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Was für ein Tag!

13.05.2015 - 19:12 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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Was für ein Tag! Was für ein beschissener Tag! Erst rannte mir Columcille, mein Hund und zu alledem auch mein einziger Freund, mal wieder weg, und jetzt machte auch noch meine Karre schlapp. Die verdammte Töle würde schon irgendwann wiederauftauchen, das tat er immer, aber mit dem Wagen sah die Situation deutlich schlechter aus. Das Benzin hätte wenigstens noch ein paar Tage reichen sollen, der Tank war schließlich noch halb oder wenigstens zu einem Drittel gefüllt, ganz zu schweigen von dem zerbeulten Ersatzkanister hinten drin, also musste das Problem im verrosteten Motor dieser Schrottkiste zu finden sein. Ich öffnete den Deckel um das Innenleben der Maschine zu inspizieren und sogleich blies mir schwarzer Rauch entgegen und brachte mich zum Husten. Ein ekliger, ätzender Husten, dessen Kratzen im ganzen Hals scheuerte. Und noch dazu von oben die elende Sonne, die kein Erbarmen kannte. Ich schnappte mir meinen olivgrünen Schal und wickelte ihn mir ums Gesicht, damit zumindest die verkümmerten Reste meiner brennenden Lunge ein bisschen geschont blieben, und setze eine Mütze auf. Die Hitze briet mich wie ein Ofenhähnchen. Mann, was hätte ich jetzt für ein Hähnchen gegeben! Oder überhaupt mal wieder eine warme Mahlzeit. Die Stille um mich herum war annähernd gespenstisch. Nur das monotone Rasseln einiger verirrter Schlangen war zu vernehmen. Ansonsten war es so ruhig, dass ich meinen eigenen Herzschlag in den Ohren pulsieren hören könnte, schrecklich. Ich hasse es, mit meinen Gedanken allein zu sein, so vollkommen ohne Möglichkeit der Zerstreuung. Ich versuchte, den Kopf freizubekommen und setzte mich erstmal in das kleine Fleckchen Schatten, das mir meine Blechbüchse bot, während ich darauf wartete, dass sie abkühlte. Es vergingen fünf Minuten, zehn, fünfzehn, vielleicht sogar eine halbe Stunde, mit meinem Zeitgefühl ist es nicht weit her, bis ich kurz eindöste, mich dann aber zusammenriss und anstatt komplett wegzunicken mich lieber um mein Problem zu kümmern versuchte. Der Motor sah gesund aus, alle Teile am korrekten Platz und abgesehen von Staub und Schmieröl sogar sauberer als man es hätte erwarten können. Alles in Ordnung, wäre da nicht das Bündel bis aufs Letzte verschmorter Kabel gewesen, das einen halb geschmolzenen Kolben ummantelte. Fuck! Ich schrie innerlich. Äußerlich jedoch blieb ich ruhig, ich musste meine Kräfte sparen. Ich würde den ganzen Motor ausbauen und den Defekt überbrücken müssen. Mit dem Werkzeug, das ich im Kofferraum lagerte machbar, aber mindestens der ganze Tag gestohlen. Vielleicht würde ich sogar erst im nächsten Morgengrauen weiterkommen. Ich beschloss, keine Zeit zu verlieren und mich sodann ans Werk zu machen. Als ich mir den Werkzeugkoffer griff jedoch, hörte ich neben dem Quietschen und Knarren der abgetragenen Bolzen, die die Karosserie geradeso zusammenhielten noch etwas anderes. Die Stille war getrübt. Ich hörte lautes Jaulen als Motoren in nicht allzu weiter Entfernung aufheulten. Ich hörte Stahlkarosserien über den sandigen Boden peitschen, pfeifendes Gummi die nackten Kiesel aufwirbeln. Es musste eine dieser verdammten Banden sein, die in jeder Ecke dieses atomaren Brachlands ihr gnadenloses Unwesen trieben. Es war nicht lange nach dem Ende der alten Welt gewesen, die Zivilisation war gerade erst zusammengefallen wie ein Kartenhaus in frischer Zugluft, als sich das wahre Gesicht der Menschen offenbarte. Und es war eine hässliche Fratze. Das Leben nach dem atomaren Holocaust war die Hölle auf Erden und ließ jedwede Menschlichkeit missen. Als die Vorräte zur Neige gingen, das Wasser dreckiger, die Luft dünner und, am allerschlimmsten, das Benzin weniger wurde, da war es auf einmal vorbei mit Anstand und Nächstenliebe. Rette sich wer kann und jeder für sich allein hieß es plötzlich. Die, die dagegenhielten, bauten autonome Gesellschaften in kleinen Städten oder großen Lagern auf und kamen in dieser notdürftigen Utopie annehmbar zurecht. Aber sie konnten nicht weg. Nirgendwo hin. Die Straßen gehörten den Gangs. Es wurde geplündert, geraubt, gebrandschatzt und jeder Hauch von Paradies im Keim erstickt. Diebe, Mörder, Vergewaltiger, die einen Scheißdreck auf Moral gaben. Menschlicher Abfall. Genau die Art von Gesellschaft, die mir an einem gottverdammten Tag wie diesem noch gefehlt hatte.

Das Röhren der Motoren wurde lauter, es bestand kein Zweifel, sie würden direkt an mir vorbeikommen, ich müsste schon eine ordentliche Portion Glück haben, damit sie mich übersehen. Und Glück war in diesen Zeiten Mangelware. Ich legte das Werkzeug zurück und kontrollierte stattdessen das Messer, das fest an meinem Gürtel steckte. Dann schnappte ich mir meinen Revolver. Volles Magazin und noch zwei Pakete Ersatzmunition. Nicht viel, aber möglicherweise abschreckend genug. Die Fahrzeuge kamen unaufhaltsam auf mich zu, eine dicke Staubwolke hinter sich herziehend. Das Knattern der Motoren, das Lärmen der Maschinen, wütend wahnsinnige Schreie der aufgebrachten Meute hallten in meine Gehörgänge und konnten nichts Gutes verheißen. Aber ich war da. Ich würde mich nicht unterkriegen lassen. Ich war da, ich war voll da und aufs Äußerste konzentriert, als die Parade der Ausgestoßenen und Zurückgebliebenen Halt machte, während sie mich in einem Halbkreis umringten. Nun gab es kein Entkommen mehr. Kämpfen oder Aufgeben, Sieg oder Tod. Besonders viele Möglichkeiten wie das Ganze ausgehen würde gab es nicht. Der Anführer der Truppe, zugleich der bulligste und ganz sicher ein schlimmes Produkt von Inzest, kam auf mich zu. Seine bedrohlichen Gebaren wirkten kleinkindhaft, machten mir keine Angst. Ich hielt meine linke Hand, die stärkere, locker auf Hüfthöhe, bereit die Klinge zu ergreifen, die ich aber vorerst, wie auch meine Waffe, verdeckt hielt. Zeige niemals deine ganze Stärke! Erst einmal musste ich ausloten, wie meine Chancen standen. Der bullige Typ kam weiter auf mich zu, drei Mann im Schlepptau, allesamt mit ohne den dazu passenden Gewehren nur optisch beeindruckenden Patronengürteln um die Schultern. Sein Kopf hätte eine prima Bowlingkugel abgegeben, die rotgebrannte, fettige, glatzköpfige Birne glitzerte in den Sonnenstrahlen nur so, und sein arroganter Gang musste ihm wohl ein Gefühl von Macht verleihen, das von den Jeans-Shorts, die seine Männlichkeit nur knapp vor der Außenwelt versteckten, nicht gerade unterstützt wurde. Die eingeölten Muskelberge und das dichte, schwarze Brusthaar unter seiner abgewetzten, mit Einschusslöchern übersäten, ihm viel zu kleinen Lederjacke hingegen waren durchaus ein Blickfang. Er knackte mit den Knöcheln seiner Hände und entblößte pechschwarze, schiefe Zähne, als er sich mit seiner gepiercten Zunge über die spröden Lippen leckte mit einem Blick wie eine Katze, die eine Maus in die Enge getrieben hat. Dumm für ihn bloß, dass in diesen Zeiten keiner von beiden länger überlebt hätte.
„Na, sieh mal einer an“, rotzte er heraus, „was haben wir denn da? Was bist du denn für einer?“
„Nur ein ganz normaler Kerl“, ich blieb ruhig, behielt ihn und seine Kumpanen allerdings genauestens im Auge, „der keinen Ärger sucht.“
„So, so…keinen Ärger, was? Na, das werden wir ja sehen.“ Der Rest seines Gefolges hatte sich auf und neben seinen Fahrzeugen postiert und beobachtet die Szenerie genüsslich, sich anscheinend allzu sicher, dass ich geliefert war und es was zu Gucken geben würde. „Deine Karre?“
„Bitte was?“ fragte ich ihn verwundert über sein Interesse und den zumindest oberflächlich nicht zu feindseligen Ton, den er mir gegenüber anschlug.“
„Hörst du schlecht, du Schwuchtel? Oder was ist mir dir los? Ich habe dich gefragt, ob die stinkende Rostlaube von Automobil hier dir gehört!“
„Ganz recht, ja.“ Ich versuchte so höflich wie möglich zu bleiben, da mir mein Leben im Moment wichtiger war als die für diesen Abschaum angemessenen Worte und Dialekt zu finden.
„Sieht nett aus.“
Ich nickte. „Denke schon, ja. Kann mich nicht beklagen. Außer dass sie gerade nicht anspringen will natürlich.“
Er schien mich zu verstehen, tat jedenfalls so. „Weißt du“, fuhr er fort, immer noch in diesem Tonfall, der einem weismachen will, man hätte es mit einem Freund zu tun, auch wenn dieser dich hinterrücks schon für einen müden Dollar verkauft hat, „meine Jungs und ich, wir haben auch ein paar Probleme mit unseren Kisten. Ein paar davon machen uns schon seit einigen Kilometern Sorgen. Du weißt schon, der Sprit geht uns aus, die Motoren machen nicht mehr mit. Öl und ein paar neue Schrauben wären langsam mal angebracht.“
Da war mir klar, worauf er hinaus wollte. Für eine Tankfüllung hätten solche Gestalten ihre Großmutter verscherbelt. Ich schüttelte den Kopf schon leicht, als er noch weitersprach.
„Und ich, also wir, haben uns gedacht, du siehst wie ein netter, vernünftiger Kerl aus. Das bist du doch, hm? Und ein netter Kerl wie du wird seinen Freunden doch sicher weiterhelfen können, oder?“
„Ich wünschte, ich könnte das“, versuchte ich ihm so gelassen wie nur möglich klarzumachen, „aber das geht nicht. Ich bin mir auch nicht wirklich sicher, ob wir tatsächlich so was wie Freunde sind. Und wie gesagt, mein Wagen ist liegengeblieben. Du hättest gar nichts davon und ich brauche alles, was ich dabeihabe selbst. Sonst komme ich nicht weiter.“
Als ob ihn mein Schicksal interessieren würde. Für ihn war ich doch nicht mehr wert als eine Ratte, obwohl dieses Gefühl selbstredend auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich stellte mich demonstrativ, aber mit gesenkten Armen vor mein Gefährt und kniff die Augen fest zusammen, weil der Gestank des Typen mich einnebelte als er es wagte, noch näher zu kommen und seinen widerlichen Arm um meine Schultern legte.
„Kumpel“, fing er an, mich einlullen zu wollen, aber ich stieß ihn ein Stückchen von mir weg.
„Ich bin nicht dein Kumpel. Und jetzt hör mal zu, Pummelchen! Ich habe dir gesagt, dass ich dir nicht weiterhelfen kann, selbst wenn ich es wollte. Also, wie wäre es, wenn du und deine Kameraden, wenn ihr einfach verschwindet und wir uns alle gegenseitig in Frieden lassen? Tun wir doch so, als wären wir uns nie begegnet und belassen es dabei, was? Ich weiß, du willst hier vor deinen Lakaien und den Weibern den Dicken markieren, aber mit mir ist auch nicht gut Kirschen essen, weißt du?“
Das war es in der Tat nicht, auch wenn ich mich jetzt gerade ganz weit weg wünschte. An einen Strand mit Palmen, eine dunkle Höhle, überall hin, nur nicht hier. Den winzigen Bruchteil einer Sekunde dachte ich dennoch, er würde es sich tatsächlich überlegen, aber dann verfinsterte sich seine Miene und er signalisierte seinem Geleitschutz durch einen kurzes Nicken, dass sie anscheinend freie Bahn hatten, was mich betraf. Und, wieso auch nicht? Zahlenmäßig war ich ihnen viel mehr als nur ein bisschen unterlegen. Eine reelle Chance brauchte ich mir nicht im Ansatz auszumalen. Zwei der Hampelmänner stürzten sich blindem Gehorsam folgend gleich auf mich, einer eine Eisenkette schwingend, der andere die Fäuste geballt. Ihre von eitrigen Narben zerfurchten Gesichter strahlten eisige Kälte aus. Der Anführer grinste selbstzufrieden und badete sich in seiner Selbstverliebtheit, des Sieges schon gewiss. Doch Überheblichkeit ist stets des Toren Fall, und wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt hatte, dann, dass wer in dieser Welt überleben will niemals auch nur einen Moment lang zaudern darf. Der Kerl mit der Kette schwang seine Waffe nach mir, das kalte Metall touchierte meine Stirn direkt über meinem Auge und verpasste mir ein heftiges Wummern im Schädel. Blut rann mir von der schweißnassen Stirn. Trotzdem war ich schnell genug um ihm auszuweichen und mich hinter seinen Kollegen zu werfen, dem ich mein Knie in den Rücken rammte, um ihn zu Boden zu zwingen. Blitzschnell und in einer einzigen Bewegung zog ich mein Messer und schnitt ihm ohne Zögern die Kehle durch. Ich hatte es nie darauf angelegt, zu töten, aber wenn es hieß er oder ich, dann war natürlich klar, was ich tun musste. Das warme, dunkelrote Blut spritze dem anderen Mann, der mir einen Kampfschrei, auf den jeder Indianer stolz gewesen wäre, ausspeiend entgegenpreschte, in die Augen und blendete ihn, sodass ich freie Fahrt hatte und ihm mit einem gezielten Fausthieb ins Gesicht schlug, ihm die Nase brach. Ein zweiter Schlag setzte ihn außer Gefecht und beförderte ihn ins Land der nicht ganz so süßen Träume. Jetzt griff mich das dritte Mitglied der königlichen Leibgarde an. Dieser Mann war klein und schmächtig, aber dafür extrem flink. Dank eines punktgenauen Ausweichmanövers bekam ich ihn dennoch zu fassen und schmetterte seinen Kopf auf die Motorhaube meines Wagens. Ich hatte jedoch nicht damit gerechnet, wie zäh er war. Er schüttelte den Schmerz nur kurz ab und verpasste mir eine, wodurch er die Situation umdrehen und mich auf das Auto drücken konnte. Sein unerwartet kraftvolles Gewicht von oben und die heiße Platte unter mir entlockten mir ein gequältes Stöhnen. Ich schaffte es, meine Hand zu befreien und stieß ihm das Messer mit voller Wucht in die Magengegend, wo es zu meiner unangenehmen Überraschung nur abprallte. Er musste eine Art Panzer oder Schutzweste unter seinem zerlumpten Oberhemd tragen. Nun zauberte er selbst ein Messer hervor, kein Messer, eine sägeblättrige Machete, die jeden Mammutbaum, wenn es diese noch gegeben hätte, in Sekunden zu Fall gebracht hätte. Wut funkelte in seinen Augen und er lachte ein höhnendes, zahnloses Lachen als er ausholte. Ich kämpfte mit aller Kraft gegen ihn an, konnte mich aber kaum erwehren. Er musste auf irgendeiner Art von Drogen sein, dachte ich mir. Das blutrünstige Grinsen des Anführers hinter ihm wurde immer, immer breiter und ich war mir im Klaren, dass mein letztes Stündchen geschlagen hatte. Irgendwann musste es ja mal so kommen.

Aber was dann geschah, habe ich auch jetzt im Nachhinein noch nicht vollständig verarbeitet, so schnell ging alles vonstatten. Bevor der rasende Wüterich über mir die Chance bekam, seine Waffe auf mich hinuntersausen zu lassen, sauste etwas ganz anderes heran. Wie aus dem Nichts zischte auf einmal ein Pfeil heran und durchbohrte seinen Hals. Er fiel zu Boden und röchelte seine letzten Gebete vor sich hin, bevor er elendiglich verreckte. Ich dachte nicht länger nach. Der Autopilot hatte die Kontrolle über meinen schwachen Körper übernommen und ich entriss seinen noch warmen Fingern die Machete, die ich dem Anführer mit aller Kraft in die Seite seines Schädels rammte, wodurch er nicht nur seine Würde, sondern auch die Hälfte seines Ohrs verlor. Trotzdem war er noch nicht am Ende und stieß mich von sich weg, während er wie von Sinnen schrie. Grunzend schlug er mir mein Messer aus der Hand, kurz bevor ich ihm in einem Anflug schierer Unsportlichkeit einen Tritt zwischen die Beine verpasste. Er jaulte auf, Blut tropfte aus seinem Schädel und ihm schien schwindelig zu werden. Aber verzweifelte Männer sind gefährliche Männer. Er schaffte es tatsächlich, mich mit einem eher glücklichen als gezielten Kinnhaken zu Boden zu bringen, taumelte jedoch weiter durch die Gegend. Ein weiterer Pfeil segelte aus der Entfernung an uns vorbei und traf das Vehikel des Chefs, wo das Geschoss Sekunden später explodierte und das Fahrzeug in einen lodernden Flammenball verwandelte, der eine Gruppe von Chargen in die Luft schleuderte. Ich begriff noch immer nicht, was eigentlich los war, konnte aber geistesgegenwärtig meinen Revolver entsichern und meinem Gegner zwei Kugeln in die nackte Brust jagen. Er brach zusammen, aber die Gefahr war nicht gänzlich gebannt. Eine Frau mittleren Alters, seine Frau, wie ich vermute, oder eine seiner Frauen, bei denen weiß man ja nie, mit wirren Haaren, nacktem Oberkörper und violetter Kriegsbemalung in ihrem kantigen Gesicht stürzte sich mit Gebrüll und einem Beil auf mich. Als ich sie wahrnahm, war es im Grunde schon zu spät, doch auch sie wurde von einem Pfeil durchbohrt. Mitten durch den Brustkorb. Alle anderen Mitglieder dieser ungemütlichen Reisegemeinschaft waren verdutzt. Wie ich wussten sie nicht, was los war, aber sie waren, wie es schien, auch nicht gewillt, es herauszufinden. Ihr Anführer war tot und sie damit auf sich selbst gestellt und verunsichert. Ohne ihren Führer hatte ihr Weltbild keinen Sinn mehr. Nicht bereit, sich jetzt wo alles vorbei war für nichts und wieder nichts in den Kampf und den sehr wahrscheinlichen Tod zu begeben, stürmten sie allesamt, wie auf ein unsichtbares Signal hin, in die verbliebenen Fahrzeuge und ergriffen panisch die Flucht. Nur eine dichte Staubwolke blieb zurück

Ich sah mich um, als mir klar war, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausging, schaute in die entgegengesetzte Richtung, und da erblickte ich ihn. Er stand auf der Anhöhe, die sich hinter meinem Rücken verborgen hatte. Der Mann, dem ich mein Leben verdankte. Pfeil und Bogen in den sandigen Händen, Staub im Gesicht, die Falten rund um seine melancholisch dreinblickenden, blaugrünen Augen legten nahe, dass er eine Menge gesehen hatte. Die vollen Lippen und die Narbe an seinem Kinn, die auch unter seinem krausen Dreitagebart noch Aufmerksamkeit auf sich zogen, erzählten Geschichten eines bewegten Lebens. Sein Blick schweifte in die Ferne, als er der Kolonne von verrottetem Menschenmüll nachschaute und nachdenklich die Stirn runzelte.
„Wow“, sagte ich, „danke. Du hast mir das Leben gerettet.“
„Nicht der Rede wert“, winkte er mit einer kratzenden Reibeisenstimme ab.
Ich war wie erschlagen und wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Ich kann Ungerechtigkeit nun mal nicht ab und diesen ranzigen, ehrlosen Maden muss wirklich mal Einhalt geboten werden. Keine große Sache.“
„Für mich schon“, erwiderte ich. „Du hast mir das Leben gerettet, Mann. Das ist eine ziemlich große Sache. Du hast was gut bei mir. Ich meine, ohne dich wäre ich sicher draufgegangen und ich kenne nicht mal deinen Namen.“
Sein Blick wanderte bedeutungsvoll nach oben und ich glaubte sogar, einen Anflug von Traurigkeit in seinen feuchten Augen zu erkennen, als ob er wehmütig längst vergessener Zeiten gedachte.
„Früher“, sagte er nach einem Augenblick ganz trocken, „nannte man mich Hardy.“
„Ich stehe in deiner Schuld, Hardy.“ Ich sah ihm tief in die Augen. „Ich kann dir nicht oft genug danken. Ich stehe tief in deiner Schuld. Ernsthaft.“
Er lächelte bloß sanft und kratzte sich den kahlrasierten Kopf. „Wie ich bereits sagte, keine große Sache. Du siehst aus wie ein korrekter Typ, bin mir sicher du hättest dasselbe für mich getan.“
Da wusste er zwar mehr als ich, weil ich inzwischen schon lange nicht mehr wusste, was ich für wen tun würde in diesen harten Zeiten, aber das behielt ich lieber für mich.
„Lass uns nicht zu viel Zeit vergeuden! Was ist mit deinem Wagen?“ Er deutete auf meine heißgeliebte Kiste. „Kommst du klar? Oder haben die Affen sie ausgeräumt? Brauchst du Starthilfe oder so?“
„Der Motor ist ziemlich im Arsch“, erklärte ich, „aber das kriege ich schon hin.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe meinen Laster gleich hinter dem Hügel hier. Wenn du willst schleppe ich dich ab und nehme dich mit in die nächste Stadt…“
„Die nächste Stadt?“ unterbrach ich ihn. „Wo ist das? Ehrlich gesagt habe ich momentan nämlich nicht den geringsten Plan, wo wir sind.“
„Dreißig Minuten Fahrtzeit vielleicht. Nicht weit. Also, wenn du willst, nehme ich dich mit. Da hast du es dann sicherlich auch leichter, den Kübel wieder zusammenzuflicken. Was sagst du?“
„Ich weiß nicht“, zögerte ich zurückhaltend und ein wenig eingeschüchtert von seiner überbordenden Freundlichkeit. „Du hast schon genug für mich getan. Ich komme schon klar.“
„Aber ich vielleicht nicht.“ Obwohl er das mit einem zynischen Grinsen auf dem Mund sagte, lag wie ich heute weiß durchaus etwas Ernstes in dieser Aussage. „Was ist?“
„Also gut“, überwand ich mich und atmete tief aus, „sicher, lass uns fahren!“

Hardy half mir, meinen Wagen an seinem Laster zu befestigen und fuhr mit mir in die Stadt, die wie er versprochen hatte kaum einen Katzensprung entfernt war. Ich verarztete meine Wunden mit etwas Verbandszeug, das er mir gegeben hatte und wir schwiegen die gesamte Fahrt über. Nachdem wir schließlich angekommen waren und meinen Wagen vorerst in einer Werkstattgarage geparkt hatten, schlenderte ich gemeinsam mit Hardy noch eine Weile durch die Straßen des surreal leeren Ortes, der wie eine Geisterstadt anmutete.
„Und das ist alles, was du so tust?“ fragte ich. „Den ganzen Tag? Jeden Tag?“
„Früher war es aufregender. Zu aufregend sogar, muss ich zugeben. Inzwischen will ich eigentlich nur noch meine Ruhe haben, aber ich kann einfach nicht nicht helfen, verstehst du? Ich glaube eben immer noch an das Gute im Menschen und an eine bessere Welt. Trotz dieser Wilden Trotz all des Chaos. Trotz der Apokalypse.“
Ich nickte schweigsam als auf einmal ein Bellen unser Zwiegespräch unterbrach und ein riesiges, zotteliges Etwas auf uns, auf mich zu gerannt kam. „Colum!“ rief ich freudestrahlend. „Colum, mein Guter, da bist du ja!“ Ich bückte mich und nahm den sabbernden Hund fest in den Arm.
„Der gehört zu dir?“ fragte Hardy. „Habe ihn heute früh erst aufgelesen, schien sich verirrt zu haben, der Arme.“
„Ich hatte schon befürchtet, ihn nie wieder zu sehen“, klärte ich ihn auf während ich meinen Hund weiter knuddelte. „Wow, ich weiß echt nicht, was ich an einem Tag wie heute ohne dich gemacht hätte. Ich danke dir! Hardy, du bist wirklich ein Heiliger.“
Er winkte erneut ab und schien versucht, dieses Übermaß an Aufmerksamkeit schnellstens loswerden zu wollen. Um ihn nicht zu sehr in Verlegenheit zu bringen, suchte ich nach Ablenkung und fand sie in einem verlassenen Gebäude, vor das uns unser Weg geführt hatte, dessen Backsteinmauern Risse trugen und dessen schwache Farbe bis auf den Grund abbröckelte.
„Was ist das?“ fragte ich und deutete auf die graue Tafel über den blinden Fenstern des Eingangs, auf welcher in vergilbten Lettern AD M F RY ROAD zu lesen war.
„Hm?“ fragte Hardy geistesabwesend.
„ADM? Eine Fry Road, was soll das sein?“
Er wischte sich ein Staubkorn aus dem Augenwinkel und lächelte plötzlich wahrhaftig übers ganze Gesicht. „Das, mein Lieber, das ist das, was dir noch fehlt an einem beschissenen Tag wie heute.“ Er hielt mir die Tür auf und wir betraten das Gebäude, das im Inneren den Geruch verbrannter Butter verströmte. „Das ist das, was dein Leben wieder lebenswert macht. Das ist das, was dich all deine Sorgen für eine Weile vergessen lässt. Das ist das wahre Leben.“
Und damit sollte der Fremde absolut recht behalten. Ich war immerhin noch am Leben und mein geliebter Ofen sollte auch wieder in Schwung kommen, ich hatte meinen besten Freund wiedergefunden, vielleicht sogar einen neuen gewonnen, und ich sollte die Zeit meines Lebens haben. Alles hatte sich letztendlich zum Guten gewendet. Was war das doch für ein Tag. Was für ein Tag! Was für ein schöner Tag!

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