Warum macht uns Call of Duty so wütend?

11.11.2015 - 12:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Wütende CoD-Spieler sind wütend — aber warum?
Activsion / Dom Schott
Wütende CoD-Spieler sind wütend — aber warum?
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Die Wut der Call of Duty-Spieler ist berüchtigt und regelmäßig Gegenstand von Spott und Hohn. Was steckt hinter diesen Ausbrüchen, die das Bild des "Gamers" mitbestimmen? Liegt es an den Spielern — oder doch vielmehr am Design des Multiplayers selbst?

Die wütenden Totalausfälle, die durch die Teamspeak-Server und den Ingame-Voicechat hallen, gehören seit Jahren fest zum Call of Duty-Franchise. Mitschnitte der jugendlichen Kontrollverluste geistern auf YouTube im mehrstelligen Zahlenbereich herum und sorgen für Belustigung, Kopfschütteln — oder direkt beides.

Auch Call of Duty: Black Ops 3, der neuste Teil des Shooter-Franchises, verschont uns nicht vor den hitzigen Stimmen in unseren Gehörgängen: Nach über 40 Stunden Spielzeit wurde mein kompletter Familienstammbaum mehrfach von Minderjährigen beleidigt, bis ich schließlich die Mute-Funktion vor jedem Match zur Routine für mich machte.

Aber woher kommen diese Aggressionen, die speziell auf dem Nährboden der Call of Duty-Spiele zu ekelerregenden Dimensionen heranwachsen können? Mit einem Restglauben an die Menschheit habe ich Gründe für die heftigen Ausfälle im Design des Multiplayers von Black Ops 3 gesucht und einen genauen Blick auf die Mechanismen geworfen, die uns im Spiel umgeben — und wurde tatsächlich fündig.

Mehr Zuckerbrot als Peitsche

Den unzähligen Schreien der gepeinigten Seelen zum Trotz, dreht sich die gesamte Architektur des Multiplayers von Black Ops 3 um ein gigantisches Zuckerbrot: Treyarch will sicherstellen, dass wir möglichst ununterbrochen ein motivierendes und unterhaltsames Spielgefühl genießen dürfen. Das soll zur begehrten Langzeitmotivation der Spieler führen, was uns wiederum bereitwillig kommende, kostenpflichtige DLCs empfangen lässt — eine klassische Win-Win-Situation.

Um uns mit möglichst ununterbrochen mit einem großen Grinsen durch den Multiplayer zu jagen, hat sich Treyarch einige Kniffe einfallen lassen, die wir mal bewusst, mal unterbewusst wahrnehmen:

Die Macht der Musik: Gitarrenriffs und Trophäen

Musik spielt eine wichtige Rolle im Multiplayer von Black Ops 3: Der Levelaufstieg, die ultimative Befriedigung eines Online-Spielers, wird von einem wuchtigen Gitarrenriff begleitet. Je häufiger wir einen neuen Level erreichen, desto tiefer brennt sich die Assoziation des kurzen Gitarrenstücks mit einem positiven Moment in unser Unterbewusstsein ein.

Hier ein Hörbeispiel, das zwar von Call of Duty: Black Ops stammt — aber es erfüllt seinen Zweck.

Ähnlich funktionieren die Signaltöne, die den ständigen Trophäen- und Achievement-Strom melodisch begleiten. Für jede noch so geringe Leistung erhalten wir ein Lob in Form eines Abzeichens, das mit einem kurzen Signalton am oberen Bildschirmrand erscheint. Neben dem visuellen Feedback, das unsere Leistung fast im Sekundentakt lobt, signalisiert uns auch der schnell verinnerlichte Ton: Du hast etwas gut gemacht!

Das nächste Ziel immer im Blick

Neun Spezialisten mit je zwei Fähigkeiten, 32 Waffen, etliche Kostüme und unzählige Gadgets sowie Perks warten ab der ersten Spielrunde darauf, von uns freigeschaltet zu werden. Allerdings lassen uns die Entwickler nicht allzu lange Herumrätseln, welche Boni jenseits der höheren Level auf uns warten könnten — im Gegenteil: Wir dürfen an vielen Stellen bereits einen Blick auf die nächste Waffe oder Spezialisten erhaschen. Selbst wenn wir noch einige hundert Erfahrungspunkte sammeln müssen, bekommen wir die nächste Belohnung wie ein Leckerli dicht vor die Nase gehalten.

Noch nicht freigeschaltet, aber in verlockender Nähe: Die nächste Waffe wartet bereits auf uns.

Damit wird dem Spieler stets ein Ziel gegeben: Der Multiplayer soll sich nicht wie ein kopfloses Grinden anfühlen, sondern jederzeit die nächste Belohnung bereits auf uns warten lassen. Durch das neugierige Stöbern in den Pausen zwischen den Runden entdecken wir hier und da bereits spannend klingende Namen — die Neugierde und das ständige unterfüttern jedes noch so kleinen Fortschrittes in diese Richtung treibt uns immer weiter voran und motiviert. Auch die Killstreaks, strategisch wertvolle, einmalige Fähigkeiten auf Knopfdruck, winken als Gewinn für eigene Abschüsse, ohne selbst vom Gegner erwischt worden zu sein.

Pausen unerwünscht

Die Spielgeschwindigkeit von Black Ops 3 ist extrem hoch: Sterbt ihr, so dürft ihr gerne die Kill-Cam überspringen und ohne Verzögerung direkt wieder ins Spiel starten. Die treibende Musik zum Rundenbeginn und das ständige Dauerfeuer von Auszeichnungen und Trophäen beschleunigt eure Spielweise und versetzt euch schließlich in einen Flow, der euch fast instinktiv durch den Level rennen lässt.

In diesem Beispiel sehen wir einen Spieler in Aktion, der die hohe Spielgeschwindigkeit verinnerlicht hat und sicher von einem Ziel zum nächsten wechselt. Am oberen Bildschirmrand tauchen die vielen Belohnungen auf, die er als positives Feedback für seine Leistung erhält.

In einem Idealfall wie diesem ergeben all diese Mechanismen ein flüssiges Spielerlebnis, das euch in engen Zeitabständen mit Belohnungen auszeichnet und euch möglichst ununterbrochen beschäftigen will, während ihr bereits genau im Kopf habt, auf welches Gadget oder Waffe ihr als nächstes hinlevelt.

Tod im Spiel — und plötzlich gerät alles aus den Fugen

Werden wir allerdings aus diesem Zyklus der Belohnung und Glückseligkeit herausgerissen, so fallen wir schnell in ein immer tiefer werdendes Loch: Je länger wir durch feindliche Abschüsse von den vielen kleinen positiven Rückmeldungen ferngehalten werden, desto wütender und frustrierter reagieren wir. Dieser Zustand ist vergleichbar mit der erzwungenen Abstinenz eines Süchtigen von einer Droge: Level um Level wurden wir an Belohnungen und das damit verbundene gute Gefühl gewöhnt, doch ein überlegener Gegner oder einfaches Pech halten uns vorübergehend von diesem Zuckerbrot fern.

Und die Reaktion darauf kennen wir alle: Lautes Aufschreien und entnervtes Stöhnen, das unter Umständen als Videoschnipsel auf Youtube landet. Die Wurzel des zum Klischee gewordenen wütenden Call of Duty-Spielers liegt im Design des Multiplayers vergraben, dessen gesamte Ausrichtung sich eigentlich um ein positives Spielgefühl dreht. Doch die Natur des Wettkampfes lässt uns hin und wieder den Kürzeren ziehen — und das schmerzt in einem Spiel wie Call of Duty: Black Ops 3 noch deutlich mehr, als in irgendeinem anderen Online-Spiel.

Nur ein Call of Duty-Phänomen?

Nahezu jeder Multiplayer dort draußen muss regelmäßig mit dem Frust und der Wut seiner Community kämpfen — und dennoch hält das Call of Duty-Franchise seit Jahren den traurigen Pokal der wütendsten Community überhaupt fest in den Händen. Ein Blick auf zwei viel gespielte Online-Titel verrät, wieso.

Battlefield 4 (und damit stellvertretend die gesamte Battlefield-Reihe) wird traditionell als großer Konkurrent von Call of Duty angesehen. Im gleichen Genre angesiedelt, vertreten beide Franchises allerdings völlig unterschiedliche Spielkonzepte — und das wirkt sich auch auf die Architektur des Multiplayers aus.

Ein Battlefield 4 belohnt seine Spieler ebenfalls sowohl akustisch als visuell durchgängig für Abschüsse, gelungene Aktionen und Levelaufstiege. Allerdings spielen sich die deutlich größeren Schlachten auf den riesigen Karten spürbar langsamer: Die Spieler werden nur selten in einen adrenalingeladenen Flow getrieben, der sie in Sekundenschnelle von Zuckerbrot zu Zuckerbrot springen lässt. Stattdessen dreht sich der Battlefield-Multiplayer viel um strategische Positionierung, Überblick und langsames, kontrolliertes Vorgehen. Die verminderte Spielgeschwindigkeit scheint hier ein effektiver Stoßdämpfer für die Wut der Spieler zu sein.

League of Legends ist für seine toxische, unbeherrschte Community ähnlich berüchtigt wie das Call of Duty-Franchise: Im MOBA-Genre angesiedelt dreht sich das Spiel hier um den Kampf zwischen 10 Champions und das Ausnutzen endloser strategischer Möglichkeiten, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Gerne wird LoL daher mit Schach verglichen, doch regelmäßig kommt es zum Aufeinandertreffen aller Spieler: Diese Kämpfe werden innerhalb von Sekunden entschieden und fordern von allen Mitstreitern instinktiv das richtige Verhalten — vergleichbar mit dem "Kopf aus"-Zustand, der sich auch bei Call of Duty früher oder später einstellt.

Hier allerdings liegt der entscheidende Unterschied in den Momenten nach dem Ableben: Ein gefallener LoL-Spieler muss zwischen 15 und 60 Sekunden auf seinen Wiedereinstieg warten und kann solange nur passiv das Spielgeschehen verfolgen. Dank dieser erzwungenen Zeit auf der virtuellen stillen Treppe haben die Gemüter ausreichend Zeit, sich wieder ein wenig abzukühlen — eine Möglichkeit, die CoD-Spielern zwar angeboten, aber nicht empfohlen wird.

Diese Beispiele zeigen, dass der Call of Duty-Multiplayer gezielt alle Stellschrauben so gedreht hat, um möglichst häufig möglichst viele Erfolgserlebnisse und Glücksmomente zu schaffen: Die hohe Spielgeschwindigkeit, das ständige positive Feedback und der gezielte Einsatz des Soundtracks machen Spiele wie Black Ops 3 zu einer unterhaltsamen Suchtspirale, die seinen unfreiwilligen Aussteigern allerdings vorübergehend unbarmherzig in den Boden der Realität zurückprügelt.

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