Schlock & Pickelkino - Auf der Suche nach den guten Indie-Filmen

03.07.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Und ewig lockt der Indie-Pop. Ich habe mich beim Filmfest München auf die Suche nach dem guten US-amerikanischen Kino begeben. Ein schwieriges Unterfangen.

Filmfestivals wollen ganz offensichtlich Teil des Kunstgewerbes sein. Die großen Festivals wie Cannes und Berlin haben zu Promotionzwecken zwar den einen oder anderen Blockbuster im Programm, aber die Preise gewinnen andere Filme. Jetzt möchte ich keinesfalls in der Bredouille landen, eine Grenze zwischen Kunst und "Mainstream" ziehen zu müssen. Viel eher zeigt ja das künstlerische Interesse der großen Festivals, dass selbst im Multimillionen-Dollar-Film ein besonderer Blick auf unsere Welt und ein ästhetisches Wagnis stecken können. Dieser besondere Blick findet sich am besten, wenn möglichst unterschiedliche Perspektiven miteinbezogen werden. Deshalb haben viele Festivals auch das Interesse ein breites Spektrum an Produktionsländern anzubieten. Ein Film aus Südostasien zeigt sicherlich eine andere Welt als ein Film, der in Berlin-Kreuzberg gedreht wurde. Die Sache mit dem ästhetischen Wagnis ist dagegen weitaus kniffliger zu fassen. Wenn ein Film aussieht wie noch kein anderer zuvor, dann ist das schon mal ein gutes Zeichen.

Indie-Filme - Bojen der Vertrautheit

Ehrlich gesagt möchte ich aber gar nicht permanent mit dem völlig Neuen, Ungewöhnlichen und Unfassbaren konfrontiert werden. Wie bei einem guten Mixtape folgt auch ein guter Festivalplan einer gewissen Dramaturgie. Es gibt Filme, die eignen sich gut als Einstieg in den Tag oder als Energizer am frühen Abend. Leider diktieren die eigenen Vorlieben und das Festivalprogramm die Reihenfolge der Vorstellungen weitestgehend. Ein Tag, der aus fünf Filmvorführungen besteht, die allesamt die Grenzen des bisher Gesehenen sprengen, wäre schrecklich. Ich könnte all diese Eindrücke weder sinnvoll verarbeiten, noch ausreichend schätzen. Deswegen lohnt es sich, Bojen der Vertrautheit im Meer der Festival-Ungewissheit auszusetzen. Und da kommt das US-amerikanische Kino ins Spiel.

Ich meine damit keine Blockbuster, sondern vornehmlich Indie-Filme, die ein paar Millionen Dollar gekostet haben. Neben dem deutschen Film dominiert das US-Kino als zweitstärkste Kraft das Programm des Filmfest Münchens, dessen 34. Ausgabe gestern endete. Wie beim erwähnten Mixtape ist der US-Indie wie der Song, den du schon ewig kennst und der die vorher gespielte Salve neuer Musik mit dem warmen Gefühl des Bekannten nachträglich belegt. Ich möchte hier das US-Kino in all seiner Vielfalt einbeziehen: Indies, Genrefilme und mittlere Studiofilme. Die Vertrautheit kommt eher durch die Kenntnis der Sprache und des Großteils der kulturellen Codes. "Ah, der ist von dieser Regisseurin." oder "Oh, der hat in Sundance gewonnen, guter Fluff für zwischendurch."

Selbst schon auf den ersten Blick zum Scheitern verurteile Biopics, deren konventionelle Form bereits von weitem ersichtlich ist, werden zu erwünschtem Vergnügen. Robert Budreaus Born to be Blue über den Jazzmusiker Chet Baker ist in seinen besten Momenten ein gemütliches Easy-Listening-Stück. Das anfängliche Spiel mit einer Art Film-im-Film-Ebene lässt Born to be Blue schnell wieder fallen und verschreibt sich völlig der gewohnten Rise-and-Fall-Dramaturgie solcher Musik-Biopics, inklusive Heroinsucht und der großen Liebe als Rettung. Ethan Hawkes Oscar-Nominierung ist so sicher, dass der Verleih sie eigentlich schon vorsorglich aufs Filmposter drucken könnte.

Die erhoffte Genre-Rettung?

Nach diesem visualisierten Wikipedia-Artikel ohne Quellenangaben habe ich mich zur Abwechslung an die US-Genre-Front getraut. Als erstes löste ich ein Ticket für den von Taxi Driver-Autor Paul Schrader inszenierten Dog Eat Dog mit Nicolas Cage und Willem Dafoe. Drei Gangster kommen aus dem Knast und planen das größte Ding ihrer Karriere, was natürlich ordentlich nach hinten losgeht. Ähnlich wie Born To Be Blue folgt Dog Eat Dog den ungeschriebenen Gesetzen seines Genres. Schwarzer Humor und deftige Gewalt wechseln sich ab, ergeben aber letztendlich nur pubertäres Pickelkino. Allenfalls Dafoe und Cage retten den Film vor seiner DTV -esken Austauschbarkeit. Das in blau-roten Nebel getauchte Finale erinnert darüber hinaus nochmal an Schraders durchaus fruchtbare Liebe zum späten Film Noir und seinen todgeweihten Psychopathen als Helden.

Direct-To-Video scheint auch das Schicksal meines zweiten Genre-Besuchs, Andy Goddards Patricia Highsmith-Adaption A Kind of Murder, zu sein. Leider ist die wundervolle Besetzung, allen voran Patrick Wilson und Eddie Marsan, dazu verdammt sich durch leblose, durch den Computer gezogene 50er-Jahre-Kulissen zu bewegen, die Mad Men nicht ansatzweise das Wasser reichen können. Walter Stackhouse, Architekt, Krimiautor, unglücklich verheirat, ist fasziniert vom Mord der Ehefrau Melchior Kimmels. Walter ist überzeugt, dass Melchior der Mörder ist. Als Walters Frau allerdings ums Leben kommt, wird die Polizei auf ihn aufmerksam. Im Grunde stellt A Kind of Murder die Frage, wann der bloße Mordwunsch schon zur hinreichenden Bedingung der Tat wird. Zur Beantwortung würde ich das nächste Mal aber eher einen philosophischen Essay heranziehen als diesen halbherzig heruntergekurbelten Krimi-Schlock.

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