The Witness im Test — Mein IQ & Ich im Zauberwald

27.01.2016 - 15:20 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Augen auf beim Puzzlelauf
Thekla, Inc.
Augen auf beim Puzzlelauf
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Mit The Witness meldet sich der Braid-Schöpfer Jonathan Blow nach 8 langen Jahren wieder zurück. Sein First Person-Puzzler will sowohl clever als auch wunderschön sein, aber hat Blow den schmalen Grat geschafft oder geht die Insel letztlich doch unter?

Rätsel sind selten geworden. Noch vor ein paar Jahren gehörte es für jedes größere Spiel zum guten Ton, auch ein paar Passagen einzubauen, die das Gameplay entschleunigen und den Spieler mit Kopfnüssen konfrontieren. Dabei war es ganz egal, ob es da um Tomb Raider oder um Resident Evil ging. Doch mit der Zeit wurden die Rätsel weniger und vor allem simpler. In der Uncharted-Reihe, die sich für antiquierte Puzzle-Einlagen eigentlich anbieten würde, beschränkt sich die nötige Denkleistung auf ein Schalter- und Hebel-Rätsel. Und auch wenn Telltale Games für ein Revival der Adventures gesorgt haben, fehlt von der Knackigkeit der LucasArts-Klassiker jede Spur.

Jonathan Blow im Zeugenstand

Wer wirklich noch gefordert werden möchte, muss sich auf den Mobile-Markt wagen, wo es von Rätsel-Apps nur so wimmelt. Doch angefangen mit Portal hat sich eine kleine Nische an First Person-Puzzlern entwickelt, in die nun auch The Witness fällt. Ursprünglich schon 2009 angekündigt, wurde das neue Projekt von Jonathan Blow immer weiter nach hinten verschoben, bis sich Sony dann zum Launch der PS4 mit dem Versprechen schmückte, die quietschbunte Rätsel-Insel von The Witness exklusiv anzubieten. So wirklich exklusiv ist The Witness durch den PC-Release zwar nicht mehr, quietschbunt ist es aber noch immer.


Und zunächst schien das in Pastellfarben getunkte Eiland auch der größte Anreiz zu sein, den The Witness zu bieten hat. Von den Rätseln selbst wurde im Vorfeld kaum berichtet, zu erstaunt waren wir vom SciFi-Kitsch und zu erwartungshungrig waren wir auf das sicherlich düstere Geheimnis der Insel. Der Erfolg von Braid, der es Jonathan Blow und seinem Team in finanzieller Hinsicht überhaupt erst ermöglicht hat, The Witness in Angriff zu nehmen, lässt die Vermutung zu, dass wir auch dieses Mal einzig und allein auf den überraschenden Twist hinarbeiten. Der Weg zur großen Enthüllung mag sicher unterhaltsam sein, aber wie M. Night Shyamalan wird auch von Jonathan Blow erwartet, dass er uns überrascht.

Nur tut er das nicht. Ich fasse mich kurz: Ja, The Witness hat eine Geschichte und ja, sie ist mysteriös und geheimnisvoll. Wirklich darum zu scheren, braucht sich aber niemand. Wie in der Myst-Reihe, dem großen Vorbild von The Witness, schafft das Mysteriöse und Fremdartige nur den Nährboden für die Neugier, die wir zum Knacken der Rätsel brauchen. Und The Witness treibt es mit der Neugier und mit der Wahrnehmung der Umgebung auf die Spitze. Wenn ihr befürchtet habt, dass die über 600 Rätsel in The Witness, die allesamt auf dem Zeichnen von Linien basieren, schon nach kurzer Zeit langweilig werden, dann kann ich euch beruhigen: Das Spiel schafft es, die Erkundung der Welt und die statischen Puzzle-Tafeln originell und abwechslungsreich miteinander zu verbinden.

Tatort: Rätselheft

Mal müssen wir die Reflektion der Sonne einsehen um die verschmierten Stellen zu finden, die wir für den Lösungsweg nachziehen. Dann ist plötzlich der Schatten der Baumäste wichtig, die uns hilfreiche Tipps geben. Immer und immer wieder findet The Witness einen Weg, um das Grundkonzept der Linien-Rätsel aufzurütteln, zu erweitern oder sogar gleich ganz neu zu erfinden. Dass diese Puzzle dabei nahezu vollkommen auf kalter Logik basieren, macht es nur noch erstaunlicher, dass Blow einen Weg gefunden hat, sie mit der Verspieltheit der Insel-Architektur zu verbinden.

Manchmal fühle ich mich, als würde ich einen Frühlingsspaziergang machen (in meinem Alter tatsächlich eine Option) und nebenbei einen Intelligenztest absolvieren. Vielleicht kann man The Witness vorwerfen, dass bloßer IQ für das Knacken der Rätsel von größerer Bedeutung ist als experimentelle Herangehensweisen oder Kreativität, doch vielleicht sollte man für sowas eher bei The Talos Principle anklopfen.

The Witness

Die Insel, die Blow für The Witness designed hat, lässt der Natur keinen Raum. Die Insel ist nicht entstanden und wurde nachträglich bearbeitet, sie wurde für ihren besonderen Zweck erschaffen. Keine Waldlichtung darf einfach nur schön sein, kein Wasserlauf einfach nur plätschern. Jedes Stück der Insel erfüllt eine bestimmte, architektonische Aufgabe. Das Leveldesign von The Witness erinnert mehr an Metroid als an The Witcher 3: Wilde Jagd. Ohne wirkliche Zielvorgabe oder erzählerischen Druck spaziere ich an Stränden, über Berge und durch Herbstwälder, bis ich auf ein Rätsel stoße, das ich lösen kann. Manchmal schaffe ich einen ganzen Komplex, der den Bereich abschließt, manchmal muss ich aber auch aufgeben und weiterspazieren.

Aufgabe, Verzweiflung und Frustration gehören bei The Witness auf jeden Fall dazu. Die Puzzle sind anfangs noch leicht, zumindest wenn man den Kniff gefunden hat, auf den die momentane Rätselreihe basiert. Doch schon die nächste Herausforderung kann vollkommen überfordern. Bereits nach der ersten Stunde mit The Witness habe ich begonnen, mir Notizen zu machen und ganze Zettel mit möglichen Linienverläufen zu füllen, die ich in krakeliger Bleistiftführung auf das Papier schmierte, während die andere Hand das Rätsel doch noch einmal auf gut Glück probiert.

The Witness

Ich bezweifele, dass ich jemals alle Rätsel lösen werde, die The Witness zu bieten hat. Und das ist auch vollkommen ok, denn das Spiel gibt mir nicht das Gefühl etwas zu verpassen. Ich darf mich einfach dem Rätseln hingeben, ohne den Zwang zu verspüren, sie unbedingt lösen zu müssen. Fortschritt ist hier zweitranging.

Fazit

The Witness verbindet eindrucksvolle Umgebungen mit quadratischen Rätseltafeln, für die auch eine iOS-App gereicht hätte. Dieser eigentliche Widerspruch wird von den Entwicklern aber meisterhaft gelöst und die Dynamik zwischen der Welt und den Rätseln rechtfertigt die Ambitionen, mit denen Jonathan Blow an das Spiel herangegangen ist. Wer sich nicht als geduldigen Menschen bezeichnen würde, kann davon ausgehen, dass ihn der rasant ansteigende Schwierigkeitsgrad zur Weißglut treiben wird.

Unfair wird The Witness aber nie und das liegt vor allem daran, dass es das Spiel schafft, zu vermitteln, dass es nicht um das Lösen der Rätsel geht, sondern das Nachdenken über sie. Wie der Titel schon verrät, treten wir in The Witness als Zeuge auf, dessen Wahrnehmungen bestimmen, ob der Fall gelöst werden kann. Und wie immer sind die Details hier am wichtigsten.

Dieses Review wurde uns in Form eines Downloads vom Publisher zur Verfügung gestellt.

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