Warum die Kampagnen von Call of Duty nicht egal sind

04.11.2015 - 18:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Call of Duty: Black Ops 3
Activision
Call of Duty: Black Ops 3
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Die Kampagnen von Call of Duty sind das spielerische Pendant zu Fast Food. Beim Essen ein Riesenspaß, danach sofort vergessen, und zwei Stunden später hat man wieder Hunger. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass unter dem Berg Pommes auch ein oder zwei Trüffel versteckt sind – und ein wenig Gammelfleisch.

Die Kampagnen in Call of Duty gibt es vor allem, damit Activision genug Explosionen für ein paar spektakuläre Trailer hat — so lautet zumindest das gängige Vorurteil. Ein genauer Blick auf das Dauergeballer lohnt sich aber trotzdem. Denn oberflächlich singt jede Call of Duty-Kampagne zwar das immer gleiche Loblied vom aufrechten Elitesoldaten, tatsächlich gibt es aber bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Spielen.

Es folgen Spoiler zu allen Call-of-Duty-Spielen außer dem aktuellen Black Ops 3.

Eines der spannendsten Spiele ist gleich das erste „moderne“ Call of Duty, denn Modern Warfare ist der einzige Teil der Serie, in dem Kriegs- und Gewaltverherrlichung nicht selbstverständlich sind. Zu einer echten Anti-Kriegs-Botschaft schwingt es sich zwar nicht auf: Am Ende gibt es schließlich immer noch den bösen Russen mit Atomraketen, der direkt aus einem Bond-Film stammen könnte. Aber inmitten der lauten Daueraction ist wenigstens Platz für ein paar leise Zwischentöne. Modern Warfare sagt nicht „Krieg ist scheiße“, aber immerhin sagt es „Krieg ist dreckig.“


Am deutlichsten wird das bei dem berühmten Atomangriff, der einen der beiden Protagonisten darinrafft – allerdings erst, nachdem der Spieler seinen Todeskampf hautnah miterlebt hat. Und das ist nicht der einzige Moment, der für ein wenig Unbehagen sorgt: Die Nüchternheit, mit der zwei Drohnenpiloten Horden von Feinden über den Haufen ballern. Die Kälte, mit der die Kameraden des Protagonisten sogar Schlafende erschießen. Die Helden des Spiels sind keine Hurra-Patrioten, die mit stolz gerecktem Kinn für die gute Sache kämpfen – es sind eiskalte, wortkarge Profis, die einfach nur ihren Job machen.

Zwei Jahre später schmeißt Call of Duty: Modern Warfare 2 all diese Subtilität sofort über Bord. Und zwar mit beiden Händen, unter wehender Flagge und die Nationalhymne schmetternd. Statt des stillen Horrors des verlassenen Tschernobyls kommt es hier zu einem so geschmack- wie sinnlosen Amoklauf zum Mitspielen. Statt der nüchternen Normalo-Helden aus Teil 1 gibt es hier plötzlich einen Captain Price, der erst von den Toten aufersteht, dann fast im Alleingang die Welt rettet und dabei permanent lange Reden über Opferbereitschaft in Zeiten des Krieges hält. Und die Zitate, die bei jedem Tod des Spielers eingeblendet werden, stammen unter anderem von Donald Rumsfeld.


Call of Duty: Black Ops
erspart sich solche politischen Peinlichkeiten mit einem simplen Trick: Statt in naher Zukunft spielt der von Treyarch entwickelte Titel in der Vergangenheit, zur Zeit des kalten Kriegs. Und statt einer Achterbahnfahrt durch mehr oder minder plausible Kriegsszenarien gibt es hier sogar eine spannende Geschichte über Wahrheit und Vertrauen, mit einem sehenswerten Twist und interessanten Charakteren.

Klar: So richtig unbedenklich ist das alles auch nicht – wie auch in einem Spiel, das zu großen Teilen im Vietnam-Krieg spielt, ohne der Vielschichtigkeit dieses Konflikts auch nur eine Dialogzeile zu widmen? Aber im Vergleich mit Modern Warfare 2 zeigt Black Ops deutlich, dass es einen Unterschied macht, ob Entwickler ihre etwas perverse Faszination für moderne Kriegsführung in den Mittelpunkt ihrer Geschichte stellen oder ob sie diese als Hintergrund für einen vernünftigen Plot nutzen.

In Call of Duty: Modern Warfare 3 lohnt es sich dann gar nicht mehr, über Politik nachzudenken. Freunde des gehobenen Schwachsinns kommen aber voll auf ihre Kosten. Man muss es wirklich aufschreiben, um es zu glauben: Nachdem die Russen in Modern Warfare 2 die Schlacht ums weiße Haus verloren haben, vertreiben die US-Streitkräfte sie in einer Seeschlacht vor Manhatten endgültig. Der russische Präsident erklärt sich zu Friedensgesprächen bereit. Auf dem Weg zum Verhandlungsort Hamburg wird er von Putschisten entmachtet. Kurz danach explodieren in mehreren europäischen Städten Giftgasbomben, russische Panzer rollen derweil ungehindert bis nach Paris. Mit vereinten Kräften werfen Europäer und Amerikaner die Invasoren zurück, befreien den russischen Präsidenten aus einem Bergwerk in Sibirien und töten den Hintermann der Angriffe in einem Luxushotel in Dubai. Ja, das passiert in diesem Spiel wirklich.


Treyarch zeigt derweil nur ein Jahr später, dass Black Ops kein Glückstreffer war. Denn die Story von Call of Duty: Black Ops 2 mag schwächer sein als im Vorgänger. Die Art und Weise, wie sie erzählt wird, sollte aber auch für Spiele jenseits von Call of Duty ein Vorbild sein. Denn Black Ops 2 lässt an einigen Stellen zum ersten Mal den Spieler entscheiden, wie die Handlung weitergeht. Das Besondere daran: Anders als in Mass Effect oder einem Telltale-Adventure kündigen sich diese Stellen nicht unter großem Getöse an. Ein unaufmerksames Publikum mag deshalb sogar verpassen, dass es bei einem Attentat zum Beispiel möglich und sinnvoll ist, nicht auf das Ziel zu feuern – was das Ende der Handlung massiv beeinflusst. Black Ops 2 ist so die erste Call-of-Duty-Kampagne, bei der sich ein zweiter Durchgang lohnt.

Umso enttäuschender, das von all diesen Tugenden nichts im nächsten Teil ankommt. Stattdessen ist Call of Duty: Ghosts der mit Abstand schwächste Teil der Serie, was auch an der Story liegt. Die ist nicht nur blöd und über weite Strecken unspektakulär, sie ist auch politisch höchst zweifelhaft — zumindest für Spieler, die zwischen zwei Partien nicht mit dem Gewehr im Anschlag an der US-Grenze zu Mexiko patrouillieren. Denn Ghosts füttert begeistert die Paranoia, die manche Waffennarren und andere politisch Rechte in den USA gegenüber ihren Nachbarn im Süden empfinden und die spätestens mit der Kandidatur von Donald Trump den Sprung in den politischen Mainstream geschafft hat.


Um die Fieberfantasie von den gefährlichen Horden hinter der Grenze bekömmlicher für den Mainstream zu machen, stellt Ghosts zwar einige Verrenkungen an: So sind die USA zum Beispiel plötzlich der Underdog im Kampf gegen die technologisch und finanziell überlegene Föderation südamerikanischer Staaten. Ist das einmal geschafft, lässt Entwickler Infinity Ward aber kaum eine Gelegenheit aus, seiner neuen Tea-Party-Zielgruppe zuzuzwinkern. Die Helden des Spiels sind zwei (weiße) Brüder, die mit ihrem Vater und ihrem (deutschen) Schäferhund bei Wehrsportübungen im Wald aufwachsen. Dann kommt die Invasion, der Vater entpuppt sich als Mitglied einer (weißen) Eliteeinheit, die Söhne ziehen mit dieser Einheit voller Schnurrbart-Haudegen in den Kampf... Man möchte es kaum aufschreiben, so doof ist es.

Man muss also fast schon dankbar dafür sein, dass solche Untertöne in Call of Duty: Advanced Warfare komplett verschwunden sind. Die interessanten Ideen der Vorgänger hat dieses Spiel dafür aber auch nicht mehr zu bieten. Stattdessen gibt es hier eine 08/15-Action-Story mit Versatzstücken, die so oder so ähnlich in unzähligen anderen Medien vorkommen: Privatisierter Krieg ist böse! Demokratie ist aber auch uneffektiv! Kevin Spacey ist supercharismatisch, hat aber Dreck am Stecken! Alles egal, weil Roboterarme so cool sind!

Call of Duty - Trailer Advanced Warfare (English) HD
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Der Trend geht also leider in die falsche Richtung: Die Zwischentöne der Call of Duty-Kampagnen sind verschwunden oder beunruhigend, die Plots doof oder unverständlich, die Erzähl-Experimente vorbei. Das aktuelle Call of Duty könnte da so etwas wie die letzte Hoffnung sein – schließlich stammt es nicht nur von Treyarch, sondern heißt auch Call of Duty: Black Ops 3. Und die Entwickler haben im Vorfeld schon mal gezeigt, dass sie wenigstens keine Angst vor neuen Ideen haben: Black Ops 3 ist zum Beispiel nicht nur das erste Call of Duty mit Koop-Modus, wer mag, kann auch den letzten Level direkt von Anfang an spielen.

Das garantiert natürlich noch kein gutes Spiel. Aber es ist wenigstens etwas, dass Call of Duty zuletzt nicht mehr war: einen Blick wert.

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