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Richard Linklater - Traumkino

29.10.2016 - 17:32 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Vielleicht möcht es ja noch einer lesen. :-)

hier das Original: Klick Klick

Ich fühle mich benommen und verwirrt. Was zum Geier ist hier los? Junge Frauen mit Ketchup und Senf bewaffnet, erniedrigen unschuldige Mädchen. Jugendliche Männer jagen, die Paddel schwingend, hilflose kleine Jungen. Alle sind ausgelassen. Ich befinde mich auf einem Schulgelände mit angrenzendem Footballfeld. „Freshman, halte deinen Arsch bereit.“ Fies lachend, fast dem Wahnsinn nahe, kommt jemand auf mich zu gerannt. Er hat lange braune Haare, verdeckt unter einer längst aus der Mode gekommenen graukarierten Schirmmütze, trägt ein T-Shirt mit Hanfblattaufdruck und eine weite Schlaghose. Das kommt mir bekannt vor. „Freshman, Hazing-Zeit… Halt! Wer bist du denn? Du solltest viel jünger und kleiner sein. Tsää, verrückt! Habe ich was verpeilt? Ich befürchte, ich nehme meine Rolle zu ernst. Hallo, ich bin Rory! Warum stehst du nicht im Drehbuch?“ fragt er mich mit kleinen Augen, aber plötzlich sehr normal wirkend. „Wie bitte? Welches Drehbuch?“

Der Bekiffte und ich laufen einen Waldweg entlang, stets in Richtung vereinzelter am Horizont emporragender Türme. Rory erzählt: „Das wird auf jeden Fall die beste Party, die es jemals geben wird. Wir treffen Mitch, Randall, Pink und Milla Jovovich. Du bist auf der Suche, man! Nach demjenigen, der diese Welt erschaffen hat. Er ist der Chef. Er gibt Hinweise für unser Verhalten. Er füllt unsere Persönlichkeiten mit seinen Inspirationen und legt uns Worte in den Mund. Durch viel Mut, Innovation und Leidenschaft hat er dieses Werk hervorgebracht. Ach ja, du träumst!“ Mit einem verschmitzten Lächeln verbunden, zwinkert er mir zu und läuft schneller. Ich kann ihm nicht folgen. „Wie, ich träume?“ rufe ich hinterher. „Denk doch mal nach! Warum sollte ich deutsch-synchronisiert sprechen? Das ist übrigens nicht Aktion Lieblingsfilm, du Lümmel!“

Zwei Kinder spielen Himmel und Hölle. Nach mehrmaligem Durchzählen klappt das Mädchen eine Ecke des gefalteten Papiers nach oben und liest mit sanfter Stimme: „Träumen ist Schicksal!“ „Träumen ist Schicksal?“ fragen der Junge und ich gleichzeitig. Der Junge schwebt in die Lüfte. Das kommt mir bekannt vor. „Natürlich kommt dir das bekannt vor. Du musst verstehen, einen freien Willen gibt es nicht. Alle Menschen unterliegen den gleichen biochemischen Naturprozessen…“ Als sein Kopf passend zu seinen Worten durch ein sich drehendes Zahnrad ersetzt und sein transparenter Körper mit vielen kleinen roten Blitzen durchdrungen wird, unterbreche ich ihn lieber: „Schluss! Das habe ich schon viele Male gehört.“ Der Mann begegnet mir überrascht: „Hey, du hast mich gerade bewusst unterbrochen. Das ist ein Fortschritt. Was sind die Merkmale, die den Gesuchten so einzigartig und besonders machen? Was macht seinen Stil aus? Das Minimale – wir brauchen keine ausschweifende Handlung. Das Philosophische – wir brauchen keine klaren Antworten. Das Vertuschen des Realen – oder warum glaubst du, bin ich und meine Umwelt in ständiger Bewegung? Das Thema der Träumenden. Dir ist doch klar, dass du von einem traumhaften Film, in dem geträumt und über Träume an sich und Leben in der Realität gesprochen wird, träumst? Und nun klar träumst? Das wichtigste sind die Wirkungen, welche in Dir ausgelöst werden und Dich und Dein Leben beeinflussen!“ Ich brauche Einsicht und wünsche mir…

Ein wunderschöner Ort. Vor mir eine enge Gasse, umlagert von gotischen Gemäuern. Bevor ich sie betrete, schaue ich nach links: Über dem Schloss Belvedere erhebt sich langsam die Sonne. Ich schaue nach rechts: Hinter dem Eiffelturm schimmert der Sonnenuntergang. Es ist kurz vor Mitternacht. Ich richte den Blick auf die Gasse. Da sind sie, Jesse und Celine, Ethan und Julie. Als beide auf mich zukommen, ergreift Julie das Wort: „Bevor du deiner Sehnsucht nachgehen kannst und mit uns Zwei durch die Welt spazierst, unseren Stimmen lauschst, dich in unser Gespräch einbindest, ein Teil von uns wirst – müssen wir noch klären, warum du eigentlich hier bist.“ „Ich bin auf der Suche. Ganz klar, auf der Suche nach euch! Ihr seid meine Helden, meine Vorbilder, meine Lieblingsstars, meine…“ Julie unterbricht mich: „Nein. Das sind wir nicht. Nicht umsonst bist du Rory Cochrane, den spielenden Kindern und dem rotoskopierten Philosophen begegnet. Dein Unterbewusstsein möchte dich zu unserem Schöpfer führen. Denn er trägt den wesentlichen Teil der Verantwortung für das große Ganze.“ erklärt Celine. „Selbst Tarantino hatte einen feuchten Traum wegen diesem Autodidakt. Mittlerweile musst du es doch wissen,“ ergänzt Jack Black lachend. Und ich weiß es tatsächlich. „Aber wieso ist er mein Lieblingsstar?“

Ich bin allein. Ich spreche zu mir selbst in den Spiegel: „Richard Linklater hat es geschafft, mich mit geringsten Mitteln der Handlungsarmut, der Philosophie und der Animation großartig zu unterhalten und mich, neben meinen Hauptaktivitäten ‘Bespaßung und Geld essen’, zum Nachdenken anzuregen – über grundlegende Fragen von Existenz und Sozialität. Aus Nachdenken entsteht Engagement. Aus Engagement entsteht Verbesserung…“

Es klingelt. Ich kann die Uhrzeit noch nicht klar erkennen. Eine Notiz von meinem Handywecker erinnert mich an die „Aktion Lieblingsstar“. Als Inspiration schaue ich Waking Life von Richard Linklater. Dann beginne ich zu schreiben… Ich fühle mich benommen und verwirrt.


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