Six Feet Under - Du wirst sterben... also lebe!

03.06.2017 - 08:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
The future is just a fucking concept that we use to avoid living today.HBO / moviepilot
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Eine der besten Serien aller Zeiten handelte vom Tod, dem Leid, der Unausweichlichkeit - und schaffte es gerade dadurch, das Leben und alles, was es ausmacht, zu feiern wie keine andere.

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Der Kommentar der Woche
Six Feet Under erinnert uns in jeder Episode an etwas, das wir Zeit unseres Lebens so gut es geht zu verdrängen suchen: Den Tod, die Endlichkeit, das Unvermeidliche. Sie erinnert uns, dass es kein Ob ist, sondern ein Wenn, das auf uns wartet. Aber mehr noch erinnert sie uns, wie moviesforlife mit seinem Kommentar, dass das Wichtigste all die Zeit, die Beziehungen, die Erinnerungen, die Momente, kurz: das Leben davor ist.

Ich hasse Krankenhäuser. Ich hasse sie einfach. Dieses grellweiße, immer gleich aussehende Gängelabyrinth. Diese sterilen, kalten Wände mit ihren eng aneinandergereihten Türen. Dieser leicht süßliche Geruch nach Putz- und Desinfektionsmittel. Diese immer gestresst wirkenden Krankenschwestern, gefangen in ihrer scheußlichen Routine: Tag für Tag Werte messen, Patienten füttern, ihnen gut zureden, sie ins Bett bringen und sie dann in ihren spartanisch eingerichteten Krankenzimmern zurücklassen. Und über allem schwebt greifbar die bleischwere Gegenwart von Krankheit, Tod und Verfall in ihrer denkbar stärksten Konzentration.

Ja, vermutlich liegt es in erster Linie an dieser unumgänglichen Konfrontation mit dem Sterben, mit dem Moment, in dem der eigene Körper den Geist aufgibt, die mich bei jedem Krankenhausbesuch unheimlich deprimiert. Die Traurigkeit der Menschen, die Zimmer für Zimmer mit ihrem physischen Wohlergehen zu ringen haben, in ihren weißen Kitteln vor sich hinvegetieren, den Kampf vielleicht schon längst aufgegeben haben und daraufhin der Resignation verfallen. Die Angst, die Sorge und die Melancholie der Patienten, ihrer Freunde und ihrer Angehörigen. Man spürt sie förmlich in den leeren Gängen wiederhallen und schmeckt sie in der stickigen Luft um sich herum, diese Woge des menschlichen Elends.

Und auch meine eigene Stimmung trübt sich augenblicklich, sobald ich auch nur an ein Krankenhaus denken muss. Erinnert es mich doch schmerzlich an jene Zeit, in der mein Opa wegen seines Herzfehlers und seiner Nierenprobleme mehrmals pro Jahr in ein Hospital eingeliefert werden musste. Es erinnert mich an die vielen Besuche - jeder mit der schmerzlichen Befürchtung, es könnte der Letzte sein - das viele Bangen und die tägliche Gewissheit, dass bald schon die Zeit kommen würde, in der ich ohne diese mir so nahe und liebe Person, die mich bereits an meinen ersten Tagen auf dieser Welt in Händen gehalten hatte, leben müsste.

Eine Zeit lang versuchte ich das alles zu verdrängen. Später dann bereitete ich mich innerlich darauf vor, wohl wissend, dass mein Opa streng genommen großes Glück gehabt hatte, mit seinem schwachen Herzen überhaupt ein Alter von etwas mehr als 80 Jahren erreicht zu haben. Ich rechnete also Tag für Tag damit, dass es irgendwann passieren müsste, früher oder später. Stellte mir vor, wie es sich anfühlen würde, die schlimme Nachricht zu erfahren. Redete mir ein, dass bis zum Eintreffen dieses Momentes sicherlich noch einige Jahre ins Land ziehen dürften. Beruhigte mich mit dem Gedanken, dass der Tod im Grunde etwas ganz natürliches sei und eben - genau wie die Geburt - zum Leben mit dazugehöre und es uns überhaupt erst möglich mache, die gewaltige Menge an Lebenszeit wertzuschätzen, die uns gegeben wurde.

Und es stimmt. Der Tod ist eigentlich etwas ganz und gar Natürliches. Streng genommen ist er in der Geschichte unseres viele Milliarden Jahre alten Universums sogar der absolute Normalzustand - das Leben, so wie wir es kennen, ist hingegen die Ausnahme. Und der Tod ist allgegenwärtig. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde sterben irgendwo auf der Erde Menschen. Aus biologischer Sicht ist sogar unser eigener Körper bereits mehrfach gestorben, schließlich leben unsere Körperzellen im Durchschnitt nur etwa sieben bis zehn Jahre lang, bevor sie absterben und durch frische Zellen ersetzt werden. Also wieso verdrängen wir den Tod und seine Omnipräsenz immer wieder so gekonnt aus unserem Alltag? Wieso schockiert und erschüttert es uns trotzdem, wenn ein enger Freund, Verwandter oder Bekannter unerwartet verscheidet?

Die Psychologie kennt eine interessante Metapher für dieses Phänomen: Man stelle sich einen luftgefüllten Ballon vor, der mit aller Kraft unter Wasser gedrückt wird. Zunächst ist es noch einfach, den Ball unter der Wasseroberfläche, also außerhalb der eigenen Wahrnehmung, zu halten. Doch mit der Zeit gestaltet es sich als zunehmend anstrengender und mühevoller, bis einem der Ballon schließlich aus den Fingern gleitet und mit einem lauten Platschgeräusch aus der Tiefe an die Oberfläche geschossen kommt. Ähnlich verhält es sich mit der Verdrängung des Todes. Man blendet alle Gedanken daran bewusst aus und eine Zeit lang geht es einem danach tatsächlich besser. Doch über Kurz oder Lang wird uns die nüchterne Tatsache, dass wir - genau wie alles andere Leben auf diesem Planeten - vergänglich sind, mit aller Gewalt heimsuchen und im schlimmsten Fall sogar zum Sturz in eine tiefe Existenzkrise führen.

In diesem Sinne ist "Six Feet Under - Gestorben wird immer" eine unsagbar heilsame Serie. Und das nicht nur, weil sich dieses Meisterwerk in jeder einzelnen Episode mit Leid, Kummer und Tod als unvermeidbarer Bestandteil des Lebens auseinandersetzt und spätestens in der finalen Staffel mehr als eindrucksvoll demonstriert, dass alles und jeder irgendwann, irgendwo und irgendwie enden wird, sondern auch, da diese Serie das Leben - dem meist depressiven Grundtenor zum Trotze - zutiefst bejaht. Es wäre zudem keine Übertreibung zu behaupten, dass "Six Feet Under", insbesondere die letzte Staffel, meine Sicht auf die Welt und das Leben als solches grundlegend verändert hat. Angesichts dessen lässt sich selbst der eine oder andere zwischenzeitliche Durchhänger, die manchmal etwas repetitive Erzählstruktur und die teils wechselhafte Drehbuchqualität entschuldigen. Sogar mehr als das: Wer lange genug durchhält, der wird in Staffel 5 mit einem überwältigenden Sortiment an Meisterwerk-Episoden sowie mit dem besten und ergreifendsten Serienende entlohnt, das ich bis zum jetzigen Zeitpunkt gesehen habe.

Nach dem Abschluss von "Six Feet Under" war ich jedenfalls nicht nur völlig in Tränen aufgelöst und musste mir eine halbe Stunde lang Rotz und Wasser aus der Nase schnäuzen, sondern mir wurde auch zum ersten Mal wirklich bewusst, dass nicht nur ich, sondern auch alle Menschen die mir nahe stehen, alle meine Freunde, meine Familie, all die Leute, die mir täglich auf der Straße über den Weg laufen und auch meine Bekanntschaften hier auf "moviepilot" eines Tages sterben werden. Eigentlich eine unheimlich traurige und beängstigende Vorstellung in der nicht wenig Angst vor der absoluten Einsamkeit mitschwingt. Andererseits ist es die zeitliche Beschränkung der eigenen Lebensspanne, die dem menschlichen Leben überhaupt erst einen Sinn verleiht. Nur so kann man das Hier und Jetzt schätzen lernen und die übrige Lebenszeit in vollen Zügen auskosten. Bis irgendwann das Ende kommt.

Das Ende kam dann schließlich auch für meinen Opa. Und wie es bei solchen Dingen immer läuft, traf mich dieser Moment trotz sämtlicher mentaler Vorbereitung vollkommen unerwartet. Eines Tages ging dieser Mann, der mir so viel bedeutet hat, zur Dialyse in ein Krankenhaus - ein reiner Routineeingriff, selbstverständlich - und kam nie wieder zurück. Um die bittere Wahrheit zu sagen: Ich konnte mich vorher nicht einmal mehr von ihm verabschieden. Und es schmerzte. Oh ja, es schmerzte so sehr, das erbarmungslose Gefühl, einen Menschen, den man bereits sein ganzes Leben lang kennt, nie wieder sehen zu können, nie wieder seine Nähe zu spüren, nie wieder seine Hand zu halten, ihn nie wieder auf der Gartenbank sitzen zu sehen, wie er seinen Blick im Sommer gedankenverloren über die bunten Blumenbeete schweifen lässt. Und versteht mich nicht falsch, ich hatte in meiner Verwandtschaft bereits zuvor mit dem Tod zu tun gehabt. Aber noch nie hat mich ein Mensch verlassen, der mir so wichtig und vertraut war. Sogar so vertraut, dass ich am Tag darauf mit dem Gedanken erwachte, die Nachricht von seinem Tod wäre bloß ein schlimmer Alptraum gewesen und ich hätte mir den ganzen Schmerz nur eingebildet.

Wie dem auch sei, gleichzeitig ist mein Großvater auch der einzige Tote, den ich bisher gesehen habe. Ich habe das Bild immer noch lebhaft vor Augen: Der engste Familienkreis stand im Gang des düsteren Bestattungsinstituts - sicherlich kein so Gutes wie das "Fisher & Söhne" aus "Six Feet Under" - und suchte die Kammer, in der er zur Ruhe gebettet lag. Danach versammelten sich alle in dem kleinen Raum mit der Leiche und sagten gemeinsam ein "Vaterunser" auf, während ich im Nebenraum stand und mir die Tränen aus den Augen wischte. Kurz darauf durfte ich dann alleine in die Kammer mit dem toten, adrett hergerichteten Körper gehen um mich gewissermaßen von ihm zu verabschieden, obwohl eine leise Stimme in meinem Hinterkopf die ganze Zeit über flüsterte, dass er tot war und meine unter Tränen gemurmelten Abschiedsworte ohnehin nicht mehr hören konnte.

All diese schmerzvollen Erinnerungen wurden mir von "Six Feet Under" und vor allem den perfekten letzten vier Episoden wieder lebhaft in Erinnerung gerufen. Auch Gedanken an die Beerdigung einige Tage später kamen ab und an wieder an die Oberfläche. Seltsamerweise empfand ich das tatsächliche Begräbnis allerdings als wesentlich weniger einschneidend und endgültig als die Zeit der Trauer davor. Vielleicht liegt es daran, dass ich nach meinem Besuch im Leichenhaus des Bestattungsinstituts ein Stück weit mit der Sache abgeschlossen hatte und einen Schlussstrich darunter ziehen konnte. Vielleicht ist der Grund dafür aber auch, dass ich Friedhöfe immer schon als einen Ort der Ruhe empfunden habe. Obwohl der Tod an dieser Stätte präsenter ist als irgendwo sonst, macht mir ein Besuch dort so gut wie gar nichts aus. Und besser als ein Krankenhaus ist ein Friedhof allemal.

Den Originalkommentar findet ihr hier.

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