Mythos Filmfehler - im Zweifel für die Kunst

19.02.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Mythos Filmfehler
Walt Disney Pictures
Mythos Filmfehler
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Ein Filmfehler muss noch lange kein Filmfehler sein. Dennoch ist das Aufspüren sogenannter Goofs für manche vermeintliche Kinofreunde eine Art Unterhaltungsport. Nur sehen diese vor lauter Fehler-Sucherei eigentlich überhaupt nichts mehr.

Ist die Rede von Filmfehlern, so haben die meisten Menschen eine ziemlich genaue Vorstellung, was damit gemeint ist. Jeder weiß in etwa, worum es sich bei einem sogenannten Filmfehler handelt. Oder glaubt zumindest, es zu wissen. Wikipedia, die freie Enzyklopädie, scheint das vermeintliche Wesen eines Filmfehlers sogar gleich zu Beginn des entsprechenden Eintrags schon auf einen einzigen Satz herunter brechen zu können. Ein Satz, dem das ganze Unheil bereits eingeschrieben steht: Ein Filmfehler oder englisch Goof, heißt es da, sei ein kleines Detail in einem Film, das ungewollt in den Film geraten ist und – sofern es bemerkt wird – irritierend, störend oder belustigend wirkt. Aha! Ein ungewolltes Detail also. Ein Versäumnis der Filmemacher, die vermeintliche, aber diesbezüglich offenbar alles entscheidende Kohärenz sicherzustellen. Ungewollt, natürlich. Irgendwie „in den Film geraten“ halt. Und das Ergebnis, selbstverständlich nur „sofern es bemerkt wird“, ist dann total schräg, unfreiwillig komisch oder himmelschreiend lustig. Haha, sind die doof, die Verantwortlichen, dass die das nicht gemerkt haben! Lasst uns alle mal Filmfehler suchen! Ist zwar so ziemlich das überflüssigste, was es überhaupt nur gibt, aber sei’s drum: ein bisschen schlauer fühlen ist immer irgendwie cool.

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Hier bin ich Filmfehlerexperte, hier darf ich sein
Werden die vermeintlichen Filmfehler dann von besonders findigen Zuschauern erspäht, ist die Freude groß. Ich habe etwas gesehen, was nicht einmal die Hundertschaften der am Film beteiligten Menschen, der Regisseur und sein Cutter oder schlussendlich die Mitarbeiter der (digitalen) Postprojektion gesehen haben. Und im Publikum wird es wohl auch niemandem aufgefallen sein, also schreie ich gleich mal laut „Filmfehler!“ in die Runde. Oder, noch viel besser, ich gehe in das schnieke Internetz und poste meine neueste Entdeckung in Foren und Filmfehler-Communities (sic!). Da gibt es schließlich zahlreiche Anlaufstellen für Spezialisten wie mich, zum Beispiel Fehler im Film – wir sehen alles! – oder Die Seher, die selbsternannte Referenzseite für Filmfehler. Hier bin ich Filmfehlerexperte, hier darf ich sein. Und akribisch genau sämtliche Anschluss- bzw. Kontinuitätsfehler, „Logiklöcher“ und anderweitig von mir, dem Kenner, als falsch Erachtetes eintragen und nachschlagen. Zum kollektiven Eierschaukeln ob meiner und anderer Leute Scharfsinnigkeit, ob der glorreichen Offenbarungen vollkommen zweifelsfreier Schlampig- und Schludrigkeiten. Wenn ich damit fertig bin, und meine Hose vielleicht noch nicht nass genug ist, dann erstelle ich noch ein fesches YouTube-Video, bei dem ich die Filmfehlaaa!!! mit entsprechenden Ausschnitten und Screenshots bebildern und beweisen kann.

Mehr: Spoiler – großes Übel oder alberne Hysterie?

Goof des Jahrhunderts, LOL wie doof
Zum Beispiel Shutter Island, dieser angeblich unlogische, filmfehlerüberhäufte Psychothriller mit Leonardo DiCaprio. Da gibt es eine (unfassbar tolle) Verhörszene, in der Mark Ruffalo einer Frau ein Glas Wasser holen soll. Er stellt ebendieses deutlich sichtbar auf den Tisch, doch als die Frau zum Trinken ansetzt, greift sie mit leeren Händen um einen Gegenstand, der ganz offensichtlich nicht da ist. Sie trinkt dennoch genüsslich, dann folgt der Schnitt zum Tisch, auf dem das Glas nun wieder klar identifizierbar abgestellt wird. Die Exegeten des Filmfehler-Unsinns haben sich auf diese und anderen Szenen gestürzt wie Fliegen auf einen Haufen Kuhmist: Epic Fail, LOL wie doof, Goof des Jahrhunderts. Ich selbst habe in Internetforen – schon klar: wider besseres Wissen – mit einigermaßen kundigen Kinofreunden jahrelang darüber diskutieren müssen, ob die vermeintlichen Filmfehler von Shutter Island nun ein Zeugnis für Regieversagen oder – was ja nun wirklich offensichtlicher nicht sein könnte – schlicht intendierter, königlicher Jux sind. Und musste Überzeugungsarbeit leisten, dass derartig gezielte Irritationsmomente natürlich ganz hervorragend zu einem Film passen, in dem es um die Zuverlässigkeit des Erzählten wie Gezeigten, um Wahrnehmungsrisse, trügerische Identitäten und unklare Zeitebenen geht.

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