Jede Woche gehen wir mit einem Community-Mitglied nochmal auf einen Trip in die Vergangenheit, in die Zukunft, in die entferntesten Galaxien oder in die Nachbarschaft. In die Begeisterung, die Entrüstung, die Spannung und all die Quäntchen Persönlichkeit, die aus einem Film ein Erlebnis, aus einem Kommentar einen Kommentar der Woche machen. Das Einzige, was dann noch fehlt, ist eine kleine Nachricht, mit der ihr so einen Kommentar für einen den kommenden Samstage nominiert. Also, worauf wartet ihr?
Der Kommentar der Woche
Deine Erwartungen sind nicht groß, dass ein Film über einen wichtigen Teil deines Lebens dieser Wichtigkeit gerecht wird, dass da mehr bei rumkommt, als ein RTL-Eventmovie mit größerem Budget, dass da keine weichgespülte Geldmacherei auf dem rumtrampelt, was dir einmal etwas bedeutet hat, vielleicht immer noch bedeutet. Oft ist das ganz genau so - aber manchmal hast du auch Glück, und dann siehst du einen Film, wie Big_Kahuna ihn mit Straight Outta Compton erlebte ...
Gestern war es also so weit. Die Bomberjacke übergestreift, meine
feinsten Sneaks an, Compton Cappy auf, Freundin an die Hand,
Zündschlüssel umgedreht und ab ins Kino.
Karten vorbestellt, denn man weiß ja nie, wie das so läuft mit den
Sitzplätzen, gerade bei Premieren. Als einer der Leute, die nicht oft in
solch großen Kinoketten unterwegs sind, weil dort meiner Meinung nach
nur das Geld im Vordergrund steht und das Erlebnis Film erst mal hinten
angestellt wird, geht man mit Geschenk-Gutscheinen bewaffnet bei relativ
seltenen Besuchen natürlich erst mal an die Theke und holt sich eine
fette Tüte Popcorn, Nachos und was zu trinken, schließlich ist man nicht alle
Tage in so einem Kommerzschuppen, der die Preise kontinuierlich
hochschraubt, die Gutscheine müssen auch weg und 148 Minuten können
verdammt lang werden, zumindest wenn der Regisseur bei dem Film nicht
mit der Emotionalität und dem Respekt an das Thema herangeht, wie ich es
mir wünsche.
Wir betreten Kino 1, d.h. die dickste Anlage, der 180meiste Platz und
dann auch noch Gangster-Rap vom Feinsten, die Geschichte von NWA, der
Rapgruppe, die der Polizeigewalt und der Rassendiskriminierung mit ihren
radikalen Texten in den späten 80ern/frühen 90ern als eine der ersten
Gruppen überhaupt Einhalt geboten hat.
Der Bildschirm noch schwarz, ich war trotzdem angefixt, und wie.
Doch was ist hier los? ¾ des Saals waren leer und das obwohl Werbung
und Trailer fast vorbei sind? „Was soll das? Hat sich wer verspätet?
Hört hier keiner mehr Hip-Hop?“ schrie ich in meinen Gedanken durch den
Raum.
Doch neben mir nur irgendwelche 18-jährigen, die sich darüber
unterhalten, wie viel Geld Bushido wohl auf dem Konto hat. 1 Million? 2
Millionen? „Verdammt, wo bin ich hier bloß gelandet?“
Aber gut, war mir auch egal, schließlich stand ein langersehntes
Biopic einer Gruppe an, die ich selber sehr gerne gehört habe, und ab und
an immer noch höre. Eine Gruppe von Rappern, die die Niederungen des Rap wesentlich mit
beeinflusst haben, gerade weil sie so strikt ihr Ding durchgezogen
haben und ihre kontroversen Texte raushauten, obwohl sie wussten, was
für Ärger auf sie zukommen könnte.
Also: Sprite in den Sitz gedrückt, zurückgelehnt und abgewartet, was F. Gary Gray dort denn nun angestellt hat. Und es geht auch schon los, Eric Wright a.k.a Eazy-E befindet sich in einer brenzligen Situation, muss Drogengeschäfte abwickeln, wird dabei massiv bedroht, und das anrückende SWAT-Team reißt das halbe Haus ein, um dieses Geschäft zu unterbinden. Die Kamera ist ihm bei jedem seiner Schritte auf den Fersen.
Schnitt.
Andre alias Dr. Dre liegt in seinem Zimmer auf dem Boden, die Kopfhörer auf.
Er geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Musik hören.
Die Kamera bewegt sich kreisförmig um seinen Kopf herum und zieht
uns in die synaptisch-musikalischen Strömungen hinein, die in seinem
Gehirn gerade vonstatten gehen. Doch Stopp.
Musik aus. Ärger im Anmarsch, denn seine Mutter steht im Raum.
Glaubt nicht an ihn, glaubt nicht an seinen musikalischen Traum. Er soll
gefälligst nicht all das kaputt machen, was sie sich bis dahin
aufgebaut hat. Er muss weg. Er haut ab.
Cut.
Ice Cube sitzt im Schulbus, Block in der Hand, Stift rausgeholt und
er schreibt Texte, tagein, tagaus, während die amerikanischen Straßen
an ihm vorbeiziehen. Doch jemand stoppt den Bus und steigt ein, hält
einem der Jungs ne Knarre an den Kopf und zeigt, dass er ein Gangster
ist, dem man besser nicht dumm kommt.
Nach und nach werden die Mitglieder von NWA vorgestellt und wie sie sich gefunden haben. Von der Straße ins Studio.
5 Leute, die zueinander fanden und einen Plan entwickelt haben, fast
so wie die Garagenstorys von Bill Gates. Wir erleben den Aufstieg von
NWA, mit all seinen Vorzügen, aber auch Nachteilen. Denn überall, wo Geld
in Massen fließt, gibt’s auch Leute, die sich benachteiligt fühlen, und
ganz klar sind die Rollen aller Beteiligten auf Dauer irgendwie auch
nicht. Aber so ist das nun mal, wenn ein paar Jugendliche sich
zusammensetzen und die Welt auf den Kopf stellen, von Verträgen und
solchen Dingen aber keine Ahnung haben.
Nur Eazy (Jason Mitchell) hat einen waschechten Vertrag mit seinem
Manager Jerry Heller (Paul Giamatti) und selbst hier weiß keiner so
genau, wo das Geld so richtig hinfließt. Auch im Musikgeschäft muss man
Angst haben, gerade vor geldgierigen Managern, die sich für Leute
ausgeben, die nur das beste für ihre Schützlinge wollen, insgeheim dann
aber als erstes die neuen Wohnräume der eigenen 800qm-Villa beziehen.
Wir sind mit im Studio, wir sind bei Managern mit dabei, wir sind
mit den Jungs auf Tour, wir machen die Groupiepartys mit, wir erleben
das Ganze, als wären wir mit dabei gewesen.
Und wir sehen immer wieder wie widerwärtig die Schwarzen von der
Polizei behandelt wurden. Wir sehen immer wieder die Straße, und wie die
Sklaverei doch irgendwie noch nicht vorbei zu sein schien.
Bilder, bei denen ich mich für die menschliche Rasse schäme.
Echtaufnahmen vom Rodney-King-Fall laufen über den Bildschirm. Es
muss gezeigt werden, weil es nun mal so war. Und NWA begegnet dem mit
ihren radikalen Tracks a la „Fuck the Police“. Die Jungs aus dem Ghetto
haben etwas unternommen, mit ihrer Stimme. Sie haben einen Nerv
getroffen.
Und diesen Nerv transportiert F. Gary Gray mit allem was er hat.
Von Beginn an bin ich seinem Sog verfallen. Jede Szene scheint
wirklich aus der Zeit zu stammen und ich bin kurzzeitig wieder in den
90ern angelangt. Er versucht nichts auszulassen, und uns so viel von NWA,
Eazy, Dre, Ice Cube und Co zu zeigen, wie es nur irgendwie geht, ohne
dabei den Rahmen zu sprengen.
Von der Zusammenführung bis zum Knick. Und dann ist Straight Outta
Compton teils auch noch erstaunlich tragisch, und es würde mich nicht
wundern, wenn beim ein oder anderen sogar eine Träne gekullert ist.
Voller Herzblut ist jeder der Beteiligten dabei, was wahrscheinlich
auch daran liegt, dass das echte NWA auch oftmals mit am Set war.
Jeder Schauspieler scheint wie für die Rolle gemacht und Ice Cubes
Sohn spielt Ice Cube, und meine Güte, der sieht ja exakt aus wie Ice
Cube! Hat der überhaupt irgendetwas von seiner Mutter?
F. Gary Gray entführt uns in die vergangenen Zeiten des Gangster-Rap, und wie sich er und seine Interpreten verändert haben, ohne dabei ein Thema in den Vordergrund zu rücken, oder ein anderes zu vernachlässigen. Er macht das mit dem nötigen Respekt und viel Liebe zum Detail. Allen Beteiligten dürfte das mehr als gerecht werden. Das kommt offensichtlich von einem Fan für uns Fans, anders ist das nicht zu erklären.
Die Schauspieler sind, wenn auch größtenteils unbekannt, allesamt
herausragend, die Szenerie ist absolut authentisch gestaltet, über den
Soundtrack braucht man nicht zu reden (Das Kino hat gebebt!). Wer Rap mag,
wird diesen Film lieben, hier passt alles zusammen. Und sogar 2Pac ist
kurz zu sehen, wie er gerade ein paar Tracks aufnimmt. Und selbst bei ihm
sieht man die absolute Liebe zum Detail, auch wenn's schauspielerisch
noch nicht ganz heran kommt.
Jeder Charakter erhält die nötige Tiefe, und es steht einem frei, ob
man die Kerle mag oder eben nicht, allerdings wird es keinen Film geben,
der den Zeitgeist und diese Gruppe besser einfangen könnte, als diesen
hier. Punkt.
Man merkt, dass der Regisseur eng mit den Rappern zusammengearbeitet hat, die diese damalige Zeit wirklich erlebt haben. So kann das laufen, wenn alle Beteiligten ein Projekt unterstützen und mit Herz und Seele dabei sind.
SO GEHT BIOPIC! Chapeau, F. Gary Gray!
Du darfst dann in ein paar Jahren sehr gerne den längst überfälligen 2Pac-Film inszenieren, an den sich bis jetzt noch niemand heran getraut hat. Nach Straight Outta Compton habe ich jedenfalls keine Zweifel mehr, dass du mich damit glücklich machen würdest.
Grandios!
Den Originalkommentar findet ihr hier.