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Sex im Namen des Krieges

11.02.2015 - 01:56 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Wan Qian in "Paradise in Service"
Honto Production
Wan Qian in "Paradise in Service"
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Der neueste Film eines taiwanesischen Regisseures, mit dem ich bisher eher auf Kriegsfuß stand, hat mich etwas überrascht. Auch Andreas Dresens Teenagerfilm "Als wir träumten" konnte mich überraschen und begeistern - trotz seiner Heftigkeit. Außerdem gab es heute einen Ausflug in die Hochzeit von Technicolorfilmen.

Manchmal kann einem alles zu viel werden. Selbst die schönen Dinge im Leben. Zum Beispiel mit Freunden, Bekannten oder Gleichgesinnten ins Kino zu gehen. Mich stört überhaupt nicht das Filmeschauen. Vielmehr bin ich etwas gestresst von dem ständigen Absprechen (per Telefon, SMS oder WhatsApp), mit wem man sich wo trifft oder welche Filme man noch für wen kaufen muss. Ich war heute in keinem Film alleine, aber immer mit jemand anderem. Nach der Berlinale brauche ich wohl erstmal etwas Zeit. Aber nicht falsch verstehen: Nicht vom Filmeschauen, sondern von den Menschenmassen. Es sind einfach zu viele, die da tagtäglich in die Kinosäle drängen. Mal gesittet und ruhig, mal wie eine wildgewordene Herde von Rindern; immer in Angst, nicht den besten Sitzplatz zu ergattern. Mal ehrlich Leute, in den meisten Kinos kann man doch von fast überall halbwegs gut sehen. Außerdem spielt es keine Rolle, ob man als Zehnter oder Zwölfter in einem Kinosaal mit Hunderten wenn nicht gar Tausend Sitzen kommt, oder? Und dann gibt's da noch die Klugscheißer, die Nervensägen, die ständig hustenden Kranken und die andauernd Quatschenden.

Auch zuviel: Die hohe Anzahl an verschiedenen Filmen auf der Berlinale. Über 400! Je mehr man mit anderen Leuten spricht, desto mehr Filme möchte man sehen. Madeinusa oder Victoria sind da für mich ganz gute Beispiele. Aber wie bereits geschrieben: Man kann einfach nicht alles sehen. Aber zum Glück ist das alles halb so schlimm. Man trifft auch viele Leute, mit denen man über die verschiedensten Themen ins Reden kommt. Heute lernte ich beispielsweise einen vietnamesischen Journalisten kennen. Wir haben uns nach dem letzten Film heute bei einem Getränk und einem Snack bestimmt noch 2 Stunden über Filme unterhalten. Selbst wenn man oft nicht der selben Meinung ist, so macht es einfach Spaß, über die neuesten Eindrücke zu fachsimpeln; besonders wenn das Gegenüber genauso filmverrückt und -bewandert ist wie man selber. Der Nachteil: Ich kam heute wieder erst sehr spät nach Hause und morgen steht mein ersten Film schon um 9:30 Uhr an. Deshalb wird mein Text heute vielleicht nicht ganz so lang. Ich sah aber auch "nur" 3 Filme.

Dresen verfilmt die Geschichte meiner Generation

Der erste Filme heute war der deutsche Wettbewerbsfilm Als wir träumten von Andreas Dresen. Über diesen Film möchte ich irgendwie garnicht so viel sagen. Mir ist klar, dass der Film über Jugendliche in Leipzig um die Wendezeit so seine Schwächen hat. Besonders die Rückblicke auf die Vorwendezent haben mir irgendwie nicht so richtig gefallen. Und dass in Leipzig kein Sächsisch gesprochen wird, wäre mir fremd. Die Darstellung der Gewalt, der Exzesse und dergleichen mag auch durchaus stark an Trainspotting erinnern. Allerdings mochte ich diesen Film einfach. Er hat mich von Anfang an angesprochen und gepackt. Eigentlich klar, ich bin ein Kind dieser Zeit. Die Figuren sind in etwa mein Jahrgang und ich komme ja auch "aus der Zone". Die thematisierten Geschehnisse habe ich vielleicht nicht persönlich in dem Umfang und schon gar nicht in der Intensität erlebt, aber in meinem Freundes- oder Bekanntenkreis gab es all das, worüber uns Dresen erzählt, durchaus: Gewalt durch Neonazis, die aufkommende Drogenproblematik und das Suchen nach einem Sinn oder gar der eigenen Identität. All dies sind Themen der Jugendlichen meiner Zeit im Osten, die Gleichaltrige in den alten Bundesländern kaum nachvollziehen können. Innerhalb kürzester Zeit kam man aus einem System der Kontrolle, Reglementierung und Einschränkung, aber auch (natürlich fragwürdigen) Führung und Hilfestellung beim Lebenswegeinschlagen in die absolute unbegrenzte Freiheit. Diese rasante 180°-Kehrtwende hat nicht jeder gleich auf die Reihe bekommen. Und genau davon erzählt Als wir träumten.

Retrospektive 2015: “Glorious Technicolor”

Heute stand mein (wahrscheinlich) einziger Besuch bei der diesjährigen Retrospektive an. Über die Jahre habe ich in dieser Sektion unglaubliche viele Meisterwerke der Kinogeschichte sehen dürfen. Hier ein paar Beispiele: 2001: Odyssee im Weltraum oder Dr. Strangelove von Stanley Kubrick, Der Dialog von Francis Ford Coppola, La Notte von Michelangelo Antonioni, Weizenherbst von Ozu Yasujiro oder Rotes Kornfeld mit Überraschungseinleitung durch Regisseur Zhang Yimou persönlich. Ich habe in der Retrospektive viele wundervolle Filme auf der Kinoleinwand bewundern können.

Thema ist dieses Mal der 100.Geburtstag eines Technicolor-Farbfilmverfahrens. Die Retrospektive zeigt bei dieser Berlinale insgesamt etwa 30 Technicolor-Filme aus den Jahren 1922 bis 1953. Teilweise sind diese aufwendig restauriert worden. Darunter lassen sich Werke finde wie beispielsweise Vom Winde verweht, The Wizard of Oz, Singin' in the Rain, Niagara oder der allererste echte Technicolorfilm überhaupt, Lotusblume (The Toll of the Sea) von Chester M. Franklin. Letzterer Film wurde natürlich aufgrund seiner filmhistorischen Bedeutung ins Programm genommen. Ich sah ihn erst kürzlich, aber wirklich gefallen hatte mir dieser 54-minütige Film mit Anleihen bei Madame Butterfly jedoch nicht, trotz der wunderbaren Anna May Wong.

Ich entschied mich also für African Queen von John Huston aus dem Jahre 1951 mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn. Schlicht, weil ich ihn noch nie gesehen habe. Gerne hätte ich noch Der Strom von Jean Renoir gesehen, aber er wollte einfach partout nicht in mein Berlinaleprogramm passen. Die Filme der Retrospektive laufen zumeist ja auch nur zweimal. African Queen wurde in der digital restaurierten 4K-Fassung vorgeführt. Über den Film selber werde ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Wahrscheinlich hat ihn sowieso ein Großteil hier bereits gesehen. Nur soviel: Der Film hat mir zwar durchaus gefallen, aber besonders mit dem Hollywood-typischen Ende hatte ich so meine Problemchen. Aber witzig aufgrund des an Screwball-Komödien erinnernden Humors ist der Film in jedem Fall.

Ein Abstecher in die Geschichte

Das Gute an solchen Retrospektiven ist ja auch, dass man über gewisse Aspekte mal etwas lernen kann. In diesem Fall interessierte mich die Geschichte des Farbfilmverfahrens. Interessanterweise gab es da nämlich verschiedene. Das erste Verfahren von Technicolor packte im Grunde zwei Farbaufnahmen (rot und grün) einfach zu einem Bild zusammen. Dadurch waren natürlich viele Farben unnatürlich wiedergegeben worden. Außerdem brachte man einen speziellen Projektor, da der Film eine normale Schwarz-Weiß-Kopie war, über der die Farbbilder übereinander lagen. Da aber die verschiedenen Bilder auch mittels einer komplizierten Prismenvorrichtung nur schwierig zur Deckung gebracht werden konnten, war dieses Verfahren zum Scheitern verurteilt. Es gab eigentlich nur einen Film, der komplett mittels des erstes Technicolor-Prozesses realisiert wurde: The Gulf Between von 1917. In Weit im Osten (1920) von D.W. Griffith wurden nur noch einzelne Farbsequenzen eingefügt. Im zweiten Verfahren von Technicolor wurde erneut der Zweifarbenprozess beim Aufzeichnen verwendet, allerdings benutzte man während der Projektion ein subtraktives System, das heißt die Farbaufnahmen befinden sich auf einem einzigen Filmstreifen. Entscheidend war natürlich auch ein vernünftiges Kopierverfahren. Der erste Film, der mittels des zweiten Verfahrens gedreht wurde, war 1922 der zuvor bereits erwähnte Film Lotusblume. In späteren Verfahren ab 1932 kam dann eine dritte Farbe hinzu, um endlich das Farbspektrum unverfälscht aufzuzeichnen. Verbessert wurde dies noch durch ein dünnes, kontrastreiches schwarz-weißes Silberbild, um die Farbtiefe zu erhöhen. Das erste Technicolor-Werk im Dreifarbenverfahren war der Walt-Disney-Film Flowers and Trees. Natürlich wurde alles im Laufe der Zeit ständig weiter verbessert, sowohl Aufnahme- wie Wiedergabe-seitig. Aber um auf solche Details näher eingehen zu können, fehlt mir leider die nötige Fachkenntnis.

Zurück in die Gegenwart

Als letzter Film des heutigen Tages stand Paradise in Service (Jun Zhong Le Yuan) von Doze Niu an. Ich hatte zuvor erstmal nur geringe Erwartungen. Zum einen, da mir die Unterhaltungsfilme von Doze Niu bisher wenig zugesagt haben (Monga - Gangs of Taipeh oder die romantische Komödie Love). Zum anderen, da mir die Enttäuschung um Ode to My Father von vor einigen Tagen noch immer nach hing. Umso überraschter war ich, als ich in den Credits las, dass der große Hou Hsiao-hsien den Film präsentiert (und wie ich im Abspann noch erfahren konnte als "Editing Adviser" oder so tätig war). Paradise in Service berichtet von einem interessanten Aspekt im Konflikt zwischen Taiwan und Festlandchinas: den halboffiziellen Bordellen, die ab den 60er Jahren betrieben wurden, um taiwanesische Soldaten bei Laune zu halten. Dabei greift er durchaus problematische Aspekte auf, die seinerzeit einfach unter den Teppich gekehrt wurden. Doze Niu liefert hiermit zwar seinen bisher interessantesten, relevantesten und vielleicht besten Film ab, aber als guten Regisseur würde ich noch nicht bezeichnen. Allzu oft driftet er ab in seine Klischees aus romantischen Komödien. Außerdem erscheint mir die Kamera viel zu farbgesättigt. Ein bisschen weniger Farbe und der Filme würde nicht so künstlich auf mich wirken.

Morgen ruft Hollywood! Mit gleich zwei starbesetzten Streifen werde ich in den nächsten Berlinale-Tag starten. Außerdem geht es dann noch zweimal nach Japan.


Tageszusammenfassung


Meine bisherigen Blogeinträge zur Berlinale:

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