Total War: Warhammer im Test — Das Experiment ist gelungen

24.05.2016 - 12:20 Uhr
Total War: Warhammer
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Total War: Warhammer ist der wohl mutigste Schritt in der Geschichte des langlebigen Franchises und führt erstmals Fantasy-Völker auf die riesigen Schlachtfelder. Dieser Mut hat sich ausgezahlt: Das Experiment ist trotz einiger Haken letztendlich gelungen.

Das Total War-Franchise ist seit mittlerweile 16 Jahren regelmäßiger Quell für Spiele, die Echtzeit- und Rundenstrategie mit historischen Schauplätzen verknüpfen. Die Entwickler führten uns bereits in die Antike, das Mittelalter, die Zeit des japanischen Shogunats und machten auch vor dem 18. Jahrhundert nicht halt.

Römer und Napoleon war gestern: Heute fliegen wir auf einem Greif in die Schlacht!

Doch 16 Jahre sind auch eine verdammt lange Zeit, um die Orientierung zu verlieren und falsche Wege einzuschlagen. Vor allem die letzten Total War-Spiele, allen voran Total War: Rome 2, stürzten die Reihe in eine Krise: Besonders die zahlreichen Bugs zum Release und eine zweifelhafte DLC-Politik stimmten die Community unzufrieden. Das nun erschienene Total War: Warhammer will den Fans des Franchises jetzt wieder zu Glücksgefühlen verhelfen und bemüht sich um zahlreiche mutige Änderungen. Diese gelingen zwar nicht alle, doch mein Gesamteindruck bleibt davon letztendlich ungetrübt: Das Experiment Warhammer ist gelungen!

Nicht nur Tapetenwechsel, sondern direkt ein neues Haus

Die größte Änderung ist zugleich die offensichtlichste. Statt traditionell in ein historisches Kapitel der Menschheitsgeschichte zu tauchen und die Eroberung der gesamten Welt zu proben, unternimmt Total War: Warhammer einen tiefen Tauchgang durch das gleichnamige Fantasy-Universum. Wir lenken also nicht mehr die Geschicke von Römern, Germanen oder dem deutschen Kaiserreich, sondern entscheiden über die Zukunft des Imperium der Menschen, der Zwerge, Vampire oder orkischen Grünhäute. Doch hinter Total War: Warhammer verbirgt sich noch weitaus mehr als eine bloße Überarbeitung der vertrauten Texturen mit dem Fantasy-Pinsel.

Die Einheiten und Geschichten der verschiedenen Völker könnten unterschiedlicher nicht sein.

Tatsächlich fühlt es sich in diesem Spiel mehr denn je so an, als würden wir eine echte Geschichte erzählen, statt einfach nur 50 Provinzen einzunehmen, um das Spiel zu gewinnen. Story-Events gab es zwar bereits in den vergangenen Teilen als erzählerische Dreingabe, doch nun stellen sie einen Kern der Spielmechanik dar und krempeln damit alles um, was Total War-Fans kennen — und möglicherweise auch lieben. So kann keines der Völker beispielsweise die komplette Spielwelt erobern, sondern hat je nach Fraktion individuelle Ziele und Motivationen: Die Zwerge beispielsweise haben kein Interesse daran, das Königreich der Menschen auszulöschen, sondern wollen viel lieber die zahlreichen unterirdischen Stollen von den orkischen Besatzern befreien. Passend dazu drückt uns die Zwergen-Fraktion das Buch des Grolls ins Gesicht, in dem regelmäßig Quest-Ketten erscheinen, für deren Abschluss wir Belohnungen erhalten.

Die Menschen hingegen haben kein Buch des Grolls, dafür aber den Auftrag, das in viele Herzogtümer gespaltete Imperium zu vereinen. Hierzu müssen Schlüsselpersonen des Widerstandes besiegt und ihre Armeen zu Vasallen gemacht werden. Erst dann ist es sinnvoll, sich gegen die im Norden lauernden Vampire zu stellen, die ihrerseits versuchen, das Imperium und die Zwerge mit Infiltration ins Wanken zu bringen. Die Chaos-Krieger, die nur vorübergehend spielbar und dann als DLC-Fraktion verfügbar sind, spielen sich unterdessen als nomadische Wüteriche, die ähnlich wie die Barbaren-Fraktionen in Total War: Attila  nur an verbrannter Erde interessiert sind. Ja, selten fühlten sich verschiedene Nationen in einem Total War-Spiel so unterschiedlich an.

Das Design der Einheiten und Helden ist beeindruckend detailverliebt.

Eine weitere Neuerung, die zu diesem neuen Schwerpunkt des Schreibens einer eigenen Geschichte beiträgt, sind die Fraktionshelden: Diese mächtigen Einheiten können eigene Quests erledigen, damit Ausrüstungen freischalten und in einem ziemlich großen Fertigkeitenbaum neue Fähigkeiten lernen. Statt also wie in der Vergangenheit üblich auf den eigenen General zu achten wie ein Grundschüler auf seine Milchtüte, tun wir gut daran, den Helden aktiv an der Schlacht zu beteiligen und die vielen Stärken und wenigen Schwächen der Superkrieger auszunutzen.

Tiefschwarze Schattenseiten

All diese Änderungen stehen der Total War-Formel wirklich gut. Jede einzelne Kampagne fühlt sich weitaus weniger beliebig an und die starke Betonung des Rollenspiel-Aspekts sorgt für viel Langzeitmotivation und dem berüchtigten Satz: "Nur noch eine Runde!" Es könnte ja jederzeit wertvolle neue Ausrüstung auftauchen oder eine frische, spannende Quest-Reihe anstehen!

Allerdings ist Total War: Warhammer nicht makellos, im Gegenteil: Zu wohl keinem Zeitpunkt in der 16-jährigen Geschichte mussten wir mit einer derart strategisch unterfordernden Kampagnen-Karte vorliebnehmen. Individuelles Provinz-Einkommen und lokale Zufriedenheit wurden gestrichen, ebenso besondere Güter und Ressourcen, die in älteren Spielen für den Bau bestimmter Gebäude benötigt wurden. Nahrungsversorgung und Verschmutzung spielen keine Rolle mehr, während sich Steuern nur noch ein- oder ausschalten lassen — keine Spur mehr vom feinfühligen Ausloten in den Vorgängern, was für eine Höhe der Abgaben ich meinem Volk aufbürden kann.

Übersichtlich aber auch stark vereinfacht kommt die neue Kampagnen-Karte daher.

Auch die Schlachten leiden ein wenig unter dem Tonus der allgemeinen Vereinfachung: Grundlegende Fähigkeiten wie Ab- und Aufsitzen von Reiter-Einheiten gehören der Vergangenheit an, auch zahlreiche andere aktivierbare Fähigkeiten wie Schildwälle oder bestimmte Formationsangriffe. Dafür spendiert uns das Universum eine völlig neue Spielmechanik, die das entstandene Taktik-Loch auffüllt: Die Magie. Zauberer weben verschiedenste magische Angriffe und sorgen damit immer wieder für überraschende Wendungen auf dem Schlachtfeld, auch wenn die Effekte immer wieder einmal die so wichtige Übersicht gefährden.

Schließlich fiel mir leider auch das Balancing der Kampagne negativ auf: Haben wir erst einmal die Frühzeit des Spiels heil überstanden, fand sich normalerweise kaum noch ein Gegner, der mächtig genug war, um mein Reich zu bedrohen — ganz egal, welche Fraktion ich anführe. Das sinnvoll umgesetzte und wirklich unterhaltsame Rollenspielsystem rund um Quests und Helden übernimmt spätestens dann die Hauptmotivation, noch weiterzuspielen. Vor allem langjährige Fans der Reihe werden sich hiermit erst einmal anfreunden müssen, während Franchise-Neulinge spätestens jetzt mit den Freudentränen kämpfen dürften.

Fazit

Total War: Warhammer war ein enorm mutiger Schritt für die Entwickler: Vor allem auf spielmechanischer Ebene brechen sie mit fast allen Traditionen, die die Community trotz einiger Beschwerden lieben gelernt hat. Doch dank des Mutes der Entwickler dürfen wir nun eines der atmosphärischsten Total War-Spiele in Händen halten, die das Franchise wohl je ins Regal geworfen hat: Orks ergießen sich in Heerscharen über Hügelkuppen, Pikeniere des Imperiums stemmen sich gegen gigantische Trolle und Kampfspinnen, während Vampir-Fürsten verstorbene Krieger mit einem magischen Fingerschnipsen wiederauferstehen lassen. Total War: Warhammer ist keine Eroberungssimulation mehr, sondern ein Rollenspiel im Strategie-Kleid — und mir gefällt das sehr.

Dafür nehme ich auch das Fehlen einiger Features in Kauf, die früher für die nötige Langzeitmotivation gesorgt haben: Die Verwaltung auf der Kampagnen-Karte ist so simpel gestrickt wie nie und unsere expansionistischen Ambitionen werden von Questreihen stark eingeschränkt. All das sind allerdings spielmechanische Opfer, die ich letztendlich gerne bringe, um den dringend benötigten frischen Wind atmen zu können, den die Welt von Warhammer mit sich bringt.

Groß bleibt allerdings mein Fragezeichen, wenn ich darüber nachdenke, dass einige Schlüsselvölker des Universums nicht oder nur eingeschränkt spielbar sind. Wo sind beispielsweise die Elfen, die in dieser Welt eine enorm wichtige Rolle einnehmen? Dieses Volk bietet eine so interessante Grundlage für das Spiel, dass ich mir fast sicher bin, bald schon einen entsprechenden DLC im Store vorfinden zu können. Grundsätzlich ist gegen DLCs auch nichts einzuwenden, allerdings haben die Entwickler dieses Vertrauen, das hier keine große Abzocke passieren wird, schon vor Jahren verspielt. Uns bleibt nichts anderes als zu hoffen, dass die nachträglich veröffentlichten Inhalte den positiven ersten Eindruck nicht trüben werden, den dieses gelungene Experiment bei mir hinterlassen hat.

Der Publisher hat uns zur Erstellung dieses Reviews einen PC-Key zur Verfügung gestellt.

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