Streaming vs. DVD-Regal: Wo bleibt die Romantik?

02.01.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Nick Frost: Point Break or Bad Boys II?
Universal Pictures
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Streaming kostete im Jahr 2015 fast nichts. Bessere Zeiten wird der Film- und Serienfreund wohl nie mehr erleben. Aber verliert er im VoD-Taumel nicht seinen einstigen besten Freund, die DVD, aus den Augen?

Der Zufall will es so, dass das Neue Jahr (2016) mit einem Wochenende einsetzt. Deshalb ist irgendwie immer noch zwischen den Jahren - diese schwerelose, den Gesetzen des Raums, der Zeit und des guten Anstandes entschwebte Faulenz-und Fressphase, eingezwängt zwischen dem Ende des alten und dem Anfang des neuen Jahres. DVD- und Serien-Boxen sind derweil längst dem ermatteten Genuss anheim gefallen. Hier drüben: Sieben Star Wars-Episoden an drei aufeinander folgenden Tagen. Sonst findet unsereins die Zeit für sowas ja nicht mehr. Zwischen den Jahren pflege ich für gewöhnlich einen weiteren, ganz bestimmten post-Xmas-Ritus. Ich setze die weihnachtlichen Zuwendungen der Verwandtschaft in diverse filmische Datenträger um. In aller Kürze: Um die Feiertage herum erhebt sich der Wachstumskurve meiner DVD-Sammlung ein steiles V.

Serienschauen ist eine Frage der Zeit

Nun war das Jahr 2015 auch das Jahr der Hinwendung zu und der Kapitulation vor digitalen Streaming-Diensten. Ende 2014 schloss ich ergiebige Mitgliedschaften bei den VoD-Portalen Amazon Instant und Netflix ab. Es folgten Monate effizienten und gelegentlich exzessiven Film- und Serienkonsums. Was dem Pubertierenden der Internetporno ist, erbietet sich dem Vielschauer herkömmlicher Filmkultur in Streaming-Diensten: Der absolute Überfluss nach Jahren des hingebungsvollen Verzichts und der mühsamen, (finanziell) aufwändigen Beschaffungsmaßnahmen. Wir, die gut versorgten, sophisticated Internetbohemiens des 21. Jahrhunderts, aufgewachsen mit VHS-Aufzeichnungen, knittrigen Videokasseten, der ein oder anderen staubigen Raubkopie, erleben derzeit die Utopie eines Film-und Serienfans, die Marty McFly, als er aus den 1980ern ins Jahr 2015 reiste, so nicht zu erblicken zu hoffen gewagt haben dürfte. Die Leerstellen unserer DVD-Regale, die erarbeitete, erstrittene Sammlung, wird aufgefüllt mit digitalen Pfropfen. Serienschauen ist keine Frage des Geldes mehr, sondern der Zeit.

Wie viele Serien schaut ihr parallel, fragten wir euch, die moviepilot-Community, im März diesen Jahres und entblößten damit das gegenwärtige Serien-Überangebot, dem wir mit offenen Armen begegnen. 2015 war das Jahr, in dem so viele Serien produziert wurden  (409), wie noch in keinem Jahr zuvor, und es ist davon auszugehen, dass gleichermaßen noch nie so viele Serien geschaut wurden wie in diesem Jahr. Ich schaue ca. 8 Serien parallel. Aktuell unter anderem eine Buffy-Episode pro Woche, daneben House of Cards, begleitet von einer systematischen How I Met Your Mother-OV-Retrospektive und Marvel's Jessica Jones (reine Neugierde). Ich warte überdies auf neue Staffeln von Orange Is the New Black, Fargo, Better Call Saul und BoJack Horseman. Ich achte stets auf eine gute Mischung aus Drama und Comedy. Diesen Luxus ermöglichen mir Streaming-Dienste. Ungeschaut bleibt dennoch vieles. Amazon Instant, das ich bislang eher zum Nachholen von Blockbustern, Horrorfilmen und Komödien nutze, macht mich neugierig auf Mr. Robot und The Man in the High Castle. Irgendwo warten auch noch die großartigen Scream Queens auf mich. Und ich binge watche doch so ungern.

VoD und der Serien-Exzess

Auch weil mich das an die Figuren aus David Foster Wallace‘ Roman Unendlicher Spaß erinnert, bei denen der exzessive Konsum von Drogen und Unterhaltung einem gleichermaßen selbstzerstörerischen Naturell unterliegt. Dem Unterhaltungsbedürfnis der ultra-hedonistischen Nordamerikaner wird in dem Roman mit einem breit gefächerten, unerschöpflichen, stets verfügbaren Angebot bester audiovisueller Unterhaltung begegnet. Veröffentlicht wurde Unendlicher Spaß Mitte der 1990er Jahre, die Figuren leben ungefähr im Jahr 2011. Wallace‘ Welt ist sowas wie der dystopische Gegenentwurf zu unserer gegenwärtigen Unterhaltungs-Utopie. Der MacGuffin in Unendlicher Spaß ist ein Film, der derart unterhaltsam ist, dass die Menschen nicht aufhören können, ihn zu schauen, dabei vergessen zu essen, zu trinken und an ihrem unendlichen Rezeptionserlebnis zugrunde gehen.

Amazon Instant und Netflix signalisieren uns stetige und unmittelbare Verfügbarkeit von Serien und Filmen im Überfluss. Und im Grunde sind die gleichzeitig auf der ganzen Welt geschauten Serien wie The Walking Dead und Game of Thrones die sichtbarste und fröhlichste Konsequenz einer kulturellen Globalisierung, die uns gut versorgte Wohlstandskinder mit einem nie versiegenden Unterhaltungsfluss überspült. Aber wo bleibt, bei diesem Überfluss, die Romantik? Und die Moral?

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