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Spekulativer Horror als Philosophie

18.07.2015 - 10:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
True Detective opening Scene
HBO
True Detective opening Scene
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Film und Literatur sind zwei grundverschiedene Bekenntnisse. Manchmal funktioniert das, oft genug aber geht das in die Hose. Nic Pizzolatto hat das richtige getan: er hat sich seine Ideen von den Besten geholt und etwas zukunftsweisendes daraus gemacht.

Es gibt Filme und Serien, die pumpen die Erwartungshaltung von Beginn an über jeden erwartbaren Horizont. Die meisten ambitionierten Werke – und das trifft ebenso auf Literatur zu – scheitern, wenn sie scheitern, am Ende. True Detective 1 scheitert nicht wirklich, aber die letzte Folge der Mini-Serie hält der unglaublichen Dichte nicht stand, was wirklich schade ist, denn bis dahin hat man nicht weniger als das Beste, was eine Mystery-Serie überhaupt aufs Parkett bringen kann vor Augen. Nicht weniger als eine Sensation.
Die Storyline, die sich an das moderne Erzählen durch Verschachtelung hält, die erzeugte, dichte Atmosphäre, die Wahl der Musik, sowie die fabelhafte Leistung der beiden Hauptdarsteller (Woody Harrelson, Matthew McConaughey) sind in der Summe nicht weniger als perfekt.

Was jedoch wenige Film-und Serienfans auf dem Schirm haben dürften, ist der sich auf der Höhe der Zeit befindliche philosophische Nihilismus, der die Serie durchweht, namentlich in der Figur des Rust Cohle, eine Rolle, die McConaughey kongenial in Szene setzt. Dieser philosophische Charakter, der sich in den Dialogen, die Rust und Marty miteinander führen, niederschlägt, stammt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von Thomas Ligotti , und zwar aus The Conspiracy against the Human Race. Aber nicht nur. Pizzolatto hat sich, vor allem, was den Begriff Carcosa angeht, auch bei Robert W. Chambers bedient. Carcosa taucht in dieser Sammlung von Kurzgeschichten als ein mysteriöser Ort auf, geht aber auf Ambrose Bierce  zurück, der neben Poe und Lovecraft als die dritte Kraft der klassischen amerikanischen Horrorautoren gilt. Bierce hatte die südfranzösische Stadt Carcassonne zu Carcosa umfunktioniert. In der Geschichte An Inhabitant of Carcosa erwacht ein Mann aus dem altertümlichen Carcosa aus einem von einer Krankheit ausgelösten Schlaf und findet sich in einer unwirtlichen Wildnis wieder.

Pizzolatto hat in einem Interview Stellung zu den Vorwürfen bezogen, er habe sich unlauter (hauptsächlich) bei Ligotti bedient. Darin sagt er, dass er auf der Suche nach dem Besten war, was die moderne Horrorliteratur zu bieten habe und Ligotti  da natürlich an erster Stelle stand. Aber auch Cioran und Nietzsche standen Pate für diese herausragende Serie.

Es konnte nicht ausbleiben, was gegenwärtig folgt – und die zweite Staffel in den Schatten stellt, auch wenn von vorneherein klar war, dass sich nichts mehr mit Season 1 je wird messen können – nämlich, dass sich Heerscharen von Literaturwissenschaftlern, Religionswissenschaftlern, Filmtheoretiker und Philosophen an ihren Theorien versuchen, denn wie immer fordert die Kunst die Realität heraus, was Doppeldeutigkeit, die Frage nach der Existenz und ihren Zweck betrifft. Es haben sich Unmengen von Debatten ergeben, die sich dem Lösen der Rätsel in True Detective widmen (das ist eine Variante, die wir bereits von LOST kennen).

True Detective ist anti-religiös, wie oben schon erwähnt, ganz auf der Höhe des modernen Denkens. Aber die Serie ist in ihrer Tiefe mehr als nur nihilistisch, sie zeigt in faszinierender Weise, wie das Geschichtenerzählen funktioniert.

In den ersten Episoden etabliert Pizzolatto eine klare Zweiteilung. Einerseits haben wir die Untersuchungen – Geschichtenerzählen als eine Suche nach der Wahrheit. Auf der anderen Seite gibt es die Religion – Geschichtenerzählen als eine Flucht vor der Wahrheit. Trotzdem geht die Konzeption des Geschichtenerzählens über die Religion hinaus. Sie spielt nicht die Rolle, die sie eigentlich inne hat (nämlich Selbsttäuschung) sie ist in der Serie lediglich eine Manifestation. Es gibt nicht sehr viel Unterschiede zwischen dem Christentum, dem Mythos vom Gelben König oder Rusts Nihilismus: all das sind Geschichten, deren Zeichen dem Leben bedeuten, gefälligst Sinn zu machen. Und all diese Geschichten sind letztendlich destruktiv und wahnhaft.

Gegen Ende weicht Rusts Nihilismus sich etwas auf und wird zu dem, was dem klassischen Existentialismus entspricht: die Idee, dass wir selbst es sind, die unserem – und eben nur unserem – Leben einen Sinn zuweisen können. Was immer wir als diesen Sinn erfassen: wir haben recht. Wie alles andere in der Serie auch: der Nihilismus erzählt hier seine eigene Geschichte und meint im Grunde nichts darüber hinaus.


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