Von AAA zu AFK — Warum ich nicht mehr The Division spiele

23.06.2016 - 17:45 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
The Division
Ubisoft
The Division
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The Division: ein Name, der nach unzähligen geopferten Spielstunden, brenzligen Feuergefechten und buntem Lootkrams klingt. Doch mittlerweile ist die Luft für mich raus und The Division verstaubt im Regal — aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Direkt unter meinem Fernseher lagere ich die Packungen all der Spiele, die ich über die Jahre aus meiner Post oder dem Ladenregal gefischt habe. Ganz links stehen die Titel, die ich aktuell fast täglich in die Konsole schiebe, etwas weiter rechts kennzeichnet eine dünne Staubschicht eine weitaus längere Reihe an Spielen, die ich durchgespielt oder an denen ich schlicht das Interesse verloren habe. Und genau in diese Ecke schob ich erst vor einigen Tagen The Division. Leicht fiel es mir nicht, aber die Luft ist endgültig draußen — und das nicht nur bei mir. Auch mein Freundeskreis hat nahezu zeitgleich das post-apokalyptische New York verlassen und mit ihnen mehre hunderttausend andere Spieler . The Division scheint für viele seinen Zauber verloren zu haben und ist in meinen Augen selbst daran schuld. Es ist ein virtueller Exodus, den Ubisoft hätte verhindern können und ich wünschte, ihnen wäre das rechtzeitig gelungen. Denn alles in allem hat The Division für einige Zeit wirklich verdammt viel Spaß gemacht.

"P" wie "Potenzial" — oder auch "Puh, doch nicht so toll"

Die Welt von The Division ist ein interessanter Schauplatz für eine auf den ersten Blick klassische Zombie-Geschichte, ohne dabei das Wort "Zombie" nur ein einziges Mal in den Mund zu nehmen: Ein Virus hat die (amerikanische) Gesellschaft außer Kraft gesetzt und Großstädte wie New York wurden in verschiedene Quarantäne-Zonen eingeteilt. In einigen Bereichen haben sich die Überlebenden in die Militärbasen der Regierung gerettet, während in den entlegeneren Straßenzügen Schwerverbrecher, Kleinkriminelle und Obdachlose um Macht und Überleben kämpfen.

Sind wir die Guten oder die Bösen? Daraus macht The Division lange Zeit ein Geheimnis.

Es ist das durch Literatur, Filme und Spiele altbekannte, pessimistisch geprägte Stadtleben der Post-Apokalypse, das allerdings dank einer Zutat ungemein an Reiz gewinnt: Die Division.

Die Division-Agenten, die wir spielen, sind die neuen Ordnungshüter, die auf Befehl der Regierung ihre zivilen Tarnkappen an den Hutnagel hängen, das Gewehr schultern und die Menschheit vor sich selbst schützen sollen. Doch wir erfahren bald, dass sie alles andere als selbstlose Beschützer sind und sich in ihren Reihen mehr als ein schwarzes Schaf versteckt hält. Ebenso mysteriös bleibt die Rolle der Regierung während des Ausbruchs des Virus und die Frage, wer nun eigentlich wirklich hinter der Pandemie steckt. Das ist sicherlich keine narrative Revolution, aber doch spannender als vieles, was andere Spiele des Genres so hergeben.

Hinzu kam mit The Division die Aussicht auf ein MMO, das uns endlich einmal nicht mit Orks, Schwertern, Aliens und Laserwaffen konfrontieren würde, sondern uns in eine zeitgenössische Großstadt versetzt, die dem medialen Bild unserer Realität sehr nahe kommt. Der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Kriminellen und Zivilisten erscheint auf gewisse Weise glaubwürdig und gewinnt damit für viele Spieler enorm an Reiz — auch eben dadurch, dass auf Genre-Klischees wie Zombies, Dämonen oder sonstiges Übernatürliches verzichtet wurde.


Folgerichtig erklomm die Stimmung der Fans Wochen vor dem Verkaufsstart gigantische Gipfel der Vorfreude und die Hype-Maschinerie rollte mit jahrelang erprobter Effizienz über die Community. Doch mit dem Release häuften sich schon bald die Probleme und Ernüchterung machte sich breit.

Ausgesperrte Spieler, fragwürdige Moral & ganz viel Frust

Für viele Spieler begann ihre Karriere als Division-Agent mitten in einer langen, langen Warteschlange. Während des Tutorials schickt euch der MMO-Shooter zweimal in einen recht kleinen Raum, in dem ihr mit verschiedenen Gegenständen interagieren müsst. Nur so könnt ihr das Tutorial beenden und das Hauptspiel beginnen. Doof nur, dass ihr euch dieses Kämmerchen mit anderen Spielern des Servers teilen müsst — und dank massiver Avatar-Körper kam es kurz nach Release vielfach zu chaotischen Situationen, die sich irgendwann in Warteschlangen ergoß.

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Doch um fair zu bleiben: Mit diesen Problemen wurden hauptsächlich die zahllosen Vorbesteller konfrontiert, die pünktlich zum Release mehr oder weniger zur gleichen Zeit in das Tutorial starteten. Für die nachkommenden Spieler blieb nur ein Flickenteppich aus Memes, Witzeleien und leidgeplagten Erfahrungsberichten. Einen weitaus höheren Spieleranteil traf dann allerdings zumindest einer der beiden Bugs, die das post-apokalyptische New York in den ersten Wochen in Atem hielten: Der mittlerweile legendäre Backpack-Bug  sperrte Spieler komplett von den Servern aus, falls sie ihren Rucksack mit Modifikationen ausrüsteten, während dieser selbst nicht angelegt war. Ubisoft brauchte rund einen Monat, um diesen Fehler zu beheben.

Andere Spieler hingegen beschwerten sich darüber, dass nach einem Hotfix plötzlich alle Daily Missions verschwunden waren . Diesen Fehler behoben die Entwickler glücklicherweise recht schnell, während sich die Community an andere Bugs wie teils nicht vorhandene Level-Anzeigen oder ausgegraute Mini-Maps für lange Zeit gewöhnen musste.

The Division mag keinen technisch fehlerfreien Start hingelegt haben, doch erst diese Ärgernisse in Kombination mit der auf lange Sicht enttäuschenden Spielwelt waren es, die aus den zu erwartenden Startschwierigkeiten ein echtes Problem machten.

Looten ist nicht alles — selbst wenn die gefundene Kleidung noch so schick ist.

Während die knackig zugeschnittene Beta mit nur einigen Schnuppermissionen hier und da noch einen vielversprechenden Eindruck  machte, offenbarten sich nach Release schnell die Schwächen von The Division. Das in zahllosen Trailern und Werbetexten versprochene atmosphärisch dichte Erlebnis löste sich im Laufe der Geschichte recht bald in ein unerwartet kopfloses Grindfest auf, zumal die Story-Missionen kaum mehr von uns verlangten, als sich von A nach B zu schießen. Ja, sicherlich, die Stadt ist optisch beeindruckend und gerade bei Schneefall eine echte Tristesse-Schönheit, doch hinter der hübschen Fassade verbirgt sich neben dem einfallslosen Story-Design eine fragwürdige Moral, die uns die Entwickler recht gedankenlos auftischen. Wir feuern auf größtenteils schwarze Kleinkriminelle, halten Obdachlose am Rand der Gesellschaft und verklären Gegner entweder als "geistig verrückt" oder stecken sie in stereotype Schubladen. Hierzu schrieb ich bereits einen eigenen Text, den ihr hier finden könnt . Um nur aus dem dortigen Fazit zu zitieren:

Das vorrangige Problem von The Division sind nicht Gewalt und Konflikt als spielmechanische Grundlage, sondern der lustlose Balance-Akt der Entwickler, ihr Spiel irgendwo zwischen unserer Realität und einem fiktiven Szenario anzusiedeln. Wenn ich auf Zombies, Satans-Brut oder eierwerfende Dämonen schieße, brauche ich nicht unbedingt eine Möglichkeit zur Reflexion im Spiel, die das Geschehen kommentiert. Mir ist dann völlig klar, wie ich dieses Spielerlebnis einzuordnen habe: Als völlig abgehobenes Fantasy-Szenario. (...) Werde ich allerdings dazu angehalten, auf die Vertreter einer real existierenden gesellschaftlichen Unterschicht zu schießen, die dann auch noch entweder als unmenschliche Wahnsinnige verfremdet oder in Form von rassistischen Stereotypen manifestiert werden, dann verlangt es nach einer Erklärung, einem Kontext.

Bitterer AAAbschied

Doch mein Freundeskreis zog mich weiter durch die Häuserschluchten New Yorks. Zu viert kauten wir uns als vollbesetztes Squad durch die letzten, ermüdenden Story-Missionen — immer und immer und immer und immer wieder (Loot! Geht ja nicht anders.) und wagten uns schließlich auch in die Dark Zone. Dieses heimliche Herzstück von The Division , das PvP-Gebiet, konnte uns mit seinen unberechenbaren, anarchischen Bewohnern noch einmal wirklich gut unterhalten. Wir plünderten, überfielen und verbündeten uns, um uns dann wieder gegenseitig anzugreifen und die Beute einander aus dem Rucksack zu klauen. So unterhaltsam wie zu dieser Zeit sollte The Division für uns nie mehr werden.

Die Dark Zone ist der geheime Höhepunkt des Spiels.

Nach rund einem Monat veröffentlichte Ubisoft mit Falcon Lost den ersten großen Quasi-Raid, der im Update-Gepäck neue Ideen und Inhalte für das von Spielern ebenfalls vielfach bemängelte, weil langweilige End Game bereithalten sollte. Die vielen großen und kleineren Änderungen lösten zahlreiche Sorgen der Spieler, die noch am Ball waren  — doch die mitgelieferte, brandneue und abermals fieberhaft beworbene Mission kickte mich und mein Squad endgültig aus dieser Spielwelt: Die sogenannte Incursion stand für alles, was The Division in den vergangenen Wochen falsch gemacht hatte. Diese Mission war nicht mehr als ein einfallsloser Horde-Modus in einem einzigen Raum, der mit geradezu absurdem Schwierigkeitsgrad Squad um Squad zurück nach New York schickte, um sie dort bessere Ausrüstung grinden zu lassen. Schießen, Deckung, Grinden. Schießen, Deckung, Grinden. Und schließlich: Frust. Sogar ein bisschen Arbeit. Erstmal eine kurze Pause machen.

Aus der kurzen Pause wurde eine lange Unterbrechung — und schließlich drängten neue Spiele wie Uncharted 4: A Thief's End und Overwatch The Division endgültig aus dem Konsolenlaufwerk.

Traurige Geschichte. Und jetzt?

Mittlerweile hat sich The Division offenbar wieder gefangen und macht wirklich viel Spaß — zumindest höre ich das von Redaktionskollegen, die das virtuelle New York nie verlassen haben. Ich aber habe mit dem Spiel abgeschlossen, zu gering ist die Motivation, wieder irgendwo im Nirgendwo neu einzusteigen. Eine Beobachtung allerdings offenbart meine sehr persönliche Erfahrung mit The Division dann doch, selbst, wenn ihr nach wie vor begeisterte Agenten der Post-Apokalypse seid: AAA-Spiele profitieren und leiden unter dem Hype-Monster, das sie selbst geschaffen haben, so sehr wie wohl noch nie.

Der AAA-Hype schadet den Spielen — das wird immer wieder deutlich.

Klar, Vorfreude und Begeisterung gehören bei diesem Hobby dazu. Aber die fantastisch (und fantastisch irreführenden) Trailer und blumenreichen Worthülsen schufen eine Erwartungshaltung, die fast unmöglich einzuhalten war. Darüber freuten sich die Vorverkaufszahlen, die Community aber — und damit auch das Spiel — litt auf lange Sicht. Dabei tat die unerwartet gelangweilt inszenierte Spielwelt, die faulen Klischees und das endlose Grinden Hand in Hand mit regelmäßigen technischen Wehwechen ihr übriges, das mittlerweile ein großer Teil der aktiven Spielerschaft die Server verlassen hat. Wenn ein The Division 2 oder ähnliche AAA-Nachfolger nicht lernen, vernünftig und überlegt an der Hype-Schraube zu drehen, wird die Halbwertszeit dieser Titel weiterhin nicht länger als ein paar Wochen, allerhöchstens wenige Monate betragen — denn der nächste Spielegigant wartet ja schon und lässt bereits die erste Hype-Trailer buffern.

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