Schattenmoor: ProSiebens Mystery-Event vereint das Schlimmste von Netflix

11.12.2019 - 08:50 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
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Was passiert, wenn ProSieben plötzlich Konzepte von Netflix und Co. kopiert? Schattenmoor ist genau so ein Fall. Das könnte spannend sein, wäre der Mystery-Thriller nicht eine einzige Anhäufung ausgeleierter Klischees.

ProSieben hat mit Schattenmoor ein ungewöhnliches Projekt an den Start gebracht: Acht Mystery-Häppchen auf der Online-Plattform, jedes endet mit einem Cliffhanger. Am heutigen Abend läuft die Episoden dann als Film mitsamt der Auflösung im Fernsehen. Wie gut dieses Experiment bislang funktioniert hat, lest ihr hier.

Schattenmoor hat wenig zu erzählen, sieht aber immerhin nett aus

Beginnen wir, anders als Schattenmoor, am Anfang. Die Stipendiatin Emma (Caroline Hartig) kommt auf dem Internat Schattenmoor an und erlebt einen Schock: Sie sieht einem Mädchen, das seit ein paar Wochen vermisst wird, zum Verwechseln ähnlich. Ann-Sophie, der Schülersprecherin, um genau zu sein.

Ab hier geht es los mit dem großen Mysterium. Woher die Ähnlichkeit? Was ist Ann-Sophie passiert? Was sollen Emmas merkwürdige Visionen und warum macht ihr ein Unbekannter mit gruseligen Aktionen und einem roten Countdown von 5 bis 0 das Leben zur Hölle?

Ein blutroter Countdown.

Wer sich hiervon viel erhofft, wird relativ schnell enttäuscht. Denn die Handlung aus der Feder der nirgends genannten Drehbuchautoren ist äußerst dünn. Die Geschichte passt auf eine Briefmarke, die Persönlichkeit der Figuren ebenfalls. Kann ich, ehe ich auf die unüberwindbaren Probleme des Thrillers eingehe, noch ein paar positive Dinge nennen? Vielleicht. Wie wäre es damit:

  • Caroline Hartig spielt ihre Doppelrolle souverän und überzeugend engagiert
  • Die Naturaufnahmen sind wirklich hübsch (Meine Idee dabei: Kann mal jemand Ari Aster einen von Richard Attenborough erzählten Moor-Horror-Film pitchen?)
  • Die Jägermeister-Werbung zwischendurch passte erstaunlich perfekt zum Flair

Schattenmoor oder auch: Klischees ohne Ende

Innerhalb der ersten halben Stunde wird klar: Schattenmoor ist ein Highschool-Abklatsch, der vor allem deswegen niemanden in seinen Bann zieht, weil die Figuren nicht viel mehr sind als billige Abziehbilder.

Hauptfigur Emma besitzt die meiste Zeit zwei Charaktereigenschaften, nämlich "verwirrt" und "panisch". Darüber hinaus entwickelt sie kaum Persönlichkeit.

Ihre Mitschüler sind eine bunte Parade aller nur erdenklichen Charakterklischees, die schon in den 80ern nicht mehr originell waren: Die oberflächlichen Zicken sind oberflächlich und zickig. Die skrupellose Oberschlampe ist skrupellos, manipulativ und eine Schlampe. Ihr Freund (Timur Bartels) ist doof, aber beliebt und der Schul-Bully Nummer 1.

Leon (David Hugo Schmitz) und Emma (Caroline Hartig)

Emmas Freunde sind nicht besser: Da ist der Nette (David Hugo Schmitz), der Nerd mit Pullunder und Brille, der innerhalb seiner ersten zwei Sätze die Begriffe "zocken" und "Super Mario" einbringt. Und natürlich die schräge Künstlerin (Farina Flebbe), die gegen das System und das Patriarchat kämpft, Penisse modelliert und anschließend kaputthaut.

Ausgelutschte Horror-Elemente, wo man nur hinsieht

"Gänsehaut garantiert" verspricht die Beschreibung des Serien-Spielfilms auf der ProSieben-Website. Doch irgendwie ist an den Machern vorbeigegangen, dass bestimmte Horror- und Mystery-Elemente inzwischen schon tausendmal gezeigt wurden.

Schattenmoor schüttet uns mit abgegriffenen Horrorklischees zu, die einzeln kein Problem wären, gäbe es daneben noch frische neue Ideen. Doch in ihrer Häufung sorgen sie statt für Gänsehaut für großes Gähnen. Dabei bräuchte es bei einem Angsthasen wie mir wirklich nicht viel, um mich das Gruseln zu lehren. Stattdessen habe ich mich gelangweilt bei:

  • Blut im Waschbecken und blutigen Ziffern für einen ominösen Countdown
  • leiernder Spieluhrmusik für die Atmosphäre
  • ekligen Tiere in Schränken
  • ganz in schwarz gekleideten, mit Kapuzen vermummten Stalkern
  • Visionen und Albträume, deren Bilder viel zu zahm bleiben
  • Protagonisten, die auf der Flucht vor potentiellen Mördern das Laufen verlernen

Schattenmoor will Netflix-Formeln kopieren und vergisst die besten Elemente

Irgendwie wirkt Schattenmoor in seinen Anleihen stets bemüht (Zeugnis-Witz beabsichtigt), erfolgreichere Young Adult-Dramen und Mystery zu kopieren. Das Rätsel um Ann-Sophies Verschwinden erinnert stark an Tote Mädchen lügen nicht, die Rätsel im Moor muten sehr Dark-mäßig an.

Schlangen im Schrank in Schattenmoor

Doch ungünstigerweise übernimmt Schattenmoor dabei hauptsächlich die problematischen Aspekte und lässt die Guten liegen.

Tote Mädchen Lügen nicht hatte zwar nicht die originellsten Figuren, aber immerhin wirkten sie wie reale Personen und Hannah tat einem irgendwo leid. Schattenmoor bettelt uns ständig an, in „Ann Sophies Vergangenheit einzutauchen“. Doch die Serie vermittelt mit jeder einzelnen Rückblende zu Ann-Sophie, wie absolut widerwärtig sie war. Ich war froh, dass die hochnäsige Tyrannin verschwunden blieb.

Vom Dark-Stil guckt sich Schattenmoor lediglich die unsympathischen Figuren und das vage unheimliche Setting ab, lässt dabei aber die kreativen Rätsel und Ideen vermissen.

Besonders problematisch wird es, wenn die Serie auch noch Logikprobleme seiner Vorbilder aufgreift. Sprich: Völlig unlogisches Verhalten ihrer Figuren. Wenn den Protagonisten beispielsweise Straftaten angetan werden, wendet sich niemand an einen Erwachsenen. Die glorreiche Begründung: "Das ganze System ist eine Lüge!" Alles klar.

Schattenmoor soll erwachsen und düster sein, findet aber keinen einheitlichen Ton

Bei all den Problemen lässt uns Schattenmoor mit einem merkwürdigen Genremix zurück, der sich regelmäßig im Ton vergreift und selbst nicht genau weiß, was er sein will. Gesellschaftskritik, Teenie-Drama oder doch wirklich erwachsener Thriller?

Ungefähr wie Leon habe ich auch geschaut zum Schluss.

Die Gewaltdarstellungen bleiben handzahm, manche Schulszenen scheinen eher einem Schloss Einstein entliehen, und dann wird ab und an eine unangenehme Sexszene eingestreut, die so gar nicht ins Bild passen will. Falls hier die berühmte Game of Thrones-Technik der Sex-position angewendet werden sollte, ist es gründlich schiefgegangen.

Die 8. Episode endet mit einem Schuss. Nun soll ich auf eine große Auflösung warten. Ich vermute inzwischen, dass sie folgendermaßen lauten wird: Alle Leute an der Schule haben einer gehirngewaschenen Ann-Sophie eine Horrorscharade präsentiert, um sich zu rächen. Das wäre herzlich unkreativ und leicht durchschaubar, würde also perfekt passen.

Aber vielleicht werde ich ja positiv überrascht.

Ach, ja. Eines hätte ich doch gerne aufgeklärt im Finale: Ist dieser Wohnwagen im Wald in Wahrheit Peter Lustigs alter Folterkeller?

Als Grundlage dieses Textes dienten alle acht bisher erschienenen Episoden Schattenmoor.

Wie hat euch ProSiebens Schattenmoor bislang gefallen?

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