Warum Cassandra aus Dragon Age die beste Begleiterin ist, die ich je hatte

24.12.2015 - 09:00 Uhr
Dragon Age: Inquisition
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Ich habe sie gefunden: Die perfekte Begleiterin, nach über 15 Jahre des Rollenspielens gesucht habe. Doch das ist mehr als nur eine Liebeshymne auf Cassandra aus Dragon Age: Inquisition. Es ist vielmehr ein Plädoyer für Gefährten, die mehr sind als wandelnde Inventare.

Die grimmige Sucherin Cassandra Pentaghast ist in meinen Augen die spannendste Figur, die Bioware seit langer Zeit erschaffen hat. Doch bevor ich euch miteinander bekannt machen kann, müssen wir zunächst einen kleinen Umweg machen, der uns in meine Vergangenheit führt.

Meine erste und intensivste Erinnerung in Verbindung mit Rollenspielen ist bis heute dieser eine Nachmittag im Wartezimmer meines Kieferorthopäden, irgendwann im Sommer 2002. Es war ein simpler Kontrolltermin und doch bohrte sich die Aufregung, die Angst und das Adrenalin bis in die letzten Spitzen meines Körpers, der sich unterdessen in der hinterstecken Ecke zwischen Zimmerpflanze und Broschüren zu verstecken versuchte.

Auf der Suche nach Ablenkung entdeckte ich eine Ausgabe der Gamestar auf dem Tisch vor mir und unter dem missmutigen Blick meiner Mutter blätterte ich darin umher, bis ich auf die Vorschau zu Dungeon Siege stieß. Ich war fasziniert, durchleuchtete jeden Screenshot und nahm mir fest vor, meine Mutter um das Spiel anzuflehen, während mir der Zahnarzt bereits im Mund herumschraubte.


Einige Wochen später schob ich die CD des Spiels ins Laufwerk, feuerte den Ladebalken an und begann schließlich mein erstes Rollenspiel-Abenteuer in 3D, in der ich einen virtuellen Freund gewinnen sollte, der den Grundstein zu diesem Artikel legte.

Charakterstarke Charaktere

Nachdem ich in den ersten Stunden Begleiter wie Heilpflanzen am Wegesrand aufgesammelt hatte, stieß ich auf ein verlassenes Dorf. Das Spiel wechselte in eine Zwischensequenz und ein Zwerg stürmte mit erhobener Axt und laut fluchend auf eine Gruppe Gegner zu, die meinem Helden in den vergangenen Spielstunden arg zugesetzt hatten. Schlag um Schlag fielen die Kreaturen unter der Wut des fluchenden Zwerges. Nach dem Kampf, den meine Truppe beeindruckt aus der Ferne beobachtet hatte, stellte er sich als Gloern vor und erzählte mir von seinem Schicksal: Sein Bruder habe sich in einer der benachbarten Minen verlaufen und wir sollen ihm bei seiner Suche zur Seite stehen. Als Gegenleistung erwartete mich seine schiere Kraft. Damit reihte sich der Zwerg in meine Party ein — und sollte die kommenden Spielstunden ganz entscheidend prägen.

In Kämpfen wie diesen ist die Kraft eines Gloern willkommen.

Gloern steht in vielerlei Hinsicht für eine Art Begleiter, die trotz ihrer Reize auch 13 Jahre später noch durchaus selten sind: Er ist ein mir gleichgesteller, vielschichtiger Gefährte, kein Spielball meiner Machtphantasie. Gloern hat offensichtliche Stärken, wird allerdings auch von seiner Sehnsucht nach seinem Bruder mehr und mehr zerrissen. Er verfolgt ein eigenes Ziel und geht vor allem deswegen ein Bündnis mit uns ein, weil er für sich selbst einen Nutzen darin sieht. Vor allem aber suggerierte mir das Spiel, dass Gloern jederzeit auch ohne meine Hilfe zumindest überleben könnte — und das machte ihn zu einem so wertvollen, erinnerungswürdigen Charakter, insbesondere zu der Zeit, als Dungeon Siege erschien. Ich hatte Respekt vor ihm und er vor mir.

13 Jahre später traf ich – nach ihrem nur relativ kurzen Auftritt in Dragon Age II – in Dragon Age: Inquisition auf die Soldatin/Sucherin der Wahrheit Cassandra Pentaghast. Sie löste Gloern vom Siegertreppchen meiner ewigen Bestenliste der spannendsten Gefährten ab und öffnete mir die Augen dafür, in welche vielversprechende Richtung sich künftige Rollenspiele weiter entwickeln könnten.

Begleiter, die besten Freunde des Spielers

Die Schauspielerin Miranda Raison ist die englische Synchronsprecherin von Cassandra und verbrachte daher viel Zeit mit der Kriegerin. Wie würde sie den Charakter beschreiben , dem sie über Monate hinweg ihre Stimme geliehen hat?

Immer, wenn ich im Studio neue Aufnahmen für Cassandra eingesprochen habe, merkte ich, wie ich unbewusst etwas aufrechter als sonst stand. Sie ist nun definitiv weicher (...) als noch im zweiten Teil. Sie ist eine Kriegerin, aber sie kämpft auch mit ihren eigenen Dämonen und ich glaube, gerade das macht sie so menschlich. Sie ist außerdem hoffnungsloser Fan von Kitsch und Romantik, wie sich herausstellt — aber diesen Aspekt, diese heimliche Leidenschaft, verbirgt sie wie ihren Körper in einer dicken Rüstung.

Ein breites Lächeln spielt immer wieder um die Lippen von Miranda Raison, während sie nach Worten für Cassandra sucht — und mir erging es als Spieler nicht anders. Die vergangenen Jahre haben viele herausragende Rollenspiele hervorgebracht, doch selbst in der Welt der Genre-Großmeister von Bioware stach Cassandra schließlich aus mehreren Gründen ganz deutlich heraus.

Unnahbar und distanziert: Cassandra bei unserer ersten Begegnung.

Gefährten sollen euch in Rollenspielen unterstützen und mit ihren Fähigkeiten die Möglichkeiten des Spielers erweitern. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass diese Begleiter klassischerweise aus einem freundlichen oder zumindest neutralem Umfeld von euch rekrutiert werden: Als Söldner warten sie in der Dorftaverne auf Aufträge während andere durch ein familiäres Verhältnis mit euch verbunden sind – oder sie euch schlichtweg einen Gefallen schulden.

Dieses freundschaftliche Verhältnis wird durch die immer gleiche Machtstruktur ergänzt: Wir entscheiden, wo und wann es weitergeht, die Gefährten folgen uns. Diese Hierarchie erklärt sich ganz offensichtlich daraus, dass wir aus der traditionellen Allmacht-Position heraus entscheiden. Wir sind der Spieler und wir sind es gewohnt, unsere eigenen Geschichten selbstbestimmt zu schreiben. So muss zum Beispiel auch Geralts alter und viel erfahrener Mentor Vesemir in The Witcher 3 regelmäßig mit einem "Sag mir einfach Bescheid, wenn du bereit bist." im Dickicht verschwinden, bis wir entschieden haben, dass das Abenteuer dort weitergehen soll, wo Vesemir auf uns wartet.

Vesemir ist uns an Erfahrung weit überlegen — und doch spielt er immer nur die zweite Geige.

Bioware hat ein Talent dafür entwickelt, diesem traditionellen Machtgefüge ein paar Kniffe zu verpassen und Dialoge zwischen Spieler und NPC in den Vordergrund zu rücken. So bekommen wir in den zahlreichen Gesprächen einen Einblick in die Geschichte unserer Begleiter und dürfen uns auch hier und dort mit ihnen reiben. Werden die Spannungen zu groß, äußern die Gefährten Kritik an unserer Handlung – oder trennen sich wie in Bethesdas Fallout 4 selbstständig von mir, wenn die Abneigung schließlich in Hass überschlägt.

Cassandra Pentaghast ist eine Tochter dieses modernen Prototyps eines Rollenspiel-Begleiters und führt die Idee fort, ein echtes Gegengewicht statt nur sprechende Inventarkammer zu sein. Bereits bei unserer ersten Begegnung tritt sie mir mit einer Härte und Strenge gegenüber, die mich einschüchtert. Dieses Machtverhältnis spiegelt sich auch immer wieder in den ersten Szenen des Spiels wieder: Wir sind auf Knien und in Ketten gelegt, während Cassandra uns verhört. Wenige Minuten später streckt sie ihr Schwert gegen uns aus und ruft uns zur Ordnung. Nicht zuletzt unterscheidet sie sich auch durch ihr Aussehen vom klassischen Frauenbild in Rollenspielen: Mit Kurzhaarschnitt und Vollkörperrüstung ausgerüstet macht sie einen wehrhaften, emanzipierten Eindruck — selbst vergleichbar charismatische Frauencharaktere wie Jack aus Mass Effect 2 werden normalerweise vor der aufreizenden Minimalbekleidung nicht verschont.

Cassandras grundsätzlich so feindselige und ablehnende Haltung steht im krassen Gegensatz zum Spielgeschehen selbst. Noch während sie euch misstrauisch hochgezogene Augenbrauen entgegen wirft, ist sie gleichzeitig auch fast unmittelbar ein spielbarer Charakter eurer Gruppe. Dieser Kontrast motivierte mich unheimlich herauszufinden, wer diese Frau ist, die quasi ungefragt teil meiner Party, dem Heiligtum eines jeden Rollenspiels, wurde und jede meiner frühen Entscheidungen im Spiel streng beurteilt.

Harte Rüstung, weicher Kern

Ich begann, mich intensiver mit Cassandra auseinanderzusetzen. Sie fehlte auf keiner meiner Missionen und in den ruhigen Momenten zwischen Feldzügen und Erkundungsreisen suchte ich immer wieder ihr Lager auf, um mehr über sie und ihre Vergangenheit zu erfahren. Dabei reichte es nicht, einfach auf "Weiter" zu klicken, bis sich die Zuneigung-Anzeige bis zum Maximum gefühlt hatte. Ich musste genau zuhören, mir Details merken, ein Interesse für sie entwickeln. Jeder verbale Fehltritt, jede Unachtsamkeit bestrafte sie mit finsterem Gesichtsausdruck und ablehnender Haltung.

Hinter der harten Rüstung verbirgt sich Cassandras weicher, liebenswerter Kern.

Eines Abends und nach vielen, vielen Spielstunden erreichten Cassandra und meine Spielfigur den vorläufigen Höhepunkt unserer Beziehung. Wir waren mittlerweile gute Freunde geworden und die Geschichte, die ich mir für meinen Helden am Controller ausgedacht hatte, wirkte blass im Vergleich zu den vielen Kindheitserinnerungen und Anekdoten aus Cassandras Leben. Nun endlich trafen wir uns zu einer Art Date auf einer Waldlichtung und nach einem längeren Gespräch teilten wir uns erstmals das Lager.

Trotz der vielen virtuellen Gefahren war die Welt von Dragon Age auf einmal bunt und schön, die Schrecken der vergangenen Spielstunden waren vergessen. Ich war bis auf den Grund des Charakters der Kriegerin vorgestoßen und die Reise dorthin gehörte zu den überraschendsten und wendungsreichsten Erlebnissen, die ich je in einem Videospiel erfahren durfte.

Ab diesem Punkt hörte ich auf, Dragon Age: Inquisition zu spielen, wie es die Entwickler von mir wollten.

Aus Angst um Cassandra, unsere Beziehung und dass ihr auf einer der kommenden Story-Missionen etwas zustoßen könnte, weigerte ich mich ab sofort, am roten Faden der Geschichte weiter entlang zu spielen und vertrieb mir stattdessen meine Zeit mit Nebenmissionen und kleineren Aufträgen, die wir als Duo erledigten. Mit anderen Worten: Ich begann furchtbar zu klammern. Glücklicherweise scheint das in der Welt von Bioware kein Verhalten zu sein, dass eine Beziehung gefährden kann und so wird bis heute mein Spielfortschritt von mir glücklich an einer festen Stelle eingefroren.

Viel Hoffnung für die Zukunft

Biowares Dragon Age: Inquisition und insbesondere Cassandra Pentaghast stehen für eine neue Generation Rollenspiele, in der einer der wichtigsten Bausteine des Genres generalüberholt wird. Natürlich wird es in Zukunft weiterhin den bezahlten Söldner in der Taverne und den geretteten, dankbaren Zwerg aus dem Minenschacht geben, die sich euch beide bereitwillig anschließen. Doch diese Auswahl an Gefährten lässt zudem immer mehr Platz für eine neue Generation an Begleitern: Solche, die sich ein eigenes Bild von euch als Spieler bilden und deren Vertrauen erst gewonnen werden muss. Ihre Zuneigung und Loyalität lässt sich nicht in Zahlenwerten und Statistiken, sondern nur mit Bauchgefühl messen, das euch jederzeit täuschen könnte. Damit bringen sie die künftigen Rollenspiele noch einen Schritt näher an das, was dieses Genre eigentlich sein will: ein waschechtes Abenteuer.

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