Seid froh, dass uns die SOMA-Macher angelogen haben

05.10.2015 - 18:20 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Ist das noch Horror?
Frictional Games
Ist das noch Horror?
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Ich finde, SOMA ist gar kein Horrorspiel und hat seine Stärken ganz woanders. Aber ich bin dennoch froh, dass die Entwickler trotzdem behaupten, dass wir uns alle zu Tode ängstigen werden. Sonst hätte niemand Lust auf das Spiel.

Es hat zwar etwas länger gedauert, als ich anfangs dachte, aber jetzt habe auch ich endlich das Ende von SOMA gesehen, dem heißerwarteten Unterwasser-Horrortrip der Macher von Amnesia: The Dark Descent. Die Erwartungen im Vorfeld waren gigantisch, schließlich hat der Herrenhausgrusel von Amnesia fast im Alleingang dafür gesorgt, dass die Indie-Szene mit dem Horror-Genre eine weitere Nische gefunden hat, in der sie mit dem AAA-Markt konkurrieren kann. Und wenn es um Indie-Horror geht, sind die Entwickler von Frictional Games mittlerweile eben eine echte Hausmarke.

Die falsche Angst vor der Angst

Aber Hannes, werdet ihr jetzt sicher fragen wollen, ist SOMA denn nun ein gutes Spiel? Hast du dich ordentlich gegruselt? SOMA ist sogar ein ziemlich großartiges Spiel und wenn Bloodborne, beziehungsweise Rocket League nicht wären, dann säße SOMA schon jetzt ganz oben auf meiner Jahresendliste. Aber eine Sache ist dann doch ein bisschen verrückt: Ich finde nämlich, dass SOMA gar kein Horrorspiel ist. Ich kann mich an vielleicht 2-3 Sequenzen erinnern, die über Angespanntheit hinausgingen und so etwas wie Nervosität hervorgerufen haben. Ich habe mich aber weder erschreckt, noch wirklich Angst empfunden und dennoch ist SOMA alles andere als eine Enttäuschung.

Tatsächlich sind die Horrorelemente, die SOMA durchaus hat, die schwächsten Momente des Spiels. Die eigentlichen Stärken sind ganz woanders zu finden und niemand weiß das besser als die Entwickler selbst. In SOMA geht es nämlich nicht darum, dass ihr euch in der ewignassen Beklemmnis einer Unterwasser-Forschungsstation zu Tode ängstigt. Trotz flackernder Lichter, wimmernden Leichen und KI-Monstern ist SOMA dann am spannendsten, wenn ihr sicher und ohne Bedrängnis die Räumlichkeiten erkundet, in vollkommener Ruhe Schubladen öffnet oder auf dem Meeresboden an winkenden Krabben vorbeischlendert.

Die Abschnitte auf dem Meeresboden erinnern an neugierige Spaziergänge

SOMA ist ein interaktiver SciFi-Roman, der sich großzügig an Philip K. Dick  bedient und ein philosophisches Gedankenexperiment präsentiert, das zwar hinlänglich bekannte Grundfragen in den Raum stellt, diesen aber derart spannend nachgeht, dass sich viele Spieler vorsorglich schon mal für den Philosophie-Grundkurs an der Abendschule einschreiben werden. Die Frage danach, was einen Menschen ausmacht und ob es für das Menschsein einen organischen Körper braucht, wird keine Diskussion über etwas entfachen, was nicht schon tausendmal besprochen wurde. Aber die Überlegungen, die das Spiel anregt, sind dennoch unverändert faszinierend.

Ich habe mich über 15 Stunden mit dem Spiel beschäftigt und die meiste Zeit über habe ich nur auf Dokumente gestarrt, E-Mails gelesen, Tagebucheinträge verfolgt und Audio-Clips gelauscht. Ich wurde tief in das Spiel gesogen und wollte jedes Detail zur Geschichte und den Hintergründen aufsaugen. Was ist die WAU wirklich? Bin ich ein Mensch? Ist ein Leben lebenswert, wenn es doch eigentlich nur die Kopie eines anderen Lebens ist? Das wunderbare Pacing von SOMA und die cleveren Dialoge lassen uns Stück für Stück immer tiefer in diese Thematiken eintauchen und entwerfen dadurch eine innere Konfrontation mit Lebensfragen, die ein Amnesia nie hätte stellen können.

Der Grusel für zwischendurch

Der Horror von SOMA ist hingegen zweitrangig und spielmechanisch simpel gehalten. Ja, es gibt die Spielabschnitte, in denen ein klar definiertes Monster durch die Gänge schlurft und potentiell den Tod bedeuten kann. Es mag auch sein, dass ein unvorbereiteter Spieler zusammenschreckt, wenn er auf ein grässlich deformiertes Roboterwesen trifft, das ungesehen um die Ecke humpelt. Aber diese Sequenzen erfüllen nicht den Zweck echter Schaurigkeit, dafür sind sie viel zu einfach zu umgehen und klar umrissen. Da ist etwas, das mich nicht mag, also schleiche ich vorbei, schließe die Tür hinter mir und das eigentliche Spiel kann weitergehen. Die meisten Monster in SOMA sind blind und reagieren nur auf Geräusche. Wer sich also still verhält, braucht in SOMA vor nichts Angst zu haben.

Und das ist vollkommen ok, denn in diesen Momenten, in denen die wild gewordene KI von Pathos-II nach meinem Leben trachtet, geht es gar nicht um den Selbstzweck des Grusels. Vielmehr sind diese Ausbrüche von möglicher Gewalt nur ein Auswuchs der Kernthematik. Denn was passiert, wenn eine KI die vom Aussterben bedrohte Menschheit zu retten versucht? Kann diese künstliche Intelligenz überhaupt darüber urteilen, was unserer Meinung nach menschliches Leben bedeutet? Sollte der menschliche Geist nicht einfach in Roboter gepfercht werden, die lediglich Strom zu überleben brauchen? Und wenn der Mensch sich nicht freiwillig retten lässt, so gebraucht der digitale Philanthrop eben Gewalt.

Insgesamt wirkt der Horror in SOMA nur als emotionales Aufatmen, eine Verschnaufpause, mit der die von inneren Überlegungen bestimmte Erzählspannung des Spiels aufgelockert werden soll. Ein paar Mal über den Flur gescheucht zu werden, hilft dabei, den Kopf frei zu bekommen, damit wir danach wieder Platz für neue existenzialistische Abzweigungen haben. Aber warum bin ich dann nicht sauer oder empört? Haben die Entwickler von Frictional Games nicht dafür gesorgt, dass SOMA mit schockgeladenen Trailern beworben wurde? Schauen wir uns doch nur einmal den Accolades Trailer an, das jüngste Werbemittel im Zuge des SOMA-Hypes.


Wir sehen kreischende Monster, laute Soundeffekte und zerberstendes Glas. Alles scheint zu zerreißen und mit ausgewählten Zitaten der Fachpresse wird unmissverständlich klar gemacht: SOMA ist eine überwältigende Horror-Erfahrung. Nur ist SOMA das nicht. Zwar sind die Szenen aus dem Trailer auch allesamt im Spiel enthalten, sie sind aber Bestandteile des letzten Spielviertels, als alles bereits seinen Höhepunkt erreicht hat. Es sind narrativ gehaltvolle Geschehnisse, die nicht durch ihren Schockeffekt Eindruck auf uns machen, sondern durch ihre Bedeutung. Das an der Wand krabbelnde Vierauge ist keine echte Bedrohung, sondern die Personifizierung der spielereigenen Motivation, die wir uns langsam erarbeitet haben.

Horror als Trojanisches Pferd

Und bin ich nun sauer? Nein, ich bin sogar heilfroh. Ich bin fast dankbar, dass uns die SOMA-Macher angelogen haben. Denn ohne diese etwas fehlleitende Erwartungshaltung, die bei uns provoziert wurde, wäre aus SOMA kein Erfolg geworden. Schon jetzt hat das Spiel die Zukunft von Frictional Games für zwei weitere Jahre gesichert und das war wohl nur deswegen möglich, weil der Horror, mit dem das Studio geworben hat, eben eine Genreausrichtung ist, die Aufmerksamkeit garantiert. Wären die Entwickler wirklich konsequent gewesen und hätten auf die verzichtbaren Monster.. nunja, verzichtet, dann wäre SOMA in den Augen der Öffentlichkeit nämlich vor allem eines gewesen: Ein Walking Simulator.

Diese stigmatisierte Bezeichnung für "Nicht-Spiele" schreckt die Leute ab. Warum sollen sie denn Geld für ein Spiel ausgeben, das kein wirkliches Gameplay bietet? Nur umherlaufen, Türen öffnen und Briefe lesen, das ist kein Spiel, da ist sich die gemeine Öffentlichkeit sicher. Aber wenn es ein Horrorspiel ist? Dieselben Spielmechaniken aber mit einem Schuss Stealth, der es uns eiskalt den Rücken runterlaufen lässt? Wohooo, ja, dann haben wir ein Spiel! Ein interaktives Survival-Drama, das uns zur Selbsterkenntnis zwingt, lockt niemanden hinter dem Ofen vor. Das mag für kleine Projekte wie Gone Home noch funktionieren, aber langfristige, selbstfinanzierte Titel, mögen sie auch noch so unabhängig sein, brauchen ihre Sicherheiten. Und dann wird aus SOMA eben eine "überwältigende Horror-Erfahrung".

SOMA hat zum Glück die Reichweite bekommen, die das Spiel verdient. Ja, die Entwickler mussten etwas tricksen, aber wer sich das Spiel mit der Hoffnung auf angsterfüllte Abende gekauft hat, bekommt eine ambivalente Grundsatz-Erörterung geboten, die ihn ganz genauso fesseln wird. Wir bekommen vielleicht nicht das, was wir erwartet haben, dürfen aber dafür das spielen, was wir sonst nie gespielt hätten.

Und das wird euch gefallen, da bin ich mir sicher.

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