Sex im Wüstensand

27.04.2011 - 08:50 Uhr
Ganz schön durchtrieben, dieser Pasolini
EuroVideo Bildprogramm GmbH
Ganz schön durchtrieben, dieser Pasolini
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Lange Zeit auf DVD nicht mehr zu haben, jetzt wieder erhältlich: Die burleske Trilogie des Lebens von Pasolini. Drei deftig-pralle Vertreter des erotisch-subversiven Films, findet unser DVD-Kolumnist Thomas Groh.

Das lange Osterwochenende bietet sich natürlich bestens für filmische Großprojekte in der Heimkinohöhle an, zumal wenn es draußen heiß und feindlich ist. Die einen schauen Herr der Ringe im Special-Edition-Hypermarathon, gehen mit Marty McFly auf knapp sechsstündige Zeitreisen oder wandeln auf den Spuren von Dr. Jones. Ich für meinen Teil bin endlich mal ein lange aufgeschobenes Projekt angegangen: Die so genannte Trilogie des Lebens von Pier Paolo Pasolini (bestehend aus den Filmen Decameron, Pasolinis tolldreiste Geschichten und Erotische Geschichten aus 1001 Nacht) wollte ich schon längst mal gesehen haben. Da die Trilogie Mitte Mai bei Eurovideo neu aufgelegt wird, die Musterexemplare uns schon vorlagen, die werte Kollegin Jenny an dieser Stelle sowieso Pasolini für die Osterfeiertage empfiehlt, war für den Anlass also bestens gesorgt!

Ein pralles Stück Lebenskraft

Zugegeben, wenn sich ein atheistischer Intellektueller, ein überzeugter Marxist und Gesellschaftskritiker wie Pier Paolo Pasolini den burlesk derben Stoffen der internationalen Klassiker der mittelalterlichen, volkstümlichen Literatur zuwendet, fürchtet man zunächst verkopfte Koketterie. Doch weit gefehlt: Egal ob Pasolini sich unter das italienische (Decameron, basierend auf Boccaccios gleichnamiger Geschichtensammlung) oder britische (Pasolinis tolldreiste Geschichten, basierend auf den Canterbury Tales) Bauerntum mischt oder in den fernen Orient (Erotische Geschichten aus 1001 Nacht) zieht, alle drei Filme wirken in ihrer losen, angenehm zerstreuten Verschachtelung und Verknüpfung der zugrunde liegenden Geschichten ganz einfach ungeheuer befreit und befreiend. Pasolini, bis dahin eher für oft spröde, abstrakte Filme bekannt, feiert hier mit ungeheurer Spiel- und Fabulierfreude den prallen, ungezügelten Saft des Lebens ohne auch nur in die Nähe jenes verklemmt prüden Voyeurismus zu geraten, wie man ihn im etwa zeitgleich entstandenen deutschen Softsexfilm “genießen” kann.

Derbe Späße (da fällt ein armer Tropf schon mal in die Latrine und ein Satan furzt haufenweise arme Seelen in die Welt) reihen sich an verführerische Miniaturen (etwa die Geschichten der Sklavin Zumurrud in Erotische Geschichten aus 1001 Nacht), die Schranken zwischen, vor allem aber auch unter den Geschlechtern fallen ganz ungezwungen. Sex ist hier kein Höchstleistungssport für Lifestyle-bewusste Konsumhorden, zu dem nur maßgeschneiderte Konfektionsmenschen Zugang haben – vielmehr ist er bei Pasolini eine Poesie der menschlichen Körper: Manche reimen sich, manche umschlingen sich und manche beißen sich ganz einfach. Und wie der Mensch in allen Größen, Farben und Ausformungen kommt, so ist auch der Sex hier nichts vorgefertigtes, sondern ein Stück Lebensfreude, ein Spiel aus Humor und Lust, das immer wieder neu überrascht (egal, ob er mal gelingt oder auch nicht). Und es macht ungeheuer viel Freude, dem mal lustigen, mal schönen Treiben zuzusehen.

Das naheliegendste Wort für Pasolinis Trilogie des Lebens wäre nach meinem Empfinden jedenfalls: Freiheit. Und die überträgt Pasolini auch direkt auf seine Filmsprache: Die Filme sind einfach gehalten, nie schwielig abstrakt, locker im Zugriff auf die filmischen Mittel. Umso schockierender dürfte wohl Pasolinis folgender, sein letzter Film gewirkt haben: Die 120 Tage von Sodom ist ein monumentales Memento, dass der Mensch die größte Bedrohung für die Freiheit des Menschen ist, ein Werk, das in seiner Rigorosität bis an die Grenzen des Erträglichen geht und den Tod in Pasolinis lebenspralles Werk zurückholt. Buchstäblich: Noch vor dessen Premiere hat man Pasolini tot aufgefunden, ermordet, wahrscheinlich von einem Stricher.

Eine schlichte DVD-Edition

Bereits vor einigen Jahren war die Trilogie des Lebens bei Legend in einer schick gestalteten, aber mittlerweile längst ausverkauften Edition auf den Markt gekommen. Zwar ist es sehr erfreulich, dass Eurovideo nun eine Neuauflage erstellt hat, doch wird die Freude ein wenig durch den Umstand getrübt, dass diese gegenüber der alten Veröffentlichung qualitativ deutlich abfällt: Zum einen gibt es keinerlei Bonusmaterialien, während auf der älteren Veröffentlichung neben Interviews mit dem (an allen drei Filmen beteiligten) Schauspieler Ninetto Davoli noch zusätzliche Filmszenen im Bonusmaterial zu finden waren.

Von solchen Dreingaben fehlt auf der neuen Fassung leider jede Spur. Dies gilt im übrigen auch für die Untertitel: Wer des Italienischen nicht mächtig ist, muss mit der (allerdings wertig erstellten) Synchronisation vorlieb nehmen – sehr bedauerlich. Auch die Covergestaltung fällt im Vergleich leider deutlich ab. Wer alleine auf die Filme Wert legt, darf sich also freuen, dass diese nun wieder kostengünstig greifbar sind – wer auf eine cinephil gepflegte DVD-Sammlung wert legt, ist gut beraten, eine etwas größere Investition in Erwägung zu ziehen, um über den Gebrauchtmarkt an die ältere Veröffentlichung zu kommen.

Abschließend noch der Trailer

Die Trilogie des Lebens erscheint Mitte Mai und kommt in drei einzelnen DVDs. Bei Amazon kann man sie für jeweils 15,99 Euro vorbestellen: Decameron, Pasolinis tolldreiste Geschichten und Erotische Geschichten aus 1001 Nacht.

Jetzt seid ihr gefragt: Wie steht ihr zur Trilogie des Lebens? Kunst oder bloß Softporno? Und mit welchem Filmmarathon habt ihr euch das lange Wochenende versüßt?

Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt etwa als Osterfilm Falsches Spiel mit Roger Rabbit, den Sargthriller Buried – Lebend begraben oder den Italowestern Das Gold von Sam Cooper.

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