Tarantino trifft auf Kingsman: In diesem blutigen Gangster-Film voller Twists liegen die Nerven blank

15.02.2022 - 08:00 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
The Outfit
Nick Wall/Focus Features
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Im Berlinale-Film The Outfit treffen in einer schicksalhaften Nacht mehrere Gangster im Laden eines bescheidenen Schneiders aufeinander. Was folgt, ist ein nervenaufreibendes Kammerspiel.

Müsste man The Outfit auf dem popkulturellem Spektrum verorten, würde sich der elegante wie blutige Gangsterfilm irgendwo zwischen Reservoir Dogs und Kingsman: The Secret Service wiederfinden. Auf der einen Seite wären da viele Herren in extrem schicken Anzügen, die in einem Kammerspiel voller Twists um ihr Leben kämpfen. Auf der anderen Seite besitzt der Film ein großes Bewusstsein für Manieren und Gentlemen.

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Mitunter könnte Colin Firth durch das Bild laufen und den Menschen erklären, wie sie sich in bestimmten Situationen zu benehmen und – noch viel wichtiger – zu kleiden haben. "Manieren machen Menschen", heißt es mehrmals im ersten Kingsman-Film. Der von Mark Rylance verkörperte britischen Schneider Leonard, die Hauptfigur von The Outfit, würde diesen Satz am liebsten genauso mantraartig herunterbeten.

Die Gentleman-Version eines Gangsterfilms von Tarantino

The Outfit, der im Rahmen der Berlinale Special Gala seine Premiere feierte, entführt ins Chicago des Jahres 1956. Nicht nur bläst der für die Stadt gewohnt kalte Wind durch die Straßen. Auch Schneeflocken gleiten gediegen zur Erde und verleihen dem kleinen Laden, in dem wir uns den gesamten Film über befinden, eine magische Aura. Er wirkt, als wäre er aus der Zeit gefallen – und zu einem gewissen Teil ist das sogar so.

The Outfit

Entgegen der schnellen Auf- und Abstiege, die Amerika bestimmen, fertigt Leonard in seinem edel wie gemütlich eingerichteten Geschäft Anzüge nach Maß. Er fertigt sie nicht nur mit höchster Sorgfalt und Geduld an. Nein, sein präzises Handwerk erfordert ebenfalls das Wissen über seine Kundschaft. In seinen Augen wäre es völlig sinnlos, Mühe in die Erstellung eines Jackets zu stecken, wenn er Träger und Zweck nicht kennt.

Leonard beobachtet daher viel und stellt die richtigen Fragen. Nur wenn die Herren, die ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen tragen, seinen Laden betreten, schweigt er. Der Gangsterboss Roy Boyle (Simon Russell Beale) nutzt einen Briefkasten im Hinterzimmer des Etablissements für seine Geschäfte. Regelmäßig schickt er seinen Sohn Richie (Dylan O'Brien) und den abgebrühten Francis (Johnny Flynn) zur Kontrolle vorbei.

Graham Moore kommt vom Oscar-Gewinn zum Berlinale-Film

Moore, der für The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben mit dem Oscar für das Beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde, interessiert sich in seinem ersten abendfüllenden Regiearbeit sehr für Routine. Aufmerksam verfolgt er jeden einzelnen Handgriff seines Protagonisten, ganz zu schweigen von detailverliebten Aufnahmen, die durch die beschaulichen Räume schweifen, bevor die Hölle losbricht.

Ein ruhiger Rückzugsort, der nach seinen eigenen Gesetzen funktioniert. Doch er soll nicht ewig bleiben. Sobald Richie und Francis mitten in der Nacht aufgebracht gegen die Tür hämmern, droht das britische Gentleman-Paradies in den USA unterzugehen: Aus Richies Bauch quillt das Blut und über Francis' Stirn läuft ein Sturzbach aus Schweiß. Sie sind in einen Hinterhalt geraten und gerade so davongekommen.

The Outfit

Eine Kassette, die nicht in die falsche Hände geraten darf, und die Frage, wer der Maulwurf in den eigenen Reihen ist, bestimmen die Fortführung der Geschichte. Das Drehbuch von The Outfit schlägt viele Haken und lässt uns rätseln, welche der Figuren was im Schilde führt. Es ist jedoch nicht nur das Geschriebene, das für Spannung sorgt: Auch der Umgang mit der klar abgesteckten Umgebung spielt eine entscheidende Rolle.

The Outfit lebt von seiner Stimmung und Mark Rylance

Eine lange Nacht, gedimmtes Licht und eine überschaubare Anzahl an Orten: Zuerst erforscht Moore die entspannte Atmosphäre des Ladens. Dann zeigt er, wie das Blut die Präzisionsarbeit zerstört. Kameramann Dick Pope erweist sich dabei als wichtigster Verbündeter: Er rahmt das wendungsreiche Treiben mit der gleichen Genauigkeit, mit der Leonard seiner Profession nachgeht. Kein Zittern, sondern Expertise.

Obwohl sich die Situation in The Outfit von Minute zu Minute zuspitzt – später wird sogar Leonards Assistentin Mable (Zoey Deutch) in die Sache hineingezogen –, bewahrt sich der Film eine innere Ruhe. Der vermeintliche Widerspruch ist eines der reizvollsten Elemente von The Outfit: Moore balanciert gelassen zwei konträre Stimmungen, sodass man diesen Ort gar nicht mehr verlassen will. Er fühlt sich heimelig wie bedrohlich an.

Und dann wäre da noch Mark Rylance, der mit ganzer Hingabe dafür sorgt, dass The Outfit nie von einem Konzept überschattet wird. So mächtig sich die Enthüllungen des Drehbuchs über den Film legen: Dank Spielbergs aktuellem Lieblingsschauspieler gibt es in jeder Szene mindestens eine heimliche Regung oder Betonung zu entdecken, die es zum puren Genuss macht, den Geschehnissen folgen.

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In welcher Rolle hat euch Mark Rylance bisher am besten gefallen?

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