Sexy Medusa — Wie die Schlange zu ihren Brüsten kam

25.01.2016 - 13:30 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Medusa ist ein beliebtes Bildmotiv
Riot Games / Galleria Degli Uffizi, Florenz / Firaxis Games
Medusa ist ein beliebtes Bildmotiv
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XCOM 2 wird uns gegen fremdartige Aliens in den Kampf führen — doch zumindest ein Vertreter der Außerirdischen kommt uns seltsam vertraut vor: Eine Schlange mit Brüsten. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, woher die Inspiration für diese Idee kommt.

Die Schlange gehört in den Sphären der Videospiele zu den bekanntesten und häufigsten Wesen, die unseren Helden begegnen. Meist feindlich gesinnt reicht ihre Präsentation von einer Abbildung der Naturvorlage bis hin zu einem Wesen mit menschenähnlichen Zügen. Zuletzt stellten die Entwickler von XCOM 2 die Schlange als Gegnertyp vor und verpassten dem länglichen Zeitgenossen mehr als nur menschliche Gesichtszüge: Die Schlange zeigt eine deutlich feminine Körperzeichnung sowie Brüste, die ein entsprechender Brustpanzer verdeckt und gleichzeitig betont.

Gegnertyp "Viper"

Es ist eine bemerkenswerte Design-Entscheidung, die eine fast naiv klingende Frage in den Raum stellt: Wieso ist Firaxis Games der Meinung, dass die Schlangen-Aliens in ihrem Spiel Brüste haben müssen, wenn doch ihre Sexualität selbst offenbar keine Rolle spielt? Oder entwickelte sich das Schlangen-Alien nach der Invasion der Erde zu einem Säugetier, das nun plötzlich seine Nachkommen mit Milch versorgt – anders als die Schlagen unserer Tierwelt, an die das Design ja offensichtlich angelehnt ist und die ihre Nachkommen kurz nach der Eiablage im Stich lassen, Reptilien-Style eben? Ist die Antwort auf all diese Fragen ein schulterzuckendes "Tja, Videospiele"?

Der Medusa-Mythos

Tatsächlich ist das Bild der Schlange, wie es Firaxis Games präsentiert, seit geraumer Zeit keine Neuheit mehr, die uns seltsam erscheinen sollte. Es gibt eine Vorgeschichte, die die Schlange der frühesten Videospiele zu der "sexy Snake" gemacht hat, wie sie heute in vielen Videospielen vorkommt.

Von den einfachen Schlangenwesen abgesehen, die ganz offensichtlich ihre Inspiration aus dem realen Tierreich ziehen, haben Schlangen mit unverkennbaren menschlichen Zügen einen gemeinsamen Vorfahren: Medusa, die berüchtigte Frau aus der griechischen Mythologie, die mit Haaren aus Schlangen gestraft wurde und jeden, der sie anblickt, zu Stein verwandelt.

Das stilisierte Bild der Medusa als Verzierung eines Trinkgefäß, 6. Jh. v. Chr.

Diese Frau gehört zu den prominentesten Personen des antiken Sagenkreises überhaupt und hat es als Symbolbild oder direkte Abbildung von griechischen Hoplitenschildern über Tempelverzierungen bis hin in die Renaissance und schließlich die moderne Popkultur geschafft. Das Wesen der Medusa ist zweifellos faszinierend und hat trotz oder gerade dank ihrer Popularität in den letzten 2500 Jahren eine ungemeine Verwandlung durchgemacht.

Antike Textquellen beschreiben sie als am Boden zerstörte Frau, die vom Wahnsinn gezeichnet durch die Landschaft wanderte. Krieger nutzten ihr grausiges Antlitz zunächst als Verzierung ihrer Schilder, um Gegner zu erschrecken und das Böse von sich fernzuhalten. Doch unter dem Einfluss verschiedenster Künstlerhände entwickelte sich Medusa im Laufe der Bildgeschichte zu einer Schönheit. Der Gegensatz zwischen dem schönen Körper und dem schrecklich anzusehenden Gesicht war offensichtlich für Künstler der Moderne und der Antike gleichermaßen reizvoll.

"Das 'Haupt der Medusa", 16. Jh.

So beschrieb bereits der griechische Dichter Pindar 500 Jahre vor Christi Geburt die Medusa als "überaus hübsch anzusehen, aber dem tragischen Wahnsinn verfallen", während Renaissance-Künstler wie Caravaggio und Rubens die Schönheit direkt sichtbar machten. Zwar spielte nach wie vor die "Fratze der Medusa" eine Rolle in der darstellenden Kunst, doch scheint die äußerliche Attraktivität der Frau als Bildgrundlage bevorzugt worden zu sein.

Hollywood und moderne Popkultur

1984 schließlich verpasste Hollywood der Medusa das bisher letzte großzügige Facelifting: Im Film Kampf der Titanen sehen wir eine Schlange mit einem weiblichen, schrecklich verzerrten Gesicht, die hervorragend mit dem Bogen umgehen kann. Der berühmte und einflussreiche Stop Motion-Künstler Ray Harryhausen bediente sich hinsichtlich ihrer Anatomie und Bewaffnung einem Quäntchen künstlerischer Freiheit, um den Kampf zwischen der Medusa und dem Helden Perseus interessanter zu gestalten.

Der neue Schlangenkörper der Medusa wurde nach dem Abspann des Films nicht wieder vergessen. Und auch die Videospielkultur machte sich diese Darstellung neben den klassischen naturalistischen Schlangen zu eigen, ergänzte aber die klassische Schönheit der Medusa, die im Original-Film verloren gegangen war.

Ganz offensichtlich ist es nun schwierig, den künstlerischen Schaffensprozess der Entwickler von Spielen wie Castlevania, Age of Mythology, God of War oder League of Legends im Hinblick auf die Schlangenfrau über einen Kamm zu scheren. Aber es ergibt durchaus Sinn, die Hollywood-Medusa als wichtige Inspirationsquelle zu nennen. Ansonsten müssten wir zwangsläufig annehmen, dass all diese Teams unabhängig voneinander in ihren Meetings auf die Idee kamen, Brüste an einer Schlange zu montieren, während sie gleichzeitig einen Großteil ihres Lebens isoliert von der westlichen Popkultur verbrachten.

Von Medusa inspirierte Gegner in God of War.

Die Fortführung des Bildes einer humanoiden Schlange führt uns schließlich zu ihren modernsten Vertretern im 21. Jahrhundert: Die Magierin Cassiopeia zischelt täglich unter der Kontrolle hunderttausender Spieler über MOBA-Schlachtfelder, wohingegen Firaxis Games die Vorfreude auf XCOM 2 mit neuen Screenshots nährt, die die Schlangendame zeigen.

Das Gegnerbild “Schlange mit Brüsten” ist damit eines der traditionsreichsten Motive, die die Videospielkultur kennt und scheint zumindest nicht in erster Linie den offenen Hosen der verschiedenen Entwicklerteams entsprungen zu sein. Es ist hier interessanterweise die Online-Community, die dem tierischen Bild etwa im Fall von XCOM 2 seine Menschlichkeit zurückgibt und es mit lasziven Attributen ergänzt — und ja, es gibt bereits auch erste pornographische Kurzfilme rund um die Schlangenfrau von Firaxis Games.

Meme "Snake Tits"

Medusa als Inspirationsquelle hat sich damit ihre Faszination nach über 2500 Jahren erhalten, während sich gleichzeitig das Bild von der griechischen Kunst bis hin zur modernen Popkultur stark verändert hat.

Habt ihr die 822 Wörter dieses Artikels nun gewissenhaft gelesen, so verfügt ihr ab sofort über das perfekte Rüstzeug, um den nächsten Smalltalk im Sturm zu erobern.

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