Rocket League hat FIFA & PES für mich ersetzt

25.12.2015 - 09:00 Uhr
Ist das noch Fußball? Aber hallo!
Psyonix
Ist das noch Fußball? Aber hallo!
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In Rocket League wird zwar nur eine explosive Metallkugel von düsenden Kleinstwagen über den Rasen geschoben, dennoch bleibt es Fußball. Und meiner Meinung nach ist dieser Fußball sogar ehrlicher und packender als er bei FIFA oder PES präsentiert wird.

Ich bin wirklich kein guter Fußballspieler. Meine Kondition lässt zu wünschen übrig und auch wenn ich mit meinen 1,95m recht groß geraten bin, landen meine Kopfbälle standesgemäß in den Fensterscheiben meiner Nachbarn. Trotzdem lasse ich hin und wieder zu kleinen Bolzeinlagen mit meinen Freunden ein, wenn wir in Berlin einen freien Platz finden. Den Rest der Zeit habe ich in den letzten Jahren aber lieber mit Fußballsimulationen verbracht.

Das Runde muss ins Eckige, aber mit dem Auto

Und wer Fußballsimulationen erwähnt, braucht nicht lange auf eine ganz bestimmte Frage zu warten: Was ist besser, FIFA oder PES? Die Frage kann ich euch aber leicht beantworten: Rocket League! Ja, ihr habt richtig gelesen, mittlerweile hat sich Rocket League mit seinen knatternden Raketenautos für mich zur deutlich besseren Alternative gemausert, wenn es um den digitalen Rasensport geht. Aber wie kann ich blöder Idiot, der bestimmt keine Ahnung von Fußball hat, behaupten, dass Rocket League überhaupt etwas mit Fußball zu tun hat? Nur weil da Tore sind, oder wie?

Zuallererst möchte ich festhalten, dass ich zwar kein Experte bin, aber dennoch ein taktisches Grundverständnis besitze, das mich begreifen lässt, dass Fußball vielleicht doch mehr ist als nur 22 Menschen, die stupide einem Ball hinterherlaufen. Als ich nicht mehr die Möglichkeit hatte, jeden Nachmittag auf dem alten Sportplatz in meinem Heimatdorf gegen das Leder zu treten, habe ich angefangen mich mit Simulationen zu beschäftigen. Angefangen mit Nintendo World Cup, Kick Off und International Superstar Soccer habe ich mich dann aber schnell auf die Pro Evolution-Reihe eingeschossen. Nur vereinzelt gab es Ausflüge ins FIFA-Lager, vor allem wenn es um den Hallenfußball ging.

International Superstar Soccer Deluxe

Der Grund, warum ich jahrelang bei PES hängen geblieben bin, lässt sich nicht einfach auf die bessere Ballphysik oder die sauberen Mechaniken herunterbrechen. Mir war das Franchise immer lieb, weil es dank fehlender Lizenzen auf die vielen Dinge verzichtete, die mich am Fußball stören. Nichts nervt mich mehr als Personenkult, Klubtradition oder aufgesetzte Turniere, die mit Sponsoren und Werbung überladen sind. Ich habe keine Ahnung, wer gerade der aufstrebende Mittelfeldstratege beim PSV Eindhoven ist und das interessiert mich auch nicht (offenbar ein Davy Pröpper, der von Vitesse Arnheim kam). Der Transferzirkus und die Stars dieser Welt lenken mich nur vom eigentlichen Sport ab.

Konami durfte die offiziellen Namen meist nicht verwenden und ich bekam ersatzweise Fantasie-Fußballer, die sich schlicht durch ihre Fähigkeiten hervorgetan und den Fußball für mich irgendwie geerdet haben. Castolo, Minanda und Co. waren Athleten, die nicht allein durch ihren Namen schon an Marktwert gewannen, sondern sie waren sympathische Allerweltsgesichter, die den Sport auf das Nötigste reduziert haben. Was ich aber viele Jahre nicht wusste: Ich wollte noch mehr Reduzierung. Ich wollte noch mehr Purismus und Einfachheit. Ich wollte Rocket League.

Denn plötzlich wurden auch noch die letzten Restbestände der gesellschaftlichen Institution Fußball aus dem Sport entfernt und sogar die Fußballer wurden durch Raketenautos ersetzt. Die klassischen Regeln wurden ebenfalls auf das Minimum heruntergekocht und meine ersten Rocket League-Matches erinnerten mich an meine wochenendlichen Ausflüge auf den Kunstrasen, auf dem weniger Taktik als Spaß und individuelle Technik auf dem Plan stehen. Mich in Rocket League zu verlieren, bedeutet für mich immer auch eine kleine Rückkehr auf den Bolzplatz, auf dem alle gleichzeitig an den Ball wollen, was aber nur den Schnellen und Cleveren gelingt. Also nicht mir.

Die wunderbare Leichtigkeit des Kickens

In Rocket League bin ich an kein 4-4-2 gebunden und erlebe den turbinengetränkten Straßenfußball aus einer persönlichen Sichtweise. Ähnliches gibt es zwar auch mit dem Be A Pro-Modus der FIFA-Reihe, aber auch da bin ich an das allgemeine Teamgefüge gebunden und muss meine taktische Aufgabe über meine persönliche Beteiligung am Geschehen stellen. Zwar sollte auch in Rocket League immer jemand im Tor warten, doch die hektischen Konter bedeuten immer, dass es nur Momente dauert, bis ich wieder nach vorn preschen darf, um selbst direkt auf den Spielverlauf einzuwirken.

Durch den Wechsel auf boostgeladene Boliden fällt die Bewegung zwar etwas schwerfälliger aus, da die Drehung auf dem Punkt nicht mehr möglich ist, dafür geht es jetzt um sprintgetriebene Vorstöße und "körperbetonte" Zweikämpfe. Genau so spiele ich meinen Fußball, wenn ich selbst auf dem Platz stehe und nicht an strategische Feinheiten denke, sondern ganz in der Essenz des Sports versinke. Rocket League hat mit der Bundesliga, der Champions League oder der Weltmeisterschaft rein gar nichts zu tun. Hier geht es nicht um methodischen Erfolgsfußball, sondern um auf dem Boden gebliebene Freude am Balltritt, auch wenn wir dafür manchmal in die Luft gehen müssen. Ganz abstrakt betrachtet, werden wir in Rocket League auf den Fuß reduziert, der im Gemenge nach dem Ball stochert und dann mit der Pieke nach vorn drischt.

Rocket League als Überflieger

Weder ist die Ballphysik realistisch, noch ist die Glaubwürdigkeit der Animationen von Bedeutung. Rocket League befreit den Fußball von seiner prätentiösen Schwere und macht das Spieler wieder dynamischer, schneller und befriedigender. Trotz der massiven Änderungen an der Grundformel, die durch die Luft fliegende Autos nun einmal bewirken, hat Rocket League den Kern des Sports nie aus den Augen verloren und mir mit voller Wucht am Rockzipfel gezogen, um mir noch einmal schnoddrig zu erklären, warum mir Fußball eigentlich Spaß macht.

Rocket League ist nicht so steif wie es FIFA und PES bis heute sind, es ist humorvoll und vor allem keine selbstgefällige Zelebrierung eines vermeintlichen Weltsports. Der Einstieg fällt jedem leicht und trotzdem schaffen es der motivierende Wettkampf und die ungewohnte Bewegungsfreiheit, die fehlende Taktik der Matches auszugleichen. Wer wirklich besser werden will, der schafft es auch. Doch anstatt auf Zahlenschiebereien zu setzen, fördert Rocket League die individuelle Technik und den persönlichen Umgang mit dem Ball. Endlich bin ich wieder hinter der Turnhalle auf dem alten Sportplatz und kann blindlings auf das Tor dreschen.

Das ist vielleicht kein schöner Fußball, aber es ist meiner.

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