Von Star Wars bis Warcraft - An der Schwelle zum Mythos

26.05.2016 - 00:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Warcraft: The BeginningLegendary Pictures
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Von Star Wars bis Warcraft erzählen zahllose Werke der Popkultur eine Geschichte, die sich als überaus beständig erwiesen hat: Die vom Mythenforscher Joseph Campbell identifizierte Heldenreise.

Letzte Woche haben wir gesehen, warum das Level-Motiv auch in etlichen Filmen verwendet wird. Ein mindestens ebenso erfolgreiches Strukturelement, das sich in zahlreichen Romanen, Computerspielen und Hollywood-Blockbustern wiederfindet, ist die sogenannte Heldenreise. Was hat es damit auf sich?

Warcraft: The Beginning ist das jüngste Beispiel eines künstlerischen Werkes zwischen Game und Film, das sich in seiner Erzählung auf die sogenannte Heldenreise stützt. Die epische Heldenreise prägt die Handlung auf logischer, räumlicher und zeitlicher Ebene, um das Erlebnis des Zuschauers zu steuern. Allein deshalb lohnt es, diese uralte Formel einmal etwas näher unter die Lupe zu nehmen.

Für den Mythenforscher Joseph Campbell, auf den das Konzept der Heldenreise zurückgeht, ist das Erzählen von Mythen stark verknüpft mit der spirituellen Entwicklung des Menschen. Mythen dienen dazu, dem Menschen Selbsterkenntnis einzuflößen, seine sozialen Beziehungen zu kultivieren, Kreativität und geistiges Wachstum zu fördern und ihm seelischen Beistand in Notzeiten zu leisten. Die Heldenreise stellt für Campbell die ultimative Erzählung über Abenteuer und Transformation dar, die in nahezu allen mythischen Traditionen der Welt anzutreffen ist. Sie kann nachgewiesen werden bei den Ägyptern, Babyloniern, Hebräern, Griechen und den Germanen, die in ihren Geschichten und Dichtungen allesamt die Entstehung einer aristokratischen Kriegerkaste besingen, jeweils vermengt mit den Eigenarten ihrer mythologischen Tradition.

In seinem Hauptwerk The Hero with a Thousand Faces (1949) schildert Campbell die archetypische Reise eines (meist männlichen) Helden, der sich Prüfungen unterziehen, Gefahren überstehen und Kämpfe austragen muss, bis er wieder zum Ursprung der Geschichte zurückkehrt. Die zirkuläre Struktur der Heldenreise umfasst drei Stadien – Abreise (X), Initiation (Y) und Rückkehr (Z):

Ein Held bricht aus seiner alltäglichen Welt auf in eine Gegend von übernatürlichen Wundern (X). Dort begegnet er fabelhaften Mächten und erringt einen Sieg (Y). Danach kehrt er gestärkt zurück von seinem mysteriösen Abenteuer und erweist seinen Mitmenschen eine Gunst (Z).
Die Heldenreise nach Campbell

Filmische Berühmtheit erlangte Campbells Theorie vor allem durch Star Wars, worin George Lucas seinen Helden Luke Skywalker plichtgetreu jede Station abklapppern lässt, bis er durch die Konfrontation mit seinem Vater/Vader die Rolle des Erlösers einnimmt, der seine Welt vor der Zerstörung bewahrt. Egal, ob Tolkien oder Harry Potter: Die beschwerliche, meist unfreiwillig auf sich genommene Reise eines Helden ist popkulturell allgegenwärtig. Auch in Warcraft: The Beginning lässt sich dieses Motiv wiederfinden. Die erste Station der Heldenreise wird von der Schwelle zum Abenteuer markiert, bei der die bekannte Welt notgedrungen zurückgelassen und die Zone von Gefahr und Mysterium betreten wird. In Warcraft: The Beginning kommt sie in Form eines Portals daher, das Draenor, die Heimat der Orcs, mit der Welt von Azeroth verbindet. Eine mythologische Tönung erhalten die beiden Welten dadurch, dass sie zwei sich antagonistisch gegenüberstehende Landschaften verkörpern. Auf der einen Seite steht das pastoral anmutende Reich von Azeroth, das sich durch grüne Wiesen, dichte Laubwälder und gemächlich daher mäandernde Flussläufe auszeichnet. Auf der anderen Seite steht das wüste Land von Draenor, das als lebensfeindlich charakterisiert ist. Die unendliche Geschichte der Fantasy vom Kampf zwischen Gut und Böse entscheidet sich in Warcraft: The Beginning folgerichtig genau an diesem Ort.

Gul'Dan und sein Portal

Ein weiterer Bestandteil der Heldenreise ist die Existenz fabelhafter Wesen, die als nichtmenschliche Wirkungsmächte all das repräsentieren, was sich dem rationalen Denken entzieht. So können die verschiedenen Rassen von Warcraft jeweils als Manifestationen des Übernatürlichen, Wilden und Fremden gelten: Die Quel'dorei beispielsweise stellen als magiebegabte, unnahbare und nahezu unsterbliche Wesen die typische Abart der Elfen im High Fantasy dar, während die grobschlächtigen Orcs Gemeinsamkeiten mit dem Idealbild des von der Zivilisation unverdorbenen edlen Wilden aufweisen und sowohl visuell als auch thematisch das Fremde, Rätselhafte der Existenz repräsentieren. Übernatürliche Wunder dürfen natürlich ebenso wenig fehlen, weshalb WoW-Spieler bei den zahlreich gewirkten Teleportations- und Transmutationszaubern frohlocken dürften, die ihren digitalen Vorlagen ziemlich nahe kommen.

Edle Wilde: Die Orcs

Achtung, Spoiler zu Warcraft: Das fulminante Finale von Warcraft: The Beginning stellt natürlich die Konfrontation der Heldentruppe mit dem gleich zu Beginn als Bösewicht markierten Orcschamanen Gul'Dan dar. Der tyrannische Gul'Dan ist der ultimative Widersacher der Heldentruppe, ein Verursacher von Chaos, der den Status Quo durch schiere Autorität aufrechterhalten will und dabei auch von üblen Tricks Gebrauch macht. Um sich ihm zu widersetzen, müssen die Helden zunächst ihre eigenen Vorurteile überwinden, weshalb die Heldenreise sich nicht nur als Bewegung durch die eindrucksvoll in Szene gesetzten Landschaften von Azeroth vollzieht, sondern gleichzeitig auch eine innere Reise repräsentiert. Spoiler Ende.

Auf dem Rücken eines Greifen reisen Helden besonders flix

Doch warum ist die Heldenreise eigentlich so populär und kommt nicht nur in jahrtausendealten Epen, sondern auch in zahlreichen Computerspielen und Filmen regelmäßig zur Anwendung?

Die Bevorzugung von einfach gestrickten Geschichten mit hohem Schauwert rücken pokulturelle Erzählformen wie Filme und Games in die Nähe des Mythos. Insofern können sie als eine für das 20. und 21. Jahrhundert typische Form der volkstümlichen Kunst in dem Sinne gelten, dass sie die durch mechanische Methoden der Massenverbreitung vermittelt werden und ihre Kraft aus der Fähigkeit beziehen, sich an die Bedürfnisse, Interessen und Sehnsüchte eines großen Publikums anzukoppeln.

Die Geschichte der Heldenreise erweist sich deshalb als so konstant, weil sie dem Bedürfnis des Menschen nach Trost, Verstehen und Sinnstiftung entgegenkommt. Die Betonung des Mythos liegt demzufolge auf der emotionalen Qualität einer Erzählung, denn im Mythos zeigt sich die Welt als großes existenzielles Drama antagonistischer, überirdischer Mächte. Das macht sie gleichermaßen beliebt und leicht verständlich. Gerade, weil das beginnende 21. Jahrhundert von zahlreichen Katastrophenerfahrungen, extremen Ideologien und gewaltsamen Umbrüchen geprägt ist, kann unsere Gegenwart als eine Phase der Hochproduktion von Mythen angesehen werden. Die Heldenreise ist demnach ein probates Mittel, unsere immer komplexer werdende Welt zu deuten.

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