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Paul Verhoeven: Ein niederländischer Exzentriker

05.04.2016 - 16:02 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Paul Verhoeven – primär bekannt durch Filme wie „Starship Troopers”, „Basic Instinct“ und „RoboCop“. Auffallend und international berühmt wurde er in erster Linie durch seine Darstellung von Gewalt und Frauen, was ihm viel Kritik einbrachte. Doch bestehen Verhoevens Filme wirklich nur aus Sex und Gewalt?
Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt. Doch um diese beantworten zu können, ist der einzige Weg eine Reise zurück in die Zeit vor 1987, dem Jahr, in dem sein Film „RoboCop“ ihn mit einem Schlag international bekannt machte. Aber was macht eigentlich die Filme aus, die in seiner Heimat, den Niederlanden, lange vor 1987 entstanden? Und wie unterscheiden sich die Filme, die weniger Bekanntheit erlangten von den großen Produktionen aus Amerika?

Dafür blicken wir in das Jahr 1973 zurück. Paul Verhoeven veröffentlichte seinen ersten Film, „Türkische Früchte“ mit dem späteren Star Rutger Hauer in der Hauptrolle. Schon mit diesem Frühwerk sorgte der junge Niederländer aufgrund der Thematiken und insbesondere der expliziten Sexszenen für großen Aufruhr. Frauenfeindlichkeit, Zelebrieren von Gewalt und einem ekelhaften Hauptdarsteller warf das Publikum dem Werk vor. Doch Verhoeven ließ sich dadurch nicht einschüchtern, und veröffentlichte über die nächsten Jahre verteilt diverse weitere, kontroverse Filme, die sich qualitativ allesamt im obersten Bereich befinden. Aber was genau hat es nun eigentlich mit diesen, aus heutiger Sicht größtenteils als Meisterwerke geltenden Filmen auf sich? Werfen wir nun einmal einen genaueren analytischen Blick auf das Gesamtwerk von Paul Verhoeven.

RoboCop

Die zentrale Position der Träume

In Verhoevens Filmen spielt der Traum, ob ein individueller oder gesellschaftlicher stets eine große, zentrale Rolle. Ob dieser wie in „Total Recall“ individuell, wie in „RoboCop“ gesellschaftlich veranlagt ist oder eben wie in „Spetters“ den Wunsch einer ganzen Generation darstellt; der Traum ist für Verhoeven so etwas wie ein Sprungbrett, auf dem seine Filme aufgebaut sind. Tatsächlich findet man, insofern man genauer hinschaut, in nahezu jedem seiner Filme einen Protagonisten mit einem Traum – sei es nun ein individueller oder ein gesellschaftlicher. Doch trotz der Häufigkeit des zentralen Traumes verfügen Verhoevens Filme über ein breites Spektrum derer. In „Total Recall“ beispielsweise dient dieser als Form des Eskapismus aus einem langweiligen, öden Daseins hinein in ein Abenteuer auf einem anderen Planeten. In „RoboCop“ wird der Traum in Form des Strebens nach Perfektion und totaler Kontrolle ausgedrückt. In „Spetters“ geht Verhoeven sogar noch einen Schritt weiter, und stellt das Nacheifern von Idolen einer ganzen Generation auf drastische, kontroverse Art und Weise dar. Doch all diese Träume haben eine Gemeinsamkeit; sie lösen sich nach und nach in Luft auf. Die Akteure und Charaktere werden im Laufe des Filmes aus ihrem Traum zurück in die Realität gerissen – wie die einzelnen Figuren dies aufnehmen und verkraften ist ebenfalls stets verschieden, und führt in den drastischsten Fällen zu einem bösen Ende. Verhoeven zerlegt die Träume der Individuen und der Gesellschaft feinsäuberlich und bis ins kleinste Detail und macht sich satirisch über die naiven Weltanschauungen derer lustig, insbesondere über die Wünsche, so zu sein wie ihre Idole.

Total Recall

Aufwachsen, Heranreifen und Selbstfindung

Das eranwachsenHeranwachsen ist, wie schon der Traum, in Verhoevens frühen Werken omnipräsent, auch hier in individueller Form wie in „Türkische Früchte“, aber auch im gesellschaftlichen Sinne wie in „Spetters“ oder dem Kriegsdrama „Der Soldat von Oranien“. Verhoeven stellt junge Erwachsene und deren Reifeprozess dar. Meist durchlaufen sie während des Filmes die Entwicklung vom abenteuerlustigen Halbstarken zum erwachsenen Mann. Häufig ist für diese Veränderung die zuvor unbekannte Position in der Gesellschaft verantwortlich, doch nach und nach schaffen die Protagonisten durch Bekanntschaften und schlüsselhafte Ereignisse sich selbst und ihren Platz zu finden. Das Entdecken von Leidenschaften abseits der Zerstörungswut und des sexuellen Verlangens spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Art, wie Verhoeven diesen Prozess der Selbstfindung in Szene setzt ist dabei besonders interessant. Der Zuschauer nimmt den Platz der Gesellschaft ein, und betrachtet die Figuren ungewollt als Abschaum, ehe die Entwicklung der Charaktere den Zuschauer von dieser Position loseist und ein Beobachten aus anderer Perspektive ermöglicht. Verständnis und Mitgefühl treten an die Stelle der Abscheu, und nach und nach kann man wirklich eine persönliche Identifikation mit den Figuren feststellen. Sie werden in den Augen des Betrachters vom unsympathischen und hassenswerten Taugenichts zu einem aufrechten, sympathischen Menschen.

Spetters

Die Rolle des Humors

Verhoevens Filme sidn bekannt für bitterböse Einfälle des Regisseurs. Sei es die Scheidungsszene aus „Total Recall“, die Szene des Fruchtwasser aufleckenden Hundes aus „Türkische Früchte“ oder der gesamte Film „Starship Troopers“. Der schwarze Humor ist allgegenwärtig, und hat neben der sekundären Funktion den Zuschauer zum Lachen zu bringen noch eine andere, primäre.

Die Filme Paul Verhoevens stellen im Grunde allesamt eines dar; eine Satire, sei es nun eine militaristische oder eine gesellschaftliche. Der Humor wird von Verhoeven in erster Linie genutzt, um diese zu unterstreichen. Dabei dienen viele Sprüche als Verdeutlichung der Lässigkeit, mit der Gewalt in der Gesellschaft gesehen wird, man sehe sich nur „Starship Troopers“ und „RoboCop“ an. So kreativ die Witze auch sein mögen, hinter ihnen verbirgt sich stets eine Intention, die Untermalung einer Essenz.

Verhoeven – ein Sexist oder doch ein Feminist?

Das Frauenbild in Verhoevens Filmen ist mit ziemlicher Sicherheit einer der interessantesten Aspekte bei einer Analyse seiner Werke, nicht zuletzt aufgrund der häufigen Vorwürfe von Sexismus und Frauenhass. Grund für diese Thesen mag wohl insbesondere die explizite Nacktdarstellung derer in seinen Filmen sein, aber auch die auf den ersten Blick flittchenhaften Charaktere bestärkten die Vorwürfe. Doch bei einem tieferen Blick in Film und weibliche Figuren wird das Gegenteil deutlich. Verhoevens Frauencharaktere sind keine schwachen, anhänglichen und oberflächlichen wie in Filmen von Roland Emmerich, dem man seltsamerweise Sexismus noch nie vorgeworfen zu haben scheint. Bei einer Beobachtung des aus dem Film „Spetters“ entsprungenen Charakters Fientje beispielsweise mag das flitchenhafte, verführerische Auftreten derer im ersten Moment täuschen, doch was sich hinter dieser Fassade verbirgt ist das eigentlich wichtige; ein durchdachter, vielseitiger, frecher und hinterlistiger Charakter, der die drei männlichen Protagonisten geschickt um den Finger wickelt, sie austrickst und deren sekundären Traum platzen lässt – den Traum nach ihr. Als wäre das nicht schon genug Beweis, hilft noch ein Blick auf den, ebenfalls von Darstellerin Renée Soutendijk gespielten Charakter Christine Halsslag aus dem Film „Der vierte Mann“, in dem sie ihren Gegenspieler, dem hoffnungslos in sie verfallenen Jeroen Krabbé mit ihrem perfiden und durchtriebenen Psycho-Spielchen an die Grenzen des Wahnsinns treibt, aber auch der Charakter Sharon Stones in „Basic Instinct“ weiß ihren männlichen Gegenspieler gekonnt auszutricksen. Wer Verhoevens Filme nicht aus dem Blickwinkel eines anspruchslosen Blockbusterjunkies betrachtet, der wird erkennen, dass eine zu oberflächliche Betrachtungsweise zum Missverstehen seiner Filme führt.

Spetters

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