The Night Of - Die Miniserie aus dem Hause HBO im Pilot-Check

29.09.2016 - 11:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Was geschah in der Nacht vom...?HBO
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In The Night Of sieht sich Riz Ahmed mit einem Mord konfrontiert, den er angeblich nicht begangen hat. John Turturro eilt dem Unglücklichen als Anwalt zur Hilfe. Was dabei herausgekommen ist, verraten wir euch im Pilot-Check zum Einstand der Miniserie.

Der Pilot-Check zu The Night Of wurde bereits zur US-Premiere am 10. Juli 2016 veröffentlicht. Nun ist die HBO-Serie auch in Deutschland auf Sky Atlantic HD zu sehen.

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Ob HBO gerade in der Krise steckt? Das könnte zumindest vermutet werden, betrachten wir die aktuellen Entwicklungen beim Pay-TV-Sender, der einst für einen Serien-Hit nach dem anderen sorgte. Nachdem zuletzt die 2. Staffel der 100-Millionen-Dollar-Investition Vinyl gecancelt wurde, scheinen die Probleme hinter den Kulissen nun endgültig auf die konkrete Ausrichtung des Programms übergeschwappt zu sein. Die Hoffnung, endlich wieder ein großes Ding zu landen, beruht derweil auf dem vielversprechenden Science-Fiction-Drama Westworld, das bisher allerdings eher durch seine turbulente Produktionsgeschichte von sich Reden machte. Ausgerechnet in dieser Zeit der Unbeständigkeit findet ein kleines, aber feines Format seinen Weg ins sonntägliche Abendprogramm bei HBO, das die Sorgen beinahe komplett verschwinden lässt: The Night Of ist eine extraordinäre Wohltat, obwohl auf den ersten Blick nicht einmal die Prämisse den Hauch von etwas Außergewöhnlichem erweckt.

Basierend auf der BBC-Serie Criminal Justice, die von Peter Moffat kreiert wurde, dreht sich The Night Of um eine jener Nächte, die für alle Beteiligten zum Dokument ihres persönlichen Niedergangs wird - alle voran Naz (Riz Ahmed). Der junge Student pakistanischer Abstammung schreibt im Hörsaal strebsam jede Gleichung mit, während er in der Sporthalle eine Existenz als Außenseiter am Rande des Spielfelds fristet. Körbe wirft er keine, umso größer ist die Überraschung, als er von den coolen Basketballjungs auf eine College-Party eingeladen wird. Letzten Endes soll er dort aber nie ankommen, denn als er sich ungefragt das Taxi seines Vaters schnappt, sitzt kurz darauf ein ungebetener Gast im Wagen. Andrea (Sofia Black-D'Elia) will unbedingt an den Strand gefahren werden. Naz ist perplex und eingeschüchtert, möchte die unerwartete Mitfahrerin jedoch nur ungern des Vehikels verweisen - unwissend, aus welchem Albtraum er in wenigen Stunden erwachen wird.

Sofia Black-D'Elia und Riz Ahmed in The Night Of

Steven Zaillian und Richard Price, ihres Zeichens für das Drehbuch der US-Adaption verantwortlich, erzählen eine Geschichte, wie sie tagtäglich in jedem Procedural erzählt werden und somit in puncto Originalität nicht weiter von einem kreativen Freiheitsschlag entfernt sein könnte. Allen Konventionen zum Trotz - Riz wacht auf, findet Andreas blutüberströmte Leiche und gerät als Hauptverdächtiger in den Mittelpunkt der darauffolgenden Ermittlungen - fühlt sich The Night Of ganz anders an und entsagt dem trügerischen Schein der Gewöhnlichkeit. Das erste Kapitel der Dramaserie entpuppt sich als behutsame, intime Beobachtung der Figuren und ihrer Handlungen, ohne in die kühle Perspektive distanzierter Observierung abzudriften. Steven Zaillian, der ebenfalls die Pilot-Episode inszenierte, und Richard Price wollen mehr als einen spannenden Mordfall über die Bühne bringen: Auch die Menschen sowie das Umfeld, in dem sich diese bewegen, ist essentieller Bestandteil des Narrativs und weitaus interessanter als das Verbrechen, das sie verbindet.

Verloren in der urbanen Tiefe New Yorks verwandelt sich The Night Of hintergründig in ein aufmerksames Porträt von Stadt und System, das im Verlauf der 90-minütigen Premiere ein unglaubliches Bewusstsein für das ständige Wechselspiel zwischen Setting und Figuren entwickelt. Wenn es nicht gerade Polizisten oder Passanten sind, fällt Naz die eigene Familie in den Rücken und konfrontiert ihn mit dem Umstand, dass er anders ist. Selbst an dem wohl aufgeschlossensten Ort der Metropole, Jackson Heights, ist Naz ein Fremder, der im Wettstreit der Identitäten unsicher seine eigene Stimme sucht und niemandem etwas Böses will. Naz ist einer, der vergeblich versucht, ein guter Mensch zu sein und alles richtig zu machen. Zu groß und zahlreich sind allerdings die Fettnäpfchen, die seine Umgebung im Sekundentakt offenbart. Niemals könnte ein solch zerbrechlicher Protagonist für den Mord an einer genauso hilflosen Person verantwortlich sein. Oder vielleicht doch?

Riz Ahmed und Bill Camp in The Night Of

Selbstverständlich verzichtet The Night Of im Rahmen der Pilot-Episode auf die detaillierte Schilderung des Tathergangs, um die Ungewissheit für die nächsten sieben Stunden zu wahren. Gleichzeitig wissen die kreativen Köpfe, dass diese Bebilderung überhaupt nicht der Kern des Geschehens ist, denn wichtig ist vor allem das, was um den Mord herum passiert. Diese Vorgänge bekommen wir nach Naz' Festnahme, einer Abfolge unglücklicher Zufälle, die entgegen ihrer Ironie einem plausiblen roten Faden folgen, präzise aufgefächert - und das alles in der Ruhe der Nacht. Selten war das ausschließliche Abarbeiten des Protokolls spannender und in gewisser Weise auch beruhigender. Konzentriert verfolgen Steven Zaillian und Richard Price jede Kleinigkeit und wie diese von den Figuren wahrgenommen wird. Ein Messer in der Brusttasche kann nicht ewig unbemerkt bleiben, Blutspuren am Taxi verschwinden dafür in der Dunkelheit, wenngleich sie nicht offensichtlicher sein könnten.

Der Auftakt von The Night Of sprudelt vor unscheinbaren Akzenten dieser Art und lässt dadurch selbst das Warten auf dem Revier zum nervenaufreibenden Unterfangen werden. Die Kulisse spricht und atmet, kein Detail wird in die zweite Reihe verbannt. Sei es der Nachbar, der im Morgenmantel die Cops alarmiert, die Aura von Detective Dennis Box (Bill Camp), der gleichermaßen vertrauenswürdig wie bestimmend den Raum betritt, oder die Sandalen von Anwalt Jack Stone (John Turturro), die beiläufig eine andere, aber nicht weniger relevante Geschichte andeuten, da sie im Bruchteil einer Sekunde den Grundriss einer ganze Figur formen: Es spricht definitiv für The Night Of, dass hier die obligatorischen Stereotypen des Tatorts zum Leben erwachen und in aufrichtigen Gesprächen aufeinander treffen. Am Ende wollen sie - völlig unabhängig von einem Geständnis - schlicht die Wahrheit sagen, doch die Welt, in der sie sich befinden, macht es unmöglich. Ab diesem Punkt könnte The Night Of in den nächsten Wochen nicht weniger erzählen als The Wire von 2002 bis 2008 oder auch das Show Me a Hero des vergangenen Jahres werden.

John Turturro in The Night Of

The Night Of ist in den USA auf HBO und in Deutschland auf Sky on Demand, Sky Go und Sky Online zu sehen.

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