Prometheus, der lange Weg zum Ausverkauf

08.08.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Prometheus, der lange Weg zum Ausverkauf
20th Century Fox
Prometheus, der lange Weg zum Ausverkauf
106
33
Ridley Scott erklärt in seinem Alien-Prequel, was lieber unerklärlich geblieben wäre. Warum das Alien schon lange seine Faszination verloren hat – und wie ein Schöpfer den Ausverkauf seiner eigenen Kreatur besiegelt.

Die letzten Minuten sind alles. Schneewittchengleich liegt Ellen Ripley (Sigourney Weaver) im gläsernen Weltraumsarg, zu sich gekommen, sanftmütig schlafend, das Kätzchen über sich wachend. Ein Bild, dem der letzte große Kampf gegen das, so hieß es einst vom deutschen Verleih, unheimliche Wesen aus einer fremden Welt vorausging. Fremd und unheimlich mag das Alien aus dem gleichnamigen Genremeisterwerk von Ridley Scott heute wohl kaum noch jemandem erscheinen: In drei Fortsetzungen kämpfte es gegen Soldaten, Häftlinge und Weltraumpiraten, und wurde vom Studiovater gar noch kollegial gegen ein hauseigenes Rastalockenungestüm angesetzt, in der auf Comics und Videospielen basierenden Crossover-Produktion Alien vs. Predator sowie deren Nachzügler, Aliens vs. Predator 2. Nach über 30 Jahren nun kehrt Ridley Scott mit Prometheus – Dunkle Zeichen zu seiner Kinoschöpfung zurück. Um die Vorgeschichte sollte es sich handeln, um ein Prequel zum allerersten Alien-Film, das uns erklärt, was bislang unerklärlich war.

Wäre uns dieser Film erspart geblieben, hätten sich dem Schlussbild der schlafenden Ripley, der magischen Überblende in die weite schwarze Stille des Weltalls, nie kommende Alien-Fortsetzungen angeschlossen? Die Infantilisierung des Monsters zumindest begann sieben Jahre später. In Aliens – Die Rückkehr tauschte James Cameron Viel- gegen Eindeutigkeit und erklärte die zuvor zum Sinnbild verdrängter Ängste, aggressiver Sexualität und männlicher Gewalt entwickelte Kreatur zum fortpflanzungsmunteren Insektenwesen, deren Königin mit aller Macht Staat und Brut zu verteidigen sucht. In einem, gemessen an der Klugheit des Vorgängers, irrsinnigen Finale gerinnt der vormals psychologisch um Rollenmuster kreisende sowie intim und klaustrophobisch inszenierte Schlusskampf zum beinahe pervertierten biotechnischen Schlammcatchen: Die in einen Ganzkörpergabelstapler geschlüpfte Ripley wehrt sich hier nicht länger gegen männliche Obrigkeit, sondern verteidigt in einem martialischen Duell entschlossen ihr Ziehkind Newt gegen eine überdimensionale Alien Queen, die ihrerseits Vergeltung für Dutzende vernichteter Eier übt. Aus dem durchsetzungsstarken Schneewittchen ist eine kämpferische Mutter geworden, die das nur noch auf äußere Bedrohung, ästhetische Gigantomanie und tricktechnische Präsenz reduzierte Alien-Geschöpf bezwingen muss. Der Anfang vom Ausverkauf.

In Alien³ von David Fincher, sechs Jahre nach dem zweiten Film veröffentlicht, hat sich das Monster dann schon so weit verselbständigt, dass es als Träger bestimmter Funktionen zeitweise gar an den Rand gedrängt wird. Wahllos kommt es aus Tunneln geschnellt und schnappt ganz im Dienste geistloser Suspense-Momente zu. Finchers Desinteresse am einstigen Sinngehalt der Kreatur führt immerhin soweit, dass es über weite Strecken kaum noch eine Rolle zu spielen und den eher auf soziologischen Horror konzentrierten Film beinahe zu stören scheint. Die Schwerpunktverlagerung kommt dem Alien dabei allerdings kaum zugute: Durch einen den Schrecken des Monsters nunmehr völlig ad absurdum führenden Einfall, Ripley zur Mutter einer Alien Queen umzudeuten, bereitet der Film bereits das schleimig-obszöne Familientreffen des vierten Teils vor, das dem Monster mit der Schöpfung eines Alien-Mensch-Hybriden endgültig jede mythische Bedrohung raubt.

Zum fortschreitenden Bedeutungsverlust des Ungeheuers trug Jean-Pierre Jeunet wesentlich bei: In Alien – Die Wiedergeburt betätigen die Kreaturen Druckknöpfe und schwimmen munter durch Wassertanks. Ripley tritt nun als Klon auf und legt sich stöhnend auf rostige Metallgitter, wenn sie die nahe Alien-Mutter zu riechen meint. Als Franzosenulk im Weltall gut umschrieben, führte der Film die nunmehr computergetricksten und von der Schattenhaftigkeit der originalen Entwürfe nach H.R. Giger weit entfernten Aliens zu ihrem vorzeitigen Leinwand-Ende. Da konnte es kaum mehr schockieren, als das Alien auch den letzten Weg der allumfassenden Verflachung beschreiten und gleich zweifach gegen den saudoofen Predator antreten musste. Das Monsterkräftemessen samt ungefragter Hintergrundmythologie (Pyramiden bauende Ungeheuer, alte Gottheiten, ein bereits Jahrtausende währender Zwist) stahl den Facehuggern und Chestburstern auch den letzten Rest Würde. Ein Popkulturalbtraum im gläsernen Schneewittchensarg, der angemessene Nährboden für Ridley Scotts kommende Jetzt-erst-recht-Verwurstung.

Prometheus nun ist insofern konsequent, als er Scotts Nichtverstehen seines eigenen Meisterwerks auf eine neue Ebene hievt. Schon 2003, als Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt in einer verschlimmbesserten Version erneut in die Kinos kam, gab es darauf einen ersten Hinweis: Um „langatmige“ Einstellungen verkürzt und eine schöne, aber unsinnige Alien-Nest-Szene (die Scott einst aus den richtigen Gründen herausnahm und dann aus den falschen wieder einsetzte) erweitert, sollte der Klassiker für die Generation ADHS in neuem Glanze erstrahlen. Und für diese, womöglich, scheint jetzt auch Prometheus gedacht. Die ultrastylishe Vorgeschichte, die ans Licht zerrt, was zuvor im Dunkeln lag. Die einem das einst Verborgene nun knallhart in die Fresse klatscht. Und um das „unbekannte Wesen“ und die „fremde Welt“ eine den eigenen Mythos zementierende Mär spinnt, der dem Original jede Faszination auszutreiben droht. Notfalls sogar mit ätzender gelber Säure.

Damit gelingt es Prometheus tatsächlich, die wenigen noch verbliebenen Fragen zu beantworten, die nie jemand gestellt hat. Und an denen selbst die ihrerseits den Alien-Mythos ausbuchstabierenden Sequels kein Interesse zeigten. Irgendwo zwischen Penis-Vagina-Mischwesen, Exoskelett und Space Jockey versucht Ridley Scott hilflos deutend seinem von vielen klugen Köpfen gemeinsam entworfenen Meisterwerk einen ganz eigenen Sinn zu stiften. Immer auf der Suche nach einer höheren Bedeutung, nach einer detaillierten Ergründung all dessen, was den ersten Alien-Film so unvergleichlich beunruhigend und faszinierend machte. Mutwillig und zeitweise über die Grenzen des Erträglichen hinaus trampelt er in einem grotesken, hochnotpeinlichen Akt pseudophilosophischer Überhöhung auf (s)einem Erbe herum, als sei ihm selbst noch der letzte Rest Vernunft abhanden gekommen. Und dann mündet eine über zwei Stunden großspurig aufgebaute Erwartungshaltung schließlich in der langbärtigsten Fragestellung der Science-Fiction-Kinogeschichte, ob denn wir Menschen nun göttlichen oder doch außerirdischen Ursprungs seien.

Gedanklich lege ich mich in einen gläsernen Sarg und hoffe inständig, nicht mehr zu erwachen. In Träumen hört dich niemand schreien. Farewell, my alien.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News