Neonazis vs. Punks in Jeremy Saulniers Green Room

30.09.2015 - 08:50 UhrVor 5 Monaten aktualisiert
Green Room (Jeremy Saulnier, 2015)A24
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In Cannes sorgte Jeremy Saulniers Blue Ruin-Nachfolger für tosenden Beifall. Auch das Publikum auf dem Zürich Film Festival zeigte sich begeistert von dem harten Survival-Thriller mit Anton Yelchin, Imogen Poots und Patrick Stewart in den Hauptrollen.

2013 begeisterte Regisseur Jeremy Saulnier mit Blue Ruin sowohl die Kritiker als auch das Publikum. Nun meldet er sich mit seinem Nachfolgewerk, Green Room, auf der Leinwand zurück. Während er sich in Blue Ruin im Genre des Psychothrillers und Horrorfilms mit Westernelementen und Rachemotiv austobt, geht es jetzt ums Überleben im Hinterland. Wenn irgendwo im Nirgendwo Punks und Neonazis treffen, schafft Saulnier mit großem Verständnis für das Genre einen nervenaufreibenden Backwood-Slasher.

Kein Entkommen aus dem Green Room

Im Mittelpunkt der Geschehnisse von Green Room befindet sich eine Punkband namens Ain't Rights, die in Vergangenheit mehr Niederlagen als Erfolge einstecken musste. Die Musik reicht kaum aus, um das tägliche Brot zu finanzieren, von genügend Benzin im Tank des Band-Vans ganz zu schweigen. Trotzdem vertrösten sich die einzelnen Mitglieder auf die wenigen Momente, wenn sie auf der Bühne stehen und ihre Songs zum Leben erwecken. Doch selbst dieses Privileg bietet den jungen Idealisten, die naiv und verträumt ihrer Passion folgen, keine langfristige Existenzgrundlage.

Nicht zuletzt wurde der bevorstehende Auftritt abgesagt und nur über ein paar Ecken erlangte die Gruppe kurzfristig noch ein Engagement in einem abgelegenen Schuppen. Zwischen feuchtem Gras und dichter Bewaldung finden sich aber nicht nur Rocker und Musikliebhaber wieder, sondern überwiegend Neonazis und Skinheads, die den Laden ihr persönliches Club-Haus nennen. Der Gig findet trotzdem statt. Nach einem riskanten Cover von Nazi Punks Fuck Off stimmt die wilde Meute in den Takt der Musiker ein, als könne der Abend trotz Anspannungen ein friedliches Ende nehmen.

Patrick Stewart als Gegenspieler Darcy mitsamt seinen Schergen in Green Room

Kurz bevor sich Ain't Rights auf dem Sprung befindet bzw. freundlich rausgeschmissen wird, kommt es zum Dilemma: Gitarristin Sam (Alia Shawkat) vergisst ihr Handy und einer ihrer Kollegen eilt zurück in den Bandraum, um es zu holen. Dort findet er mehr, als ihm lieb ist. Die Lage ist verzwickt und ehe sich die Musiker versehen, sind sie im sogenannten Green Room eingeschlossen. Neben einer Leiche sorgt die Gegenwart eines Henchman und der jungen Amber (Imogen Poots) für zusätzliche Probleme.

Als sich Amber kurzerhand dazu entschließt, die Seiten zu wechseln, beginnt die Figurenkonstellation ihr ganzes Potential zu entfalten. Ob Sam, Pat (Anton Yelchin) und Co. ihr trauen können, steht allerdings auf einem anderen Blatt geschrieben. Vorerst gilt es, sich gegen die Meute zu wappnen, die wie verrückt gegen die Tür hämmert. Erst als Darcy (Patrick Stewart), seines Zeichens Anführer des Neonazi-Clans, das Spielfeld betritt, entsteht für den Bruchteil einer Sekunde die Illusion von Kontrolle. Schnell wird den Eingesperrten aber klar, dass jegliche Verhandlungstaktik keinen Zweck hat.

Wenn Emotionen im Survival-Horror wieder greifbar werden

Die Panik des Augenblicks ist in Jeremy Saulnier Bildern regelrecht spürbar. Dazu gesellt sich eine Angst, die begierig von der angespannten Situation zehrt. Nach dem ersten Schock erfolgen strategische Überlegungen. Genauso, wie seine Figuren sich Gedanken um ihr Schicksal machen, lässt Saulnier das Geschehen nach der altbekannten wie bewährten Prämisse nicht im Autopilot Richtung Finale fahren. Stattdessen gelingt es ihm, mit präzisen Details eine phänomenale Dramaturgie zu erzeugen, die satte eineinhalb Stunden besteht, ehe der Abspann Erlösung verspricht.

Phänomenal ist das gerade deswegen, weil Saulnier seine Figuren reichlich Eigenleben einhaucht. Sie sind nicht bloß Stereotypen, sondern präzise gezeichnete Menschen, was den Überlebenskampf eine ganze Spur ungemütlicher macht. Hier ist nicht egal, wer stirbt. Die Spannung ist unheimlich. Neben den aufwühlenden Emotionen findet sogar unerwarteter Humor seinen Weg in den von der Außenwelt gänzlich abgeschotteten Green Room. Saulnier versteht panische Schreie genauso gut wie pointierte Dialoge, inklusive so mancher absurden Situation, die dem Film zusätzliches Leben einhaucht.

Imogen Poots als ehrliche (?) Überläuferin Amber in Green Room

Die Ungewissheit im Green Room nimmt niemals ab, besonders weil Saulnier verspielt falsche Fährten streut, gleichzeitig aber den eigentlichen Kern der Geschichte nicht aus den Augen verliert. Nahendes Blaulicht, das Hoffnung auf baldige Rettung verspricht, wird effizient ausgegrenzt, bevor es überhaupt das von Neonazis belagerte Gebäude betreten kann. Saulnier macht geschickt Gebrauch von seiner begrenzten Kulisse. Sobald man glaubt, alle Winkeld es Green Rooms entdeckt zu haben, offenbart sich ein weiteres Versteckt - oder ein geheimes Drogenlabor im Keller.

Und dann wäre da noch das geniale Ensemble. Neben Imogen Poots, Anton Yelchin und Alia Shawkat lässt insbesondere Patrick Stewart sämtliche Rollentypen seiner eigenen Vergangenheit hinter sich zurück und erschafft einen unberechenbaren Bösewicht, der mit nur wenigen Gesten den Thrill-Faktor ins Unerträgliche treibt. Weißer Bart und Brille: Die Worte aus seinem Mund sind dermaßen beruhigend, dass einem automatisch ein kalter Schauer über Rücken läuft. Hinter seiner vermeintlich vernünftigen Fassade versteckt sich eine kalkulierende wie gnadenlose Bestie, die erbarmungslos zuschlägt.

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Vielen Dank an das Zürich Film Festival , das 25hours Hotel  und Zürich Tourismus  für die Einladung.

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