Community

Revolver (Film)

22.06.2016 - 23:08 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
1
2
Guy Ritchies Meisterwerk "Revolver" sorgt seit der Veröffentlichung bis dato für Zwiespalt unter Zuschauern. Ja, ich nenne diesen Film bewusst Meisterwerk. Meine Wortwahl beruht keineswegs auf Zufall. Allerdings gibt es auch Menschen, die den Film als "Müll" bezeichnen. Absolut einverstanden - unter einer Voraussetzung: Ihr habt den Müll sorgfältig durchleuchtet. Dieser Blogbeitrag gilt jenen, die diesen Film verstehen möchten und die Werke anderer erst nach sorgfältiger Abwägung verurteilen. Wie sieht's aus - bereit für etwas Denkarbeit?

Nun - da du gerade diese Zeile liest, nehme ich an, du gehörst zu den Menschen, die sich dafür entschieden haben, den Müllberg zu durchleuchten. Die Meisten haben bemerkt: Der Film dreht sich hauptsächlich um das eigene "Ich" bzw. "Ego".

Aber was bedeutet das?

Nehmen wir ein ganz simples Beispiel. Dir wurde beigebracht, dass Pinguine nicht fliegen können (können sie auch nicht, das ist ja nur ein Beispiel). Du stehst also im Zoo, beobachtest die Pinguine und plötzlich siehst du einen der Pinguine davonfliegen. Deine Augen haben es gesehen, aber dein Unterbewusstsein, dein Ego, deine Gedanken sagen dir: Du musst dich getäuscht haben.

Warum?

Weil es nicht ins Schema passt. Pinguine können nicht fliegen. Punkt. Schluss. Aus. Amen. Das weiss doch jeder. Du denkst also, du seist verrückt - obwohl du es mit eigenen Augen gesehen hast. Du bist, was du denkst.

Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass du wirklich verrückt bist. Ein Fall für die Klapse. Wahnvorstellungen. Darum geht es hier aber nicht. Es geht viel mehr darum, dass du dich von deinen Gedanken beherrschen lässt. Von deinem Unterbewusstsein, deinem Ego. Dein Ego sagt dir: "Das passt nicht ins Schema, das hast du dir eingebildet." Dein Gehirn erhält also eine komplett neue Information aus der Realität, versucht sie, irgendwo einzuordnen und scheitert - weil deine Gedanken diese Information nicht annehmen wollen. Hier wird klar: Du denkst, dass du derjenige bist, der deine Gedanken kontrolliert. Stattdessen wirst du vorwiegend gedacht und deine Gedanken kontrollieren dich. Du identifizierst dich mit deinen Gedanken und glaubst ihnen eher als dir selbst (deinen Augen). Du siehst die Realität nicht, so wie sie gerade ist.

Und wir Menschen machen uns sehr viele Gedanken. Gedanken, die nicht der Realität entsprechen. Unser Ego sendet uns Signale wie Angst, Gier, Wut, Freude, Langeweile und Anerkennung. Diese Gedanken und die daraus resultierenden Gefühle beinflussen uns ständig und überall - in unseren Entscheidungen, unseren Beziehungen zu anderen und unserer Beziehung zu uns selbst.

Der Trick des Teufels besteht darin, jeden zu überzeugen, dass er nicht existiert.

Im Film befindet sich der Teufel in jedem Charakter. Ganz besonders in Mr. Green (Jack) und Mr. Macha. Der Teufel lässt sich gleichsetzen mit unserem Ego, Unterbewusstsein und unseren Gedanken.

Dieser Teufel nennt sich "Mr. Gold". Er repräsentiert Gier, Anerkennung und Stolz. Wir sehen Mr. Gold nie. Wir hören ihn nur, wenn er in Jacks (Mr. Green) und Machas Kopf spricht.

Der Film dreht sich um den Kampf um Jacks Seele. Zwischen Mr. Gold (Ego) und Avi/Zack (das wahre ICH, die Realität). Dieser Kampf ist ein Spiel. So wie Schach. Und das Spiel hat eine Struktur: Das Schachbrett ist die Stadt, die Figuren sind die Charaktere und die Regeln lauten: Geld, Gier, Stolz, Anerkennung, etc. Aber es gibt weitere Regeln, wie man sie im Schach wiederfinden kann: Der König darf sich selbst nicht in eine Position befördern, in der er getötet werden kann. Diese Schachregeln sind fundamental.

Auf einem sehr banalen Level könnte man sagen: Der Film dreht sich um die Geschichte von Jack Green und um seine Rache an Macha für die Ermordung der Frau seines Bruders und die Zeit, die er seinetwegen im Gefängnis verbracht hat. Avi und Zack lernen Jack im Gefängnis kennen und sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, Mr. Gold etwas herauszufordern. Sie haben sich bewusst mit Jack beschäftigt, der sich für Einzelhaft entschieden hat und offensichtlich einen grossen Mr. Gold in sich trägt.

Es gibt nichts Schlimmeres als Demütigung und der Verlust von Geld.

5 Jahre lang haben Zack/Avi an Jack gearbeitet. Sie haben seinen "Mr. Gold" mit der magischen Formel gefüttert. Die Formel, die ihn jedes Spiel gewinnen lässt. In jedem Casino. Gegen jeden. Gleichzeitig haben sie für sich selbst alles gelernt, was sie wissen mussten. Eines Tages schaffen sie es auszubrechen und lassen Jack im Gefängnis zurück.

Als Jacks Tag der Entlassung kommt, hat er nur eines im Kopf: Er will Rache üben an den drei Eddies, indem er Macha gegen sie aufbringt. Dafür leiht er sich Geld von ihnen und zahlt es mit grosszügigem Zins zurück. Diese wiederum leihen sich Geld von Macha. Natürlich darf dieser nicht wissen, dass am anderen Ende der Kette Jack steht. Einige Zeit spielt er dieses Spiel und erschleicht sich somit das Vertrauen der drei Eddies. Und dann, eines Tages, verschwindet er mit dem ganzen Geld und lässt die drei Eddies mit einem gigantischen Schuldenberg bei Macha zurück. Macha lässt sie foltern, bis sie gestehen, die Geschäfte mit Jack getätigt zu haben. Anschliessend werden sie erschossen.

Das wahre Schachspiel beginnt, als Jack in Machas Casino erscheint und durch ein "wenig Demütigung und Geldverlust" auch an ihm Rache üben will. Das ist Mr. Gold, der aus ihm spricht. Sein Ego. Der Teufel. Aus Sicht des Teufels ist "Demütigung und Geldverlust" das Schlimmste, das einem widerfahren kann oder das man jemandem antun kann. Das reflektiert sich gleich zweimal im Film: Zack und Avi planen nämlich auch, mittels "Demut und Geldverlust" Jacks Seele für sich zu gewinnen und Mr. Machas Gold zu bekämpfen. Der Schachzug von Jack stellt sich als nicht besonders clever heraus, da Macha unverzüglich entscheidet, ihn umbringen zu lassen.

Von nun an wird die Schachinterpretation essenziell. Avi und Zack spielen Schwarz, Jack ist ihr König. Mr. Gold spielt Weiss und sein König ist Macha. Entscheidend für diese Story ist, dass Jack als König nicht getötet werden kann und Zack/Avi dafür sorgen werden.

Als Jack das Casino verlässt, begegnet er Zack und kurz darauf wird er ohnmächtig. Ihm wird gesagt, dass er eine tödliche Krankheit hat und ihm nur noch drei Tage bleiben. Man könnte jetzt argumentieren, dass das von Zack/Avi bloss eingefädelt wurde, um Jack unter Kontrolle zu bringen. Ich bevorzuge die Schachinterpretation: Macha hat entschieden, Jack mit drei Zügen "Matt" zu setzen. Indem er seine Königin (Sorter, der Schütze) auf ihn hetzt. Wenn Jack nicht auf das Angebot bzw. die Unterstützung von Zack/Avi eingeht, wird er "Schachmatt" gesetzt. Entscheidend ist auch, dass Macha denkt, Jack sei ein Bauer (und kein König). Dies gibt er ihm bei ihrem Aufeinandertreffen im Casino unmissverständlich zu verstehen. Er denkt, Jack sei ein "Arbeiter" und vertraut darauf, dass Sorter (seine Königin), ihn töten wird. Ist es im alltäglichen Leben nicht oft so, dass wir Menschen unterschätzen? Überraschenderweise ziehlt Sorter drei Mal daneben.

Avi und Zack tragen hier hauptsächlich den Kampf gegen Mr. Gold aus und können voraussehen - so wie ein Schachspieler weiss, dass er einen bestimmten Zug nicht machen darf, da er seinen König damit gefährden oder in eine unvorteilhafte Lage bringen könnte. Es scheint so, als ob Zack und Avi übernatürliche Fähigkeiten hätten. Das zeigt sich später im Film: Wir sehen, wie Jack ein Gebäude verlässt und von einem Auto überfahren wird. In der nächsten Szene wiederholt sich das Ganze, aber er erhält einen Anruf von Avi/Zack, der den Unfall verhindert. Jack wird weiterhin durch Mr. Gold kontrolliert und versteht nicht die wahre Natur des Spiels und dass er als Hauptfigur darin involviert ist.

Regel Nr. 1: Du wirst nur schlauer, wenn du gegen schlauere Gegner spielst. Regel Nr. 2: Je raffinierter das Spiel, desto raffinierter auch der Gegner.

Jack, der auch weiterhin einen starken Mr. Gold in sich trägt, akzeptiert nun, dass seine einzige Rettung vor dem sicheren Tod darin besteht, Zacks und Avis Hilfe anzunehmen und deren Ratschläge zu befolgen. Während den nächsten drei Tagen bringen sie ihn dazu, sein ganzes Vermögen verzweifelten Geschäftsmännern zu leihen, ohne reale Aussicht auf Rückzahlung. Jack ist überzeugt, dass er bald sterben wird. Dennoch fällt es ihm extrem schwer, sein ganzes Geld weg zu geben. Und zwar nicht alles auf einmal, sondern stückweise. So blutet er länger. Jack wirkt buchstäblich wie ein Süchtiger, der gerade auf Entzug ist. Aber Zack und Avi versuchen lediglich, seinen Mr. Gold zu verletzen und zu bekämpfen - mit "ein wenig Demütigung und Geldverlust". Später im Film wird er von Zack und Avi geprüft und er besteht die Prüfung: Er hat seine Gier abgelegt. Er weigert sich, den Hund der alten Dame mitzunehmen und er weigert sich, dem asiatischen Geschäftsmann ins Knie zu schiessen. Er hat seine Gier verloren und es kümmert ihn offensichtlich nicht mehr, ob er sein Geld zurück erhält.

In der Zwischenzeit beschäftigen sich Jack und Avi damit, wie sie Machas Mr. Gold "Schachmatt" setzen können, indem sie seine Drogen stehlen. In dieser Szene sehen wir Lord John, den asiatischen Drogendealer, der genau so einen grossen Mr. Gold in sich trägt wie Macha. Wir sehen, wie beide in der exakt selben Art und Weise reagieren. Es scheint so, als seien Macha und Lord John Gegner. Das sind sie jedoch keinesfalls. Beide spielen im selben Team - in Team Weiss. Unter der Aufsicht von Mr. Gold. Im Schachspiel kommt es oft vor, dass uns unsere eigenen Figuren im Weg stehen. Sie hindern uns daran, den Gegner zu attackieren oder ihn effizient zu verteidigen. Wir stehen uns selbst im Weg.

Da wir uns langsam dem Ende nähern, müssen wir noch einige Dinge bezüglich Mr. Gold klären. Mr. Gold ist so etwas wie Gott im Sinne aller Gläubigen. Gott hat die Welt und die Menschen in seinem Sinne erschaffen. In diesem Film ist der Teufel der Drahtzieher - Mr. Gold. Er bestimmt die Stadt und die Spielregeln. Geld, Gier, Macht, Anerkennung, Konkurrenz.

Mrs. Walker ist möglicherweise die überzeugendste Darstellerin in diesem Film. Sie repräsentiert die Dienerin des Teufels (Mr. Gold). Etwa so, wie der Papst seinen Gott repräsentiert. Sie tritt nur selten auf. Aber ist euch aufgefallen, in welcher Umgebung? Ähnelt stark dem Vatikan. Sie ist "die Gesandte des Höchsten".

Man findet immer einen würdigen Gegner. Vorallem dort, wo man ihn am wenigsten erwartet.

Und nun die entscheidende Szene: Zack und Avi spielen Golf auf dem Dach eines Hotels. Sie beantworten Jacks Fragen und sagen ihm, dass sich der eigentliche Feind nur in seinem Kopf befindet. Sein Feind versteckt sich hinter seinem Schmerz und seiner Angst. Sein Schmerz und seine Angst geben Mr. Gold power. Jack wird von seinem Schmerz und seiner Angst angetrieben. Sein Ego sagt ihm: "Du musst Rache üben, du musst anderen weh tun, sie sollen leiden." Sie machen ihm klar, dass er niemals frei sein wird und sein lebenlang in einem Gefängnis steckt, solange er von Mr. Gold kontrolliert wird und er diese Gedanken nicht loslässt - sich von seiner Gier, Wut und seinem Anerkennungszwang befreit.

Du kannst dein Leben nur dann kontrollieren, wenn du das änderst, was dein Leben kontrolliert.

In der finalen Szene steht Jack Macha gegenüber. Jack hat seine Lektionen gelernt und hat Abschied genommen - von seinem Ego, seinen Gedanken und Mr. Gold. Macha ist weiterhin von Mr. Gold besessen. Obwohl Mr. Gold nur ein Hirngespinst ist (niemand hat ihn je gesehen), entscheidet sich Macha aus Angst dafür, sich sein eigenes Leben zu nehmen. Und hier kommen wir wieder zum Anfang der Geschichte:

Du bist, was du denkst.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News