Philosophie & Selbsttherapie im Test zu The Talos Principle

06.10.2015 - 12:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
The Talos Principle
Devolver Digital
The Talos Principle
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The Talos Principle von Croteam erscheint nach beinahe einem Jahr der PC-Exklusivität nun auch für die PS4. Wie ich auf meiner Reise durch den philosophischen Puzzle-Titel wieder zu mir selbst gefunden habe, erfahrt ihr im Test.

Zunächst eine Beichte: Ich bin ein ungeduldiger Mensch, der sich gefangen im Medien- und Internet-Zirkus nur schwer auf eine Sache konzentrieren kann. Das Spielen eines Videospiels verkommt zunehmend zur Nebenbeschäftigung, die ich mit anderen halbgaren Aktivitäten zur gleichen Zeit tätige. Das ist gewiss vom Genre abhängig und betrifft zum Glück nicht jeden Titel, aber zumindest einen Großteil derer, die aufgrund bestimmter Spielmechaniken ohnehin nicht meine volle Anteilnahme erfordern: Während ich kämpfe, Level hochsteige, Items sammle oder die Liste von Nebenaufgaben in einer riesigen Open World abgrase, ist der Zeigefinger nur einen Klick von meiner Twitter-Timeline entfernt, während mir Podcasts von Neuigkeiten über die Spiele-Branche erzählen und ein Freund mir lustige Bilder über das Smartphone schickt.

Anstatt mich einer Tätigkeit ganz hinzugeben, lasse ich mich lieber von der Multitasking-Streckbank zerreißen, um möglich nichts zu verpassen. Dass das nicht nur paradox sondern auch ein riesiges Problem ist, weiß ich selbst. Dass ein Spiel wie The Talos Principle, mir dabei geholfen hat, dies nicht nur zu erkennen sondern auch gezielt anzugehen, hätte ich bis vor einigen Tagen allerdings nicht gedacht.

The Talos Principle

Die Entwickler von Croteam begeben sich mit The Talos Principle auf die Pfade von Valves populären Knobel-Spielen Portal und Portal 2. Nicht sarkastischer Humor, sondern philosophische Fragen über das Menschsein und die Grenzen von künstlicher Intelligenz bilden das Aushängeschild des First Person-Puzzle-Titels, dessen Geschichte aus den Federn von Jonas Kyratzes und Tom Jubert — beide bekannt durch ihre Arbeit an The Swapper und FTL: Faster Than Light.

Trotz meiner aus Selbstzweifel entstandenen Skepsis gegenüber der mir bevorstehenden Knobelei ließ ich mich von Anfang an vom Story-Ansatz überzeugen, der mich ab der ersten Minute an in meinen Lateinunterricht zurückversetzte, in denen die Fächer Philosophie, antike Geschichte und Metaphysik einen spannenderen Gegenpart zur herkömmlichen Übersetzungs-Gängelei bildeten.

Wer bin ich & was mache ich hier eigentlich?

Alles begann wie gewohnt: Umgeben von antiken Säulen und Mauern wagte ich im Körper eines humanoiden Roboters meine ersten Schritte durchs Spiel, ließ mich von der imposanten Stimme des gottgleichen Elohims einweisen und stand meinen ersten Denk-Aufgaben gegenüber, während mein obligatorisches Nebenbei-Gedudel gleichzeitig durch die Lautsprecher meines Notebooks säuselte. Die anfänglichen Rätsel, in denen es stets darum ging, mithilfe eines Störsenders verschlossene Türen, explodierende Wanderkugeln und Laserstrahlen schießende Kameras in der richtigen Reihenfolge zu umgehen, um einen zum Weiterkommen benötigten Tetris-artigen Stein zu finden, ließen sich noch problemlos mit halber Aufmerksamkeit lösen. Kurze Zeit später wurde dies bei ansteigenden Schwierigkeitsgrad zunehmend qualvoller.

Diese patroullierende Kugel wurde mit einem Störer eingefrohren.

Nicht zwei versiegelte Türen mussten überwunden werden sondern fünf; Nicht eine verheerende Kugel versperrte mir den Weg sondern drei. Zum Störsender gesellten sich mit dem Portal-esquen Würfel und dem Konnektor, ein spezielles Gerät, mit dem Schalter durch das Verbinden von Lichtstrahlen geöffnet werden können, zusätzliche Knobel-Utensilien. Plötzlich stand ich vor einem Problem, das meine gesamte Hirnaktivität für sich beanspruchte.

Goodbye, Menschlichkeit

Die Stimmen aus dem Internet und die Frustration über mein Feststecken bohrten sich wie kleine Quälgeister durch meine Hirnrinde, die zunehmend drohte, einfach in sich zusammenzufallen. Genervt (und vielleicht ein bisschen zu wuchtig) klappte ich das Notebook zu, zog die Rolläden meines Fensters herunter und versuchte ganz im Dunkeln und von Außen abgeschottet, jegliche Sinne auf den Bildschirm zu fokussieren. Ich ließ mich von der beruhigend klimpernden Musik treiben, ging im Kopf mögliche Kombinationen von Störsender, Konnektor und Kubus durch und probierte sie aus.

Ich scheiterte hier und ich scheiterte da. Nicht oben, nicht unten, nicht links und nicht rechts — beinahe eine gefühlte Ewigkeit muss ich da gesessen haben, völlig starr und in mich gekehrt, als sei ich von einem magischen Kraftfeld umgeben, das jegliche Kommunikation nach außen hin verhindert. Ich vergaß zu essen, zu trinken und als mein Magen so langsam damit begann, sich mit Knurren bemerkbar zu machen, fand ich sie. Die Lösung. Im Nachhinein war sie so einfach und logisch, dass ich mir am liebsten ein Holzbrett gegen die Stirn geschlagen hätte. Doch nach und nach überwog der Stolz darüber, dass ich nicht nur dieses eine Denkspiel gewonnen sondern auch mich selbst, meine Ungeduld und Rastlosigkeit bezwungen hatte. Das Spiel verleibte mich völlig in sich ein und machte mich zum Bestandteil einer Welt, in der Zeit und menschliche Bedürfnisse ohnehin keine Rolle spielen. Ich war eine Maschine, die nur zum Zweck der Problemlösung geschaffen wurde.

Mehrere Konnektoren werden miteinander verbunden, um eine Tür zu öffnen.

Mit den neuen Erkenntnissen über die Grundfunktionen und Kombinierbarkeit der Instrumente bewegte ich mich in einem flammenden Zustand der Ekstase durch die restlichen Räume des ersten Spielbereichs, wurde hier und da von frustrierenden Momenten unterbrochen, die mich zur Pause zwangen, aber fand letztendlich doch jegliches Puzzle-Teil. Dabei schaltete nicht nur weitere Werkzeuge frei, sondern auch eine zweite und dritte Welt in einem thematisch jeweils anderen Stil, die mich jedoch durch ihre Statik und fehlende Anreize zur Erkundung eher dazu einluden, geschwind von einen Rätselraum in den nächsten zu eilen. Die immer komplexer werdenden Herausforderungen, die so vielfältig, ideenreich und intelligent sind, dass ich mein eigenes Denkvermögen abwechselnd anzweifelte und in den Himmel lobte, machten es allerdings recht einfach, die karge Umgebung als bloßes Mittel zum Zweck zu akzeptieren.

Maschinengespräche

Wie eingangs bereits angerissen, sind clevere Puzzle-Einlagen nur die eine Seite der Medaille. Die zwischen den Rätseln stattfindenden Dialogen mit einem Computer-Terminal bilden die stillen Höhepunkte von The Talos Principle, die mich gen Ende beinahe an meinen eigenen Vorstellungen von Moral, Freiheit und Glück zweifeln ließen. Wer bist du? Wer bin ich? Zu welchem Zweck tue ich das Ganze? Was mit den üblichen Fragen und Antworten aus dem Philosophie-Katalog beginnt, nimmt sehr schnell Konturen an und verkommt zu einem äußerst interessanten Zwiegespräch mit einer mir immer vertraulicher gewordenen Maschine, das mich zuweilen in meinen Träumen und auf der täglichen Fahrt mit der U-Bahn noch beschäftigte.

Der Computer-Terminal lädt zwischendurch zu spannenden Gesprächen ein.

Fazit

Spielerisch steht The Talos Priniciple den Portal-Spielen in Nichts nach. Die abwechslungsreichen und pfiffig ausgearbeiteten Rätseleien erfordern eine so hohe Aufmerksamkeit, wie ich sie schon lange keinem Videospiel mehr gewidmet habe. Hinzu kommen belehrende und tiefgründige philosophische Gespräche, die mich bis in mein Alltagsleben hinein noch verfolgt haben. Obwohl mich der Titel zum Ende hin mit teilweise fiesen, frustrierenden Kopfnüssen quälte, befand ich mich für einen Großteil der Zeit in einem meditativen Zustand, der mich jeglichen Tumult von Außen vergessen ließ. The Talos Principle hat mich von meiner Multitasking-Streckbank gerissen und meinen Blick für das Wesentliche geschärft, sodass ich mich nach jeder Spiel-Session fühlte wie eine meisterliche Kung Fu-Kämpferin, die tagelang unter einem rauschenden Wasserfall gesessen hat.

Dieses Review wurde mit Hilfe eines PS4-Keys erstellt, der uns vom Publisher Devolver Digital zur Verfügung gestellt wurde.

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