Warum X-Men: Apocalypse gelungen ist

23.05.2016 - 12:05 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
X-Men: ApocalypseTwentieth Century Fox
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An X-Men: Apocalypse scheiden sich einmal mehr die Geister. Für die einen ist es ein rundum gelungenes Action-Spektakel, für die anderen ein inhaltsleerer Superhelden-Mischmasch. Dabei hat der Film seinem Publikum einiges zu bieten.

Achtung, Spoiler zu X-Men: Apocalypse: Schon vor seinem Kinostart schien X-Men: Apocalypse bei der Presse nicht besonders gut wegzukommen. Auch nach Kinostart fallen die Reaktionen zu Bryan Singers neuestem Werk eher verhalten aus. Dabei hat der achte (bzw. neunte, je nachdem, ob Deadpool mitgezählt wird) Teil der Reihe einiges zu bieten. Ich, Annette aus der moviepilot-Redaktion, stelle ausgewählten Kritiker-Stimmen meine Meinung zum Film gegenüber, um zu vermitteln, was mich an X-Men: Apocalypse begeistert hat.

Was dürfen politische Supermächte?

Schon die monumentale Anfangssequenz fesselt die Zuschauer an ihre Sitze. Die Einführung des titelgebenden Bösewichts Apocalypse (Oscar Isaac) begeistert nicht zuletzt aufgrund John Ottmans fulminantem Soundtrack. Zugegeben, der nun folgende Abriss der gesellschaftlichen, technischen und politischen Entwicklung - von der altägyptischen Sklavengesellschaft in die "moderne" Welt der 1980er Jahre - wirkt mit seinen Auslassungen etwas befremdlich. Konsequent zeigt sich jedoch bereits hier eine Konzentration auf das Grundthema des Films: der moralisch verwerfliche Kampf weltlicher Supermächte - und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Dennoch geht für Dietmar Dath von der FAZ  Singers Film politisch nicht genug in die Tiefe:

Comic heißt Text, vor allem bei Claremont [dem Autor der erfolgreichen X-Men Comics der 1980er Jahre], wo die Leute immer sehr viel reden (...) [Das] war seine einzige Chance, die komplizierten politischen Themen anzugehen, die ihm wichtig waren. Reden heißt Reflexion, heißt Mehrdeutigkeit. Bilder aber sagen was anderes. Evidenz, Eindeutigkeit, und wenn dann noch das Tempo dazukommt, das ein Blockbusterfilm haben muss – (...) Ich komme nicht zum Nachdenken, ich habe keinen Raum zum Zweifeln. Es ist besinnungslos. [Und weil] Singer das ignoriert, hat er sich hier so schlimm vergriffen.

Politische Machtkämpfe vs. Moralische Wahrheitshoheit

Doch unterstreicht gerade die Abkopplung der Frage nach Gut und Böse von einem allzu politischen Hintergrund die Aussage des Films. In X-Men: Apocalypse findet ein Kampf um die moralische Wahrheitshoheit statt. Bevor Apocalypse sich um die eigene Weltherrschaft bemüht, reinigt er die Erde von den konkurrierenden Großmächten. Damit befreit er Menschen wie Mutanten von einer Gefahr, die überhaupt erst entstehen konnte, weil politische Machtkämpfe über die Interesse der Menschheit gestellt wurden. Apocalypse zeigt die Doppelmoral der bestehenden Gesellschaft - unter Menschen ebenso wie unter Mutanten - und erinnert mit seiner Forderung nach einer Moral der Stärkeren fast an Nietzsche mit seinem Übermenschen.

Luke Lancasters Urteil , Oscar Isaacs Apocalypse sei ein weiterer Bösewicht ohne bleibenden Eindruck, ist vor diesem Hintergrund unerklärlich. Apocalypse gehört zu den Highlights des Films. Seine moralische Motivation verbindet sich mit einem Ego und paart sich mit einer Mürrischkeit, mit der er nicht nur der menschlichen Rasse sondern den technischen Neuheiten unserer Welt begegnet. Damit trägt er nicht zuletzt zum gelungenen Humor des Films bei. Wenn er aus seinem Jahrtausende wehrenden Schlaf erwacht, erinnert er mit seinem Unverständnis für die moderne Welt an einen Steve Rogers. Gleichzeitig verleiht der erste Mutant X-Men: Apocalypse eine dunkle Note mit seinem erfrischend brutalen und blutigen Auftreten.

Vom Opfer zum faschistischen Täter

Die düstere Stimmung des Films wird auch durch Magneto alias Eric Lehnsherr (Michael Fassbender) unterstrichen. Diesen lässt Singer erneut seine traumatischen Kindheit durchleben, die bereits mehr als einmal thematisiert worden ist. Die brachiale Direktheit, mit der Singer dies tut, kommt jedoch nicht bei jedem gut an. Dietmar Dath spricht von einem großen Unrecht, dass Singer in X-Men: Apocalypse beginge:

Singer jedoch stellt Magneto und Konsorten ins Lager Auschwitz. Furchtbar. Ein gezeichnetes Auschwitz, eine Phantasmagorie auf Papier, im fiktiven Zusammenhang einer Geschichte, die ihre eigene Künstlichkeit als Versuch einer unzulänglichen Rekonstruktion nicht verbirgt, (...) ein unerträglicher Kontrast zwischen den Gebäuden dort und dem sexy Kostüm von Olivia Munn als Psylocke.

Sicherlich hätte gerade die Auschwitz-Szene etwas feinfühliger inszeniert werden können. Doch bringt Michael Fassbenders hochemotionale Darstellung des gepeinigten und verstoßenden Mutanten die Kernfrage auf den Punkt: Wer ist eigentlich böse, der Mutant, der die Menschheit auslöschen möchte - oder die Menschen, die den Holocaust geschehen lassen. Erics Zerstörung von Auschwitz ist vielleicht auch ein Zeichen für den Beginn einer neuen Ära, in der solche Grausamkeiten nicht mehr geschehen sollen.

Gleichzeitig offenbart sich gerade in der ambivalenten Figur des Magneto eine wichtige Aussagen des Films. Indem Singer ein weiteres Mal auf Erics Auschwitz-Trauma verweist, verdeutlicht er umso mehr die Diskrepanz, die sich auftut, wenn Magneto sich dem machtgierigen Apocalypse anschließt. Nachdem ihm der Faschismus alles genommen hat, wendet er sich nun selbst einer faschistischen Idee zu. Erst, als er mit Hilfe einer - zugegebenermaßen recht pathetischen - Ansprache Mystiques (Jennifer Lawrence) seinen Fehler erkennt, kann er aus der Rolle des von Schmerz Zerrissenen ausbrechen.

Der Kreis schließt sich

Damit schließt Singer nicht nur den Kreis zu Magnetos Kindheit. Er leitet mit der Weiterentwicklung der Figur eine neue Phase im X-Men-Universum ein. Und dies ist nicht nur an Magneto fest zu machen. Ähnlich wie The First Avenger: Civil War gelingt es auch X-Men: Apocalypse, bekannte Charaktere weiterzuentwickeln und gleichzeitig neue einzuführen. Allen voran Sophie Turner als Jean Grey, die zu einer Schlüsselfigur wird, für den Kampf gegen Apocalypse ebenso wie zur Einführung einer neuen Generation von X-Men.

Die Menge der Charaktere führt jedoch zu Kritik. Geoff Berkshire von Variety  schreibt:

Auch, wenn die X-Men-Ensembles immer größer sind, hat "Apocalypse" einfach zu viele Charaktere, mit deren angemessener Handhabung der action-geladene Film überfordert ist. Zu leicht geraten sogar McAvoy oder Fassbender in Vergessenheit, sind sie zu lange nicht zu sehen.

In ein ähnliches Horn stößt Lancaster, wenn er meint:

Die Kehrseite der Medaille, wenn derart viele Charaktere in Apocalypse zusammengepfercht werden, ist, dass einige von ihnen einfach zu kurz kommen. Olivia Munn als eine perfekt gestaltete Psylocke bekommt nicht genug Aufmerksamkeit.

Dies ist sicher nicht ganz falsch. Vor allem die Gefolgsleute des großen Apocalypse, die vier apokalyptischen Reiter, werden, mit Ausnahme von Magneto, zu wenig beleuchtet. Weder die Motivation der jungen Mutanten, Apocalypse zu folgen, noch die Begründung, weshalb Storm (Alexandra Shipp) letztendlich zu den X-Men stößt, Psylocke (Olivia Munn) jedoch weiterhin einem anderen Ideal zu folgen scheint, erfahren ausreichende Erklärung.

Neue X-Men machen Lust auf mehr

Ganz anders sieht es jedoch mit Bezug auf die neuen Schüler in Professor Xaviers (James McAvoy) Schule für begabte Jugendliche aus. Das Team um Jean Grey, Scott Summers alias Cyclops (Tye Sheridan) und Kurt Wagner alias Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee) entwickelt eine Dynamik, die Spaß macht und die düstere Stimmung des Films etwas auflockert. Damit verbindet X-Men: Apocalypse gekonnt die Hommage an bereits bekannte Figuren mit der Einführung neuer Protagonisten, auf die man sich in kommenden Filmen freuen kann.

Bryan Singers X-Men: Apocalypse funktioniert gut. Er bereitet auf weitere Action-Spektakel vor und beschließt gleichzeitig eine Trilogie, die ihren Figuren viel Entwicklungsspielraum bietet und gerade deswegen gekonnt eine neue Ära einleitet.

Was haltet ihr von X-Men: Apocalypse?

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