Jagd nach ihnen als patriotische Pflicht verstanden. Auspeitschen sollte man sie in aller Öffentlichkeit, fordert Juans Vater entrüstet vor dem Fernseher, bevor der Sohn das Weite sucht.

Museum

Wahre Geschichten bevölkern das Programm der Berlinale. Ob in 7 Tage in Entebbe und 3 Tage in Quibéron, dem Schriftstellerfilm Dovlatov, dem neuen Gus van Sant oder der Nachstellung eines norwegischen Terroranschlags. Die Wahrheit wirkt bei den Filmen in Konkurrenz manches Mal wie eine Bärenfalle, Zeichen der Seriosität, aber auch kreativ erlahmend, etwa im Strandbesuch bei Romy Schneider (Marie Bäumer) in Quibéron. So ikonisch ist die Stern-Reportage, auf der der Film basiert, dass deren schwarz-weiße, melancholisch-verrauchte Ästhetik zum freiwillig aufgesuchten Käfig gerät. Hat ihr die Fotos gesehen, hat ihr den Film gesehen, so wenige Überraschungen gibt es (außer Charly Hübners Bürstenschnitt).

Weniger Wahrheit ist mehr

Museum bildet dahingehend eine willkommene Abwechslung, obwohl der Zweitling von Alonso Ruizpalacios den kreativen Energiestrom seiner Anfänge nicht durchweg aufrechterhalten kann. Eine Wundertüte von einem Heist-Film legt er hier vor, der seine stilistischen Spielereien aus dem mickrigen Größenwahn seiner Hauptfigur erklärt. Irgendwo in Juan hält sich ein Conquistador, ein heldenhafter Rebellenführer, ein Maya-Herrscher vom Formate Pakals versteckt, oder wenigstens dessen kleiner Zeh. Mit dem Raub tut er es ihnen gleich in diesen genial geplanten und perfekt ausgeführten 30 Minuten im Nationalmuseum für Anthropologie.

Ein kleiner Mann schreibt sich in Museum eine große Rolle, selbst wenn das bedeutet, die Realität müsse dafür in Filmform gebogen werden. Der Film hält mit, bereitet fleißig klassische Stationen des Genres vor und wenn die Wahrheit davon zu sehr abweicht, wird sie einfach zurückgelassen. Die Behörden haben Meister ihres Fachs im Verdacht, schätzen die Diebesbande auf 30 Mann. Womit sie nicht rechnen: Einem Langzeitstudenten, der endlich mal etwas bis zum Ende durchzieht.

Mehr: Alle Artikel zur Berlinale 2018 auf einen Blick

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