Über Wackelkameras & die Suche nach guten Actionszenen

27.09.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Fast & Furious 5
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Was macht eine gute Actionszene aus? Diese Frage hat im Zeitalter der Wackelkamera an Brisanz gewonnen. Von einem aussterbenden Handwerk sprechen die einen, andere dagegen argumentieren mit Realismus und Aufmerksamkeitsspannen. Gibt es überhaupt ein Regelwerk?

Als eines der Mankos von World Invasion: Battle Los Angeles wurden bei Kinostart neben seiner unglaublichen Dummheit die kaum entzifferbaren Actionszenen herausgehoben. Bei einem Film, der zu 95 Prozent aus Geballer besteht, fällt dies logischerweise etwas schwerer ins Gewicht. Jonathan Liebesmans Alieninvasion ist aber nur einer von vielen US-Blockbustern, die sich in den letzten Jahren solchen Vorwürfen stellen mussten. Die Angst vor der Shaky Cam geht um in den Kinosälen dieser Welt, was gleichermaßen Anlass gibt zum Jammern über den Niedergang des amerikanischen Actionfilms wie zum ungezügelten Hype, wenn sich ein ansehnlicher Kandidat im DVD-Regal offenbart. Dabei verschleiert die Mär von der Wackelkamera einen fundamentaleren Wandel im Handwerk des Filmemachens und erschwert zugleich die Erstellung eines Regelkanons. Eine “gute” Actionszene lässt sich von einer “schlechten” so leicht nicht unterscheiden.

Um die soeben getroffene Aussage sofort zu untergraben, sei an dieser Stelle auf eine hervorragende Actionsequenz verwiesen: In New Police Story (2004) von Benny Chan landet Jackie Chan auf einem fahrerlosen Doppelstockbus, der innerhalb von drei Minuten anscheinend alle Schaufenster in Hongkong demoliert. Das Hauptaugenmerk der Inszenierung liegt auf zwei Dingen: der Zerstörung, die der Bus in der Großstadt anrichtet und Jackie Chan. Als gelungen lässt sich diese Sequenz bezeichnen, weil sie ihrem Anspruch gerecht wird. Durch Kameraführung, Montage und die atemberaubende Arbeit des Jackie Chan Stunt Teams bleibt uns Zuschauern nichts anderes übrig, als das visuelle Spektakel einzusaugen und uns wie kleine Kinder über die Karambolagen des Busses und Jackie Chans akrobatische Leistung zu freuen. Wir lassen uns von der Welle der bewundernden Aufregung tragen, weil uns die Erschließung der räumlichen Zusammenhänge in den verschiedenen Einstellungen ohne Weiteres möglich ist. Dass New Police Story uns “die Arbeit” erleichtert, ist zum Teil einer langen Action-Tradition im Hongkonger Kino zu verdanken, deren oberste Prämisse es ist, ihre Schauwerte – ausgefeilte Choreographien, waghalsige Stunt-Arbeit, ausgebildete Martial Arts-Talente – auf dem Präsentierteller zu platzieren.

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Obwohl viele Hollywood-Stars bzw. deren Versicherungen vor einem Jackie Chan-Stunt kreidebleich würden, zeichnete sich das Actionkino aus den Staaten lange Zeit durch einen ähnlichen Anspruch aus. Die Verfolgungsjagd in der Wüste in Steven Spielbergs Jäger des verlorenen Schatzes braucht sich vor keinem Hongkonger Konkurrent verstecken, selbiges gilt für Klassiker wie Driver oder Getaway und unzählige andere. In jüngeren Produktionen, für die stichprobenartig Battle L.A., Transformers – Die Rache, James Bond 007 – Ein Quantum Trost und Das Bourne Ultimatum genannt seien, ist der Verlust der Klarheit allerdings zur Norm geworden. Beim ersten Ansehen dürfte etwa die Verfolgungsjagd am Gadasee zu Beginn von Ein Quantum Trost vor allem für Verwirrung sorgen, so schnell wie James Bond, seine Verfolger und unbeteiligte Verkehrsteilnehmer per Schnitt eingeführt und stellenweise per Karambolage wieder hinausgeschubst werden. Die Inszenierung nimmt uns in vielen Momenten die Möglichkeit, die einzelnen Teilnehmer der Jagd räumlich miteinander in Verbindung zu setzen. Wer wo wen verfolgt, bleibt oft der Spekulation überlassen.

Filmwissenschaftler David Bordwell findet eine vergleichbare räumliche Verwirrung bereits im Actionkino der 80er und 90er. Demnach würden heftigere Kamerabewegungen, höhere Schnittfrequenzen und die Bevorzugung naher Einstellungsgrößen genutzt, um uns eine vage Idee von den physischen Aktivitäten zu liefern, ohne diese im Bild zu zeigen. Beispielhaft nennt er Lethal Weapon – Zwei stahlharte Profis, Beverly Hills Cop – Ich lös’ den Fall auf jeden Fall, Stirb langsam 2 oder The Rock – Fels der Entscheidung, die bei vielen Fans als Klassiker des Genres gelten. Die Überwältigung mit kaum zusammenhängenden audiovisuellen Inhalten trete hier an die Stelle der Einbindung des Zuschauers ins Geschehen. So arbeitet Michael Bay in The Rock teils mit hysterischen Zooms, um zu zeigen, dass Sean Connery in einem schnellen Hummer fährt, anstatt Straße, Hummer und Schotte in einer Einstellung einzufangen. In besagter Sequenz in Ein Quantum Trost bombardiert uns Marc Forster mit fragmentarischen Einstellungen: hier der fahrende James Bond, da das beschädigte Blech, dort das Schemen eines vorbeirasenden Autos. Selbst wenn eine Karre einen Abhang hinunterstürzt, verweilt die Kamera nicht auf deren zerdellten Überresten. Das Vorgaukeln von Bewegung sowohl durch die Kamera selbst als auch die eingefangenen Objekte steht der Bewunderung des Spektakels im Weg.

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