Mütter nerven. Sie sind streng, wissen alles besser und in Wirklichkeit gar nichts. Sie sind
superpeinlich, gehen Dir mit blöden Fragen und ihrer ewigen Ordnungsliebe auf den Geist.
Immerzu spionieren sie durch den Türspalt und sagen Dir, dass Du gefälligst nicht so viel spielen
sollst – weil sie endlich ihre Konsole zurückhaben wollen.
Laut den letzten statistischen Erhebungen der Entertainment Software Association spielen drei Viertel aller Mütter Videospiele, ein Drittel davon täglich. Dennoch halten sich alte Vorurteile beharrlich, scheinen sich Frauen mit Kindern automatisch als ernstzunehmende Zielgruppe zu disqualifizieren – weil es marketingstrategisch viel nützlicher ist, sie als Feindbilder zu nutzen.
Als
2011 Dead Space 2 angekündigt wurde, ging damit eine kontrovers diskutierte Werbekampagne
einher, die Aufnahmen von schockierten, älteren Damen zeigte. Die Prämisse: "Your Mom Hates
Dead Space 2". Wie Electronic Arts süffisant vermeldete, gilt "die Ablehnung einer Mutter [als]
klarer Indikator dafür, was cool ist", also lud man kurzerhand eine Gruppe von Frauen ein und
zeigte ihnen die brutalsten Ausschnitte aus dem Spiel – wohl wissend, dass die meisten von ihnen
darauf wenig erfreut reagieren würden.
Dass diese Tatsache mitunter sicher dem Alter der Probandinnen geschuldet war, die sich eher als
Großmüttern hätten qualifizieren können, wurde zugunsten der Sensation geflissentlich ignoriert.
Nur rechnete augenscheinlich niemand damit, dass sich die Zielgruppe in den letzten zwanzig
Jahren geändert haben und Gegenwind aufziehen könnte: Im YouTube-Kommentarbereich unter
den Videos zeigten sich neben Spott und Häme auch zahlreiche Einwände, in denen Töchter und
Söhne Stellung bezogen. Für die Gamerehre ihrer Mütter. Denn die spielten, so zeigte sich, selbst Dead Space oder vergleichbare Titel und hatten ihre Kinder über die Jahre an das Medium
herangeführt.
Und eigentlich ist das wenig überraschend, werden doch immer mehr Nerds der 80er und 90er-
Jahre Eltern . Während aber Vätern diese Rolle für gewöhnlich unhinterfragt zugestanden und diese
auch zunehmend im Spiel repräsentiert wird, gilt die spielende Mutter nach wie vor als Kuriosum
und deren virtuelles Ebenbild als unbedeutende Randnotiz . Titel, in denen Müttern eine tragende
Rolle zugestanden wird, sind Mangelware. Stattdessen dienen sie gemeinhin als Motivatoren für die
wirklichen Helden des Spielealltags – sei es als Entführungs- und Todesopfer , als liebende Mamas, die sorgend dreinblickend auf die Rückkehr von Kind und Partner warten, oder
skrupellose, oft monströs -deformierte Widersacherinnen .
Der Engel im Haus(halt)
Die Mutter ist so gut wie nie ein Individuum, sondern die personifizierte Stellvertreterin eines eng gefassten Rollenverständnisses .
Ausnahmen gibt es in Rollenspielen, die ihres Umfangs wegen mehr Platz für vielfältige Charaktere
bieten. Die allerdings lassen sich an zwei Händen abzählen, ist doch die Aufgabe weiblicher
Elternteile vielfach darauf beschränkt, pflichtbewusst Daheim zu bleiben und den Haushalt zu
schmeißen. Dieses idealisierte Bild der fürsorglichen Frau wird ständig wiederholt: Von Pokèmon über Pier Solar bis hin zu Final Fantasy. Und auch die wohl prominenteste Mutter
letzterer Reihe, Jenova, zeichnet sich durch ihre Inaktivität aus, verbringt sie doch die gesamte
Dauer des Spiels in einem Glascontainer. "Mütter sind diejenigen, die du zurücklässt", fasste Carly
Smith in ihrem Artikel Gaming's Mom Problem: Why do we refuse to feature mothers in games? daher treffend zusammen.
Aktivere Erziehungsberechtigte finden sich derweil in einem Genre, in dem man sie als letztes vermuten würde: Nämlich in Beat'em-Ups. Jun Kazama aus Tekken, die Straßenkämpferin C.Viper und die griechische Heldin Sophitia eint, Kinder in die Welt gesetzt zu haben – Kinder, von denen viele Spieler_innen wohl niemals erfahren werden, da das Mutterdasein in Titeln ohne erzählerischen Schwerpunkt notgedrungen als biografische Fußnote präsentiert wird.
Die ausbleibende Prominenz von Müttern in Spielen ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Weiblichkeit überwiegend mit jugendlicher Makellosigkeit assoziiert wird und fernab der kreativen Erzeugnisse komplexer Charaktereditoren sogut wie keine Frauen zu sehen sind, die von diesem Schönheitsideal abweichen. Mütter gehören damit zur am deutlichsten unterrepräsentierten Zielgruppe digitaler Spiele, während erwachsene Männer in entsprechenden Rollen immer häufiger zu sehen sind – mutmaßlich deshalb, weil mehr und mehr Entwickler selbst Väter werden. Joel aus The Last of Us , Ethan Mars aus Heavy Rain , Booker DeWitt und Conrad Roth zeichnen ein vielfältiges, wenngleich nicht immer realistisches, Abbild von väterlichem Verhalten – letzterer auch als Vorbild der bis dato wohl selbstständigsten Frau im Medium, Lara Croft.
Gaming Mommies
Deren Mutter spielt in der Reihe eine eher untergeordnete Rolle, stattdessen orientiert sich die junge Abenteurerin durchweg an männlichen Mentoren. Starke Frauen unterliegen dem Einfluss starker Männer und videospielende Mädchen jenem ihrer technikaffinen Väter, so der Konsens.
Dass es auch anders geht,
dokumentieren Blogs junger Mütter, die ihre Kinder selbst an Videospiele heranführen. Und zwar
nicht nur als Soccer Moms , die sich engagiert in die Warteschlangen vor Einkaufszentren stellen
oder gelangweilt auf ihren zockenden Nachwuchs warten, sondern als Liebhaberinnen des
Mediums. Online-Netzwerke wie Gaming Mommies zeigen, dass spielende Mütter keine
Ausnahmeerscheinungen, sondern immer häufiger die Regel sind. Und Texte wie My Mom the
Gamer , in dem Autor Fred McCoy seiner Mutter für eben diesen Einfluss dankt, zeichnen das Bild
einer neuen Generation von Spieler_innen, die durch gemeinsame Interessen einen neuen
Anknüpfungspunkt zu ihren Eltern finden.
Aber spielen Mütter nicht bloß den lieben langen Tag exzessiv Candy Crush Saga und FarmVille ? Auch, aber nicht ausschließlich . Dass außerdem diese Fixierung auf "Casual"-Titel nicht nur eine Frage persönlicher Vorlieben sein könnte, legten zuletzt zwei schwedische Wissenschaftlerinnen empirisch dar: Für ihr Forschungsprojekt Gaming Moms besuchten Jessica Enevold und Charlotte Hagström über fünf Jahre hinweg Frauen und Familien zu Hause, um mehr über ihr alltägliches (Spiel-)Verhalten zu erfahren. Das Ergebnis: Die meisten Mütter arbeiteten so viel, dass sie schlicht keine Zeit zum spielen fanden. Einem von AOL 2004 in Auftrag gegebenen Marktforschungsreport zufolge spielten daher 28 Prozent der Mütter zwischen Mitternacht und fünf Uhr am Morgen – ein Wert, der sich laut Enevold und Hagström bis heute nur unwesentlich geändert hat. Die Spielwahl dürfte also auch eine pragmatische sein, denn wenn das Zuhause als Arbeitsplatz gilt, bleibt eben kaum mehr Zeit für privaten Zeitvertreib – zumal das auch heute noch existierende Bild der Mutter als selbstloser Engel im Haus entsprechende Möglichkeiten zusätzlich eingrenzt. Solange man kein wirkliches Bewusstsein für diese besonderen Umstände und die dennoch wachsende Zahl mütterlicher Hardcore-Spielerinnen schafft, wird die Spieleindustrie auf absehbare Zeit ein einziger Deine Mudder-Witz bleiben. Dabei ist das Interesse eindeutig erkennbar, wir müssen nur endlich die Rahmenbedingungen ändern, um den dafür nötigen Freiraum zu schaffen – sowohl zu Hause als auch in der Öffentlichkeit.