Nach Tarantino: Ad Astra mit Brad Pitt ist eine überwältigende Sci-Fi-Reise

30.08.2019 - 14:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Brad Pitt in Ad Astra
20th Century Fox
Brad Pitt in Ad Astra
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Nach Once Upon a Time in Hollywood muss Brad Pitt seinen Vater in den Tiefen des Alls suchen. In Venedig feierte Ad Astra Premiere und hier lest ihr einen ersten Eindruck.

Cool und kontrolliert ist Cliff Booth in Quentin Tarantinos Once Upon a Time ... in Hollywood. Selbst eine in LSD getränkte Zigarette hindert ihn nicht daran, Hundefutterdosen mit absoluter Genauigkeit im Ziel zu versenken. In Ad Astra - Zu den Sternen spielt Brad Pitt einen ähnlichen Typ Mensch. Sein Puls übersteigt nie 80 Schläge pro Minute, selbst als seine Kollegen sterben und er von der International Space Antenna in die Tiefe stürzt.

Cliff Booth und Roy McBride sind zwei Seiten einer Medaille mit dem Antlitz' Brad Pitts. Mal wollen wir insgeheim so sein wie er, mal wollen wir ihn geradewegs zum Psychotherapeuten schicken. Roy ist der Held des Science-Fiction-Films Ad Astra, der mit seinem Starttermin im Herbst Erinnerungen an andere Weltraum-Abenteuer weckt.

Von Gravity über Arrival zu Interstellar und Aufbruch zum Mond - es lassen sich einige Parallelen zu Ad Astra ausmachen. Dennoch ist der Film aus dem Wettbewerb von Venedig 2019 ein eigensinniges Werk geworden, an dem sich die Geister scheiden werden. Sollen sie doch.

Ad Astra ist eine überwältigende Kino-Erfahrung. James Gray nimmt uns mit auf eine alptraumhafte Entdeckungsreise zu Mond, Mars und darüber hinaus, in der das Weltall zur Leinwand der Gefühle wird, voller Schönheit und Horror. Außerdem gibt es in Ad Astra Mondpiraten. Mondpiraten!

Drei Dinge, die ihr über Ad Astra wissen solltet:

  • Hoyte Van Hoytema (Interstellar) ist als Kameramann an Bord und Max Richter (The Leftovers) komponiert die Musik.
  • Regisseur James Gray drehte zuvor Die versunkene Stadt Z und Helden der Nacht - We Own the Night.
  • In Ad Astra solltet ihr kein explosives Sci-Fi-Spektakel erwarten, eher ein Vater-Sohn-Drama, in dem plötzlich Mondpiraten auftauchen. (Man kann die Mondpiraten nicht oft genug erwähnen.)
  • Joker ist nur der Anfang: Die am meisten erwarteten Filme von Venedig 2019

Nach Once Upon a Time in Hollywood reist Brad Pitt ins All

Zugrunde liegt James Gray und Co-Autor Ethan Gross (Fringe) eine Vater-Sohn-Geschichte, die auf einen Bierdeckel passt. Oder auf die kleine Flagge an der Schulter der Astronauten der Spacecom, für die Brad Pitts Roy arbeitet. Der audiovisuelle Ausdruck dieser Geschichte nimmt indes unser Sonnensystem in Anspruch. Von der Erde, die von einer unerklärlichen Energie-Druckwelle erfasst wird, bis zum Neptun, der als ihr Ursprung vermutet wird.

Roy wird eine Top-Secret-Aufgabe erteilt. Er soll die letzte Mission seines Vaters Clifford (Tommy Lee Jones) verfolgen, die bis zum äußerten Planeten unseres Sonnensystems führte. Seitdem fehlt jede Spur. Glaubt zumindest Roy.

Ad Astra

Die Reise ins Herz der Weltraum-Finsternis wird für Roy zu seiner Auseinandersetzung mit seinem Vater. Der verließ die Familie zugunsten der Einsamkeit des Alls. Wie bei Joseph Conrad (und Apocalypse Now) werden die Umrisse des vermissten Helden und potenziellen Schurken für Roy zum Zerrspiegel seiner selbst. Wie viel von seinem Vater steckt in ihm und ist er diesem Teil hilflos ausgeliefert?

Damit reiht sich Ad Astra thematisch nahtlos in die herbstlichen Weltraum- und Sci-Fi-Blockbuster aus Hollywood ein. Die Fixierung dieser Filme auf die Sterne als (familien)therapeutische Koordinaten wirkt mit etwas Abstand bizarr. Wie viele Väter und Mütter müssen noch mit Aliens sprechen oder durch Zeit und Raum reisen, bevor die amerikanische Space-Familie harmonisch vorm Kamin kuscheln kann?

Andererseits: Wie soll man aktuell in einem Hollywood-Studio fürs Kino ein Familiendrama erzählen, wenn nicht mit dem Lockmittel aufwendiger Effekte? Dann eben im Weltraum und 50 Millionen teurer!

Bei Nolan geht's um den Plot, in Ad Astra um Gefühle

Brad Pitts Figur aus Ad Astra ähnelt dabei dem emotional eingewachsenen Neil Armstrong (Ryan Gosling), der in Aufbruch zum Mond den Verlust seiner Tochter mit Entgrenzungserfahrungen kompensiert. Als könne der steigende Druck auf die Apollo-Kapsel irgendwann seine erstickende psychologische Schutzhülle platzen lassen.

Ad Astra

Roys Biografie wird nur angedeutet. Seine (Ex-)Frau Eve (Liv Tyler) bleibt im Hintergrund, während Roy stoisch voraus blickt. Ihre Wohnungsschlüssel legt sie demonstrativ ab, bevor sie geht. Im Ton irgendwo zwischen Herz der Finsternis und Moby Dick, führt uns Roy als Erzähler durch dieses unscharfe Leben, das erst im All fokussiert wird.

Sein Off-Kommentar ist Fluch und Segen für Ad Astra, in dem Bild und Ton einen atmosphärischen Sog entfalten. Anders ausgedrückt: Während Nolan an seinem endlosem Expositionsgebrabbel hängt, lässt Gray seine Hauptfigur über Gott und die Welt ausholen.

Das wirkt dick aufgetragen, wenn Roy die Kommerzialisierung des Weltraumtourismus kommentiert - während wir es mit eigenen Augen sehen. Grays World Building benötigt keinen Kommentar. Gray hätte Ad Astra ebenso gut als Stummfilm drehen können und stellenweise hat er das getan. Der Monolog verdichtet aber auch die Atmosphäre, sobald Roy auf sich allein gestellt ist. Er braucht jemanden zum Reden und wir sind gute Zuhörer.

Brad Pitt spielt derart ausdruckskräftig, aber kontrolliert, auf, dass wir selten die Bedienungsanleitung aus dem Off benötigen. In seinen Anfangsjahren hat sich Pitt häufig Figuren gesucht, die dazu einladen dick aufzutragen. In Sieben oder 12 Monkeys kam es den Filmen entgegen. Doch das stoische Element liegt Pitt. Es zwingt zur Präzision.

Ad Astra

Eine Präzision, die sich lohnt, selbst wenn lautere Darsteller mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Sein Roy in Ad Astra ist die personifizierte Präzision, ein Mensch, der befürchtet, ein Maschinenherz poche in seiner Brust.

Brad Pitt legt die Zweifel unter der ruhigen Oberfläche frei und findet in James Gray und Hoyte Van Hoytema Kollegen, die Roys Unbehagen mit seinem eigenen Wesen in Bilder fassen. Der Astronaut fühlt einen Ekel gegenüber der Welt, dabei entsteht diese Welt in Ad Astra auch aus Roy heraus. Der kalte, graue Erdtrabant gibt genauso Ausdruck seines Innenlebens wie später der glühende Außenposten auf dem Mars.

Ad Astra wäre beinahe unter die Räder Disneys gekommen

Ad Astra hat eine lange, quälende (Post)Produktionsgeschichte hinter sich. Nach dem Kauf von 20th Century Fox durch Disney war zeitweise unklar, ob der Film überhaupt veröffentlicht wird. Nun feiert dieses altmodische Science-Fiction-Werk endlich Premiere, das nicht nur ohne Franchise-Anbindung auskommt, sondern auch ohne internettaugliche Rätselspiele, ohne Mindfucks, welche die Konversation anfeuern könnten.

Angereichert mit ein paar intensiven Spannungsmomenten und einer Verfolgungsjagd über den Staub des Mondes, scheint Ad Astra ein Überbleibsel einer anderen Hollywood-Ära zu sein. Diesen Eindruck verstärken auch die Sets, durch die sich Brad Pitts Roy auf seinem Weltraumabenteuer bewegt.

Auf einmal steht Roy in einer spröden Science-Fiction-Welt aus den späten 70er Jahren und Brad Pitt gibt einmal mehr in diesem Jahr einen Old-School-Helden. Nur ist es die neurotischere 70er-Jahre-Version von Cliff Booth aus Once Upon a Time in Hollywood.

Je weiter wir in die Innenwelt des Astronauten eintauchen, desto farbenprächtiger wird Ad Astra, der trotz seines Off-Kommentars seine Stärke in den Bildern entfaltet, die auf der dunklen Leinwand des Alls glänzen. Winzige, zerbrechliche Menschen in Raumanzügen vor dem erdrückenden Schwarz. Nähern sie sich an oder stoßen sie sich ab? Die Antwort solltet ihr auf der größtmöglichen Leinwand suchen.

Welcher der Sci-Fi-Filme aus den letzten Jahren gefällt euch am besten?

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