Test zu Life is Strange: Episode 3 — Chaos Theory

21.05.2015 - 12:15 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Life is Strange Ep. 3: Chaos Theory
Square Enix
Life is Strange Ep. 3: Chaos Theory
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Es gibt Spiele, von denen eure Freunde begeistert erzählen, aber deren Faszination ihr einfach nicht nachvollziehen könnt. Für mich ist Life is Strange ein solcher Titel und auch die dritte Episode macht es mir schwer, mich mit dieser Welt anzufreunden.

Dieses Review enthält Spoiler zu den Ereignissen von allen drei bisher veröffentlichten Episoden.

Nach drei von fünf Episoden und etwa sechs bis sieben Stunden Spielzeit, die ich Schulter an Schulter mit Max an der Blackwell Academy in Arcadia Bay verbracht habe, fühle ich mich mehr denn je wie ein Außenseiter, der keinen Zugang zu der verträumt-chaotischen Welt der jungen Frau findet. Life is Strange  erzählt die Geschichte von Teenagern auf der Schwelle zum Erwachsenwerden: Freundschaft, Zukunftsängste, Mobbing und Liebe gehören zu den Themen, um die sich das Spiel des französische Teams von Dontnod Entertainment drehen möchte — und doch wirken die Charaktere wie Kinder auf mich, die sich durch die Wirren ihrer Pubertät kämpfen und mich völlig ratlos zurücklassen. Life is Strange: Episode 3 - Chaos Theory  stellt dabei den bisherigen Höhepunkt meiner zerbrochenen Beziehung zu den Charakteren dar.

Kate war bis zu ihrem Tod Zielscheibe für Mobbing und persönliche Angriffe.


Nach dem Selbstmord der Mitschülerin und Außenseiterin Kate, den ich in der letzten Episode nicht verhindern konnte, erwacht Max nachts aus einem unruhigen Schlaf. "Nein, Kate, Nein!", ruft sie in ihr Zimmer hinein, während sie vom Schreibtisch aufschreckt. Die Geschehnisse vor einigen Stunden auf dem Dach der Schule gehen ihr sichtlich nahe und auch ich habe trotz mehrwöchiger Pause nicht vergessen, wie schlecht ich mich nach dem Tod des Mädchens gefühlt habe.

Es ist einer dieser bisher so seltenen Momente für mich, in denen ich Max zu verstehen glaube. Ich möchte ihr eine tröstende Hand auf die Schulter legen und ihr genau das sagen: "Ich verstehe, was du gerade durchmachst." — doch eine SMS von ihrer Freundin Chloe reißt Max und mich aus der gemeinsamen Stille. Sie hat Max etwas wichtiges zu zeigen und wir stürzen mit einer Taschenlampe in den Händen in den nachtschwarzen Gang des Wohnheims hinaus.

Chloes Nachricht reißt mich aus dem intimen Moment mit Max.


Life is Strange entwickelte sich für mich über die letzten beiden Episoden hinweg zu einem Synonym für satte Farben, Gespräche mit oftmals aufgekratzten Jugendlichen, gelangweilt im Unterricht zu sitzen oder über den Campus zu schlendern. Zu Beginn der dritten Episode weiten die Entwickler nun den riesigen Schatten, der über den letzten Ereignissen noch immer liegt, bis in die hintersten Gänge der Schule und sogar die anliegende Stadt aus: Vor dem alten Zimmer von Kate brennen Kerzen, einige Karten gedenken der Verstorbenen, die Eingangstür ist mit einem gelben Absperrband versiegelt. "Heuchlerisch" nennt Max die Geste der Mitschüler, die Kate zuvor nur mit Missachtung straften — oder schlimmerem.

Ich wandere weiter durch den Gang und bade in der düsteren Stimmung, mit der die Entwickler den Schrecken deutlich machen. Dann allerdings treffe ich auf Chloe, die mich bereits ungeduldig erwartet und plötzlich schlägt die Grundstimmung um. Aufgeregt tauschen die beiden Freundinnen ihre Pläne aus: "Wir müssen herausfinden, wer Kate WIRKLICH umgebracht hat! Wir müssen den Mörder finden!"

Da ist es wieder, das Gefühl, am Rand zu stehen: Die Person, mit der ich eben noch den Tod einer Mitschülerin betrauerte, schmiedet gemeinsam mit ihrer Co-Detektivin kindliche Pläne, das "Geheimnis um den Mord an Kate" aufzudecken. Max, die zuvor über die Dauer von zwei Episoden als vernünftig und erwachsen beschrieben wurde, bricht mit ihrer so naiven Vorstellung der Beweggründe Kates für ihren Selbstmord mit ihrer eigenen Charakterisierung. Plötzlich hat sich Kate nicht mehr umgebracht, sondern jemand, der "Mörder", habe sie mit unsichtbarer Hand vom Dach geschubst. Natürlich waren Einzelpersonen schlussendlich der Auslöser für die Verzweiflungstat der Außenseiterin, doch gingen ihre Probleme ganz offensichtlich noch so viel tiefer, dass mich die Oberflächlichkeit von Max fast von den Beinen fegte.

Die Entwickler scheuen sich nicht, die anonymen Belästigungen gegen Max zu illustrieren.


Ab sofort stehen andere Dinge im Vordergrund: Kates Geschichte rückt in den Hintergrund, stattdessen greifen die Entwickler wieder die Geschichte der vermissten Rachel auf, nach der Chloe und Max suchen. Während sie auf der Suche nach Hinweisen in das Schulgebäude einbrechen, danach im Schwimmbad der Highschool eine Runde plantschen und anschließend vor der aufgeschreckten Wache fliehen, lenkt Life is Strange meinen Blick immer stärker, fast aufdringlich, auf die Beziehung zwischen Chloe und Max, die sich von tiefer Freundschaft zu etwas ernsterem zu entwickeln scheint.

Hier werden für einen kurzen Moment Händchen gehalten, dort schütten sich die beiden einander die Seele aus und betonen, wie wichtig die Beziehung sowohl für Chloe als auch für Max ist. Auf dieser Achterbahnfahrt des Hormonschubs und Detektivspiels bleibe ich allerdings auf der Strecke, denn meine Gedanken kreisen noch immer um ganz andere Dinge: Wieso kann Max den Tod ihrer Mitschülerin so leichtfertig wegstecken, obwohl sich diese nur wenige Zentimeter vor ihren Augen vom Dach stieß?

Offensichtlich hängt dieses Problem mit den Grenzen zusammen, die die Entwickler nicht überschreiten können: Die Trauer ist so schnell vergessen, so schnell verarbeitet, da andere Spieler Kate retten konnten — und an irgendeinem Punkt wieder mit dem anderen, weniger erfolgreichen Spielerteil zusammentreffen müssen. Wollte Dontnod Entertainment dem Suizid einer Schülerin angemessenen Platz einräumen, so wäre der Arbeitsaufwand ins Unendliche gestiegen, da dies nichts anderes als das Schreiben zwei gänzlich verschiedener Episoden bedeutet hätte.

Der Kontrast der Pool-Szene gegenüber dem Episoden-Beginn ist drastisch. Zu drastisch.


Durch mein Unvermögen, Kate vor dem Tod zu bewahren, entfernte ich mich von der Protagonistin Max, die vom Spieldesign gezwungen wird, schneller über den Vorfall hinwegzukommen, als ich es kann. Damit verliere ich auch großes Stück Empathie gegenüber der Protagonistin.

Um diesen Dämpfer noch zu übertreffen, kann sich Dontnod Entertainment offensichtlich nicht von dem meiner Meinung nach völlig irregeleiteten Credo befreien, ständig in ihre grundsätzlich spannende Geschichte nervige Gameplay-Passagen einbauen zu müssen. Hier muss ich fünf Gegenstände aufsammeln, dort muss ich verzweifelt nach dem Passwort für einen PC suchen und mich dabei dem Try & Error-Prinzip ergeben. Ich verstehe nicht, wieso Dontnod Entertainment die spannenden Geschichten und mutigen Themen mit diesen störenden Sequenzen unterbricht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie dort draußen auch nur eine Person begeistert "Endlich darf ich in diesem Level herumlaufen und Gegenstände sammeln!" schreit, wenn die französischen Entwickler wieder zur Schnitzeljagd rufen.

Nicht noch mehr Items sammeln! Bitte!


Life is Strange ist in den Momenten am stärksten, in denen es vergisst, dass es eigentlich ein Spiel im Sinne von "Hey, du mit dem Controller, du musst jetzt was machen!" sein will. Ich genieße die Momente, in denen Max und Chloe stumm auf dem Bett liegen und dem wunderbaren Soundtrack lauschen oder sie alleine auf einer Bank sitzend in die Dunkelheit der Nacht blickt.

Life is Strange: Episode 3 - Chaos Theory  endet schließlich mit einem Twist, der das Feature der Zeitreise ins Extreme treibt und Max mit den Auswirkungen ihrer Kraft konfrontiert: Es war ein überraschendes Ende, das ich so im Gegensatz zu vielen anderen Szenen tatsächlich nicht kommen sah. Doch mein Mund stand nur für wenige Sekunden offen. Die Inkonsequenz des Spiels, zunächst ernste, schwere Themen mit mir zu teilen und sich dann notgedrungen meiner Erwartungshaltung an die Charaktere zu entziehen, raubte mir auch in der dritten Episode das Mitgefühl für Max, ohne das ein solches Spiel nicht funktionieren kann.


Zur Erstellung des Reviews wurde uns ein PS4-Key vom Publisher zur Verfügung gestellt.

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