Until Dawn modernisiert den Teenie-Slasher

13.07.2015 - 12:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Until Dawn
Sony Computer Entertainment
Until Dawn
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Until Dawn präsentiert sich auf den ersten Blick als kopfloses Abziehbild der Teenie-Slasher aus den 90er Jahren, doch unter der Oberfläche befindet sich das Potential für ein unterhaltsames Spiel mit den Klischees.

Ich hätte niemals gedacht, dass Until Dawn  wirklich viel Aufmerksamkeit erregen könnte: Erste Bilder und Trailer zeigten eine verängstigte Gruppe Teenager, die in einer Berghütte im hohen Norden aufgeschreckt von Raum zu Raum rennen, während ihnen ein maskierter Mörder messerwetzend lachend auflauert. Der Titel präsentierte sich als fast wörtliche Hommage an die Teenie-Slasher der 80er und 90er Jahre — die nur mit einem Handtuch und einer Taschenlampe bekleidete Blondine, die ängstlich eine Treppe hinuntersteigt und "Hallo, ist da wer?" flüstert, hätte problemlos auch die Ankündigung für einen neuen Scream-Film rahmen können.

Scream- Trailer
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Nach diesen ersten Eindrücken schien Until Dawn zum spielbar gewordenen Klischee zu verkommen: Wie kann sich ein Horrorspiel ernst nehmen und gleichzeitig Charaktere und Stilmittel aufwärmen, die bereits vor 20 Jahren für leichtes Stirnrunzeln sorgten? Mit dieser Frage im Hinterkopf wackelte ich an einem sonnigen Morgen durch die Straßen Berlins, um auf Einladung von Sony hin erstmals selbst Until Dawn spielen zu dürfen. Eines kann ich bereits vorweg nehmen: Kaum eine meiner Erwartungen wurden nach fast drei Stunden erfüllt — und das ist verdammt großartig.

Rollenspiel hält Händchen mit Teenie-Slasher

Die Geschichte beginnt so altbacken wie befürchtet und erwartet: Nach einem fürchterlichen Todesfall in einer Waldhütte kehrt die einstige Feiergemeinschaft nach exakt einem Jahr an den Ort der Geschehnisse zurück, um den Verstorbenen zu gedenken und ihre Freundschaft zu stärken: Das soll vor allem mit Alkohol, Drogen und sexueller Unverklemmtheit gelingen.

Nach und nach lernen wir die acht Jungs und Mädchen im Teenager-Alter kennen und in welchen Beziehungen sie zueinander stehen. Dabei werden die Figuren nicht nur klassisch in Gesprächen charakterisiert, sondern verfügen über verschiedene Attribute, die bei den einzelnen Personen unterschiedlich stark ausgeprägt sind und in einem eigenen Menü jederzeit eingesehen werden können.

Grafisch beeindruckend, allerdings gefährlich oft am Abgrund zum Uncanny Valley.


Die spannende Idee der Entwickler von Supermassive Games ist, diese Werte im Laufe der Geschichte von euch verändern zu lassen: Immer wieder müsst ihr euch in Gesprächen für eine Reaktion entscheiden, die dann merklichen Einfluss auf eure Beziehungen und Charaktereigenschaften nehmen. So kann ein zunächst vorsichtiger und methodischer Kerl durch euer Spielverhalten zu einem couragierten Haudrauf geformt werden, der mit diesem ungewöhnlichen Charakterzug neue Dialogoptionen und Handlungsoptionen in zukünftigen Sequenzen ermöglicht. Auf den ersten Blick funktionierte dieses System nachvollziehbar und flüssig — wie glaubwürdig und weitreichend sich eure Entscheidungen allerdings auf die Charaktere auswirken werden, wird eine längere Spielsitzung erst noch zeigen müssen.

Dieses Spielelement sorgt nichtsdestotrotz dafür, dass ihr die emotionale Hemmschwelle der Klischees überwinden und euch nach und nach auf die Charaktere einlassen könnt.

Nicht selten werden euch eure Entscheidung in schwierige Situationen führen.


Früher oder später habt ihr euren Sympathieträger erkoren und dank der Gespräche nach euren Vorstellungen geformt, so dass ihr alles daran setzen werdet, sie oder ihn bis zum rettenden Morgengrauen überleben zu lassen — denn wie bereits angedeutet wird der Plausch am Kaminfeuer und die verspielte Schneeballschlacht hinter der Hütte nicht die einzige Herausforderung der Nacht bleiben. Ein maskierter Massenmörder, der direkt aus der Klamottenkiste der 1980er Jahre entsprungen zu sein scheint, will unseren Teenagern an den Kragen.

"Wir sollen zu zweit spielen? Wirklich?"

Dieser Ausruf entglitt mir, als meinem Nebensitzer der Controller in die Hand gedrückt wurde. Normalerweise bin ich es gewohnt, gemäß den Anweisungen der Entwickler mich mit meinem besten Kopfhörer-Paar in eine dunkle Zimmerecke zu verziehen, um das Spiel ganz auf mich wirken zu lassen. Doch Until Dawn ist anders.

Until Dawn strotzt vor Klischees — und ist dennoch unterhaltsam.


Schon nach kurzer Zeit merke ich, dass dieses Spiel in erster Linie kein nervenaufreibendes Horrorspiel ist, sondern ein spielgewordener Teenie-Slasher, der uns in den nächsten drei Stunden ähnlich laut aufschreien ließ, als würde mein Kollege und ich zum wiederholten Male Freitag der 13. sehen: Es spielt mit den Klischees, wenn die verfolgte Blondine plötzlich aufschreit und stolpert oder sich die Gruppe aufteilt, um irgendeinem Geräusch nachzugehen.

Wir wissen, wie das enden könnte und rufen teilweise trashig-unterhalten, teilweise aufrichtig besorgt über unsere Lieblingscharaktere in Richtung der Mattscheibe. Nicht selten wird allerdings der Bildschirmtod unvermeidbar sein — auch wenn euch das Spiel regelmäßig Hinweise in Form von unklaren Visionen gibt, wie ein Charakter in Kürze sterben könnte. Indianerfriedhof-Kram. Ihr wisst schon. Die 90er.

Mir gefallen die Ideen des Spiels — nicht aber die oft klassischen Geschlechterrollen.


Doch mit dieser Trash-Architektur gibt sich Until Dawn glücklicherweise nicht zufrieden: Zwischen den Kapiteln, die die Nacht des Spielgeschehens bis zum Sonnenaufgang in einstündige Portionen unterteilen, findet ihr euch in einer ominösen Therapiesitzung wieder. Ein charismatischer Psychologe stellt euch wiederholt Fragen, über eure Beziehung zu den anderen Charakteren, eure tiefsten Ängste und bisher schönsten Spielerlebnisse. Dabei wird nicht nur ganz bewusst die vierte Wand durchbrochen ("Immer daran denken: Das ist alles nur ein Spiel und du bist der Spieler.").

Diese Sitzungen dienen offensichtlich als eine Art Editor, in dem ihr bestimmte Faktoren, wie das Verhalten oder Aussehen des Mörders indirekt bestimmen könnt. Damit steigt in Verbindung mit den veränderbaren Charakterzügen der Wiederspielwert in erfreulich gigantische Höhen: Jede eurer Entscheidungen scheint also nicht nur Dialoge und Actionsequenzen zu beeinflussen, sondern auch Vorgehen und Charakter des Mörders selbst. Je nach Spielverlauf ist es möglich, das zum Morgengrauen alle Teenager überlebt haben — oder niemand wieder das rettende Tageslicht sehen wird.


Lediglich eine, wenngleich gigantische Hürde sehe ich nach meiner dreistündigen Spielesitzung, die die Rennaissance des Teenie-Slashers zu Fall bringen könnte: Eigentlich war ich darüber hinweg, in Videospielen verängstigte, fast nackte Frauen schreiend durch Treppenhäuser zu jagen und von den Alpha-Männchen in den Arm nehmen zu lassen. In einer Szene schlägt mir einer der Kerle sogar geifernd vor, die Frauen mit Drogen zu betäuben, um sie "endlich zu erlegen." Uns als Spieler wird in dieser Situation nicht ermöglicht, ein ausdrückliches Nein in den Raum zu stellen — Until Dawn lässt uns hier nur Zustimmen oder einen Witz über die verrückte Idee machen.

Trotz einiger wartender Fallstricke will Until Dawn dem Teenie-Slasher eine moderne, unglaublich tödliche Hommage schenken, die vor Potential nur so strotzt: Die Kombination aus formbaren, flexiblen Charakteren und einem Schwerpunkt auf den Beziehungen untereinander gibt dem Genre einen angenehm modernen Touch, den es für seine Rückkehr dringend benötigt hat.

Ich bin gespannt, ob der ambitionierte Titel ein Publikum finden wird und nicht etwa im Klischee-Stumpf stecken bleibt.

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