Wenn der Alltag mitspielt: Frust und Online-Spiele

02.04.2015 - 17:15 Uhr
Bohemian Interactiv / Riot
Ich und Online-Spiele
Bohemian Interactiv / Riot
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Puuh! Ein Langer Arbeits- oder Schultag liegt hinter dir. Ab an den Schreibtisch, weg von allem, Videospiele als ultimativer Eskapismus, endlich Ruhe. Doch wenn du dich mit dem Teufel einlässt, veränderst du nicht den Teufel — der Teufel verändert dich.

Ich habe mich nie sonderlich für Fußball interessiert. Trotzdem stand es außer Frage, gemäß der süddeutschen Dorftradition mit 7 Jahren einem Fußballverein beizutreten. Hier, beim SC Viktoria Wertheim, sammelte ich erste Erfahrungen im Mannschaftssport. Wir trainierten dreimal in der Woche, bei Sonnenschein, Schnee und peitschendem Regen, während der Trainer immer wieder seine Parole in den Wind schrie: "JEDES TEAM IST NUR SO STARK WIE SEIN SCHWÄCHSTES GLIED!"

Ziemlich schnell zeigte sich, dass ich das schwächste Glied war.

Schon nach den ersten Trainingsrunden erkannte ich, dass mir im Grunde nichts an diesem Sport gefiel — außer das Grätschen: Die Aussicht, fast zwei Drittel meiner Körpergröße in den Bewegungsapparat eines anderen Spielers zu rammen, war von Spiel zu Spiel meine größte Motivation, das beste Mittel, um meinen Frust über diesen Sport rauszulassen.

Waren die Gegenspieler einmal zu schnell, scheute ich mich auch nicht davor, meinen ahnungslosen Mitspielern in den Rücken beziehungsweise den Oberschenkel zu fallen. Schnell entwickelte sich (völlig zurecht!) ein tiefer Zusammenhalt aller Opfer gegen mich und als der Trainer schließlich Zeuge meines Versuches wurde, zwei Gänse, die auf das Spielfeld gelaufen waren, mit einer vernichtenden Grätsche anzugreifen, flog ich aus dem Team.


Eine wertvolle Lektion war gelernt und ich hatte Grund genug, mein Verhalten zu überdenken und mich den gesellschaftlichen Normen anzupassen. Lernkurve, Reue, Einsicht, alles war da.

Dann allerdings kam eines Tages ein Techniker bei uns daheim vorbei und in einer großen, grauen Box schenkte er uns das Internet — und plötzlich war ich nicht mehr der einzige, der zur digitalen Grätsche ansetzte, im Gegenteil, auf Knopfdruck (naja ) war ich von Gleichgesinnten umgeben. Ich war endlich angekommen.

Heute, etwa 15 Jahre später, ist unsere Gesellschaft fast ununterbrochen online — und auch Videospiele sind von diesem Status nicht ausgenommen. Wir sharen Videos, verknüpfen uns mit Freunden, spielen mit Fremden. Die Server von DayZ  und League of Legends  haben den Sportplatz meiner Kindheit ersetzt, während ich täglich mit Gleichgesinnten moralische Zweifelhaftigkeit zelebriere.

League of Legends: Die Bundesjugendspiele der bösen Kidz

Ein Blick auf die kommerziell erfolgreichsten Spieleserien der jüngsten Videospielgeschichte bleibt zwangsläufig auf Call of Duty, Assassin's Creed und GTA hängen. Die Mitglieder dieser Gamepad-Trinität werden kommerziell aufwändig produziert und schieben gut sichtbar Moneyquotes wie "abwechslungsreich", "innovativ" und "revolutionär" vor sich her. Ihnen gegenüber steht League of Legends , das seit einiger Zeit statistisch nachweisbar als meistgespieltes Spiel der Welt täglich mehrere Millionen Spieler zum Einloggen bewegt, zu denen auch ich gehöre.

Ich spiele seit 2009 fast ohne größere Unterbrechungen League of Legends , durchschnittlich mindestens zehn Spiele in der Woche, also etwa 40 Spiele pro Monat, 480 im Jahre. Damit haben sich in den letzten sechs Jahren rund 5760 Spiele angesammelt — mindestens! Das Spielprinzip ist dabei vergleichbar mit einer Partie Fußball: Zwei Teams zu je fünf Spielern versuchen, bis in die Basis des Gegners vorzudringen und auf dem Weg dorthin alles zu zerstören. Klingt einfach — birgt in sich aber ein hochkomplexes System aus Strategien und Taktiken, die von den über hundert spielbaren Champions getragen werden und meist rund 45 Minuten höchste Konzentration verlangen. Kein Wunder also, wenn da bisweilen die Nerven ein wenig blank liegen.


Tatsächlich habe ich meine bittersten Erfahrungen mit Videospielen auf den Schlachtfeldern von League of Legends gesammelt — in keinem anderen Spiel wurde ich generationsübergreifender beschimpft, als hier. Das Internet ist voller Zusammenschnitte und Sammlungen wütender Spieler, die sich via Teamspeak, Skype oder im Ingame-Chat so richtig auslassen — und dennoch kratzt diese Materialsammlung nur an der Oberfläche des riesigen, riesigen Eisberges aus Frustration und enthemmter Aggression, die sich auch auf mich überträgt.

So habe ich in den letzten Jahren zahllose Mäuse zerschlagen, Tastaturen um ihre Buchstaben erleichtert oder tiefe Bissspuren in meinen Handrücken hinterlassen, während im Chat weiterhin rassistische, misogyne oder homophobe Nachrichten ausgetauscht und das eigentliche Spiel zur Nebensache wurde.

"Aber nicht alles war Abfuck", wie Erasmus von Rotterdam sagen würde, denn ich habe auf den Richtfeldern im Gegenzug lernen dürfen, dass Spiele nicht die ultimative Form des Eskapismus sind, für die sie gerne erklärt werden.

Menschen haben einen Alltag — und der ist meistens doof

Ich hatte das Glück, vor nicht allzu langer Zeit in Paris mit einigen Mitarbeitern von Riot, dem Team hinter League of Legends, ins Gespräch zu kommen. Dort lernte ich Will  kennen, dessen Job es ist, jeden Tag die eingehenden Beschwerden aller europäischen League-Spieler zu analysieren und auszuwerten. Er sitzt also an der vielzitierten Quell allen Übels und muss Klage um Klage durchgehen, die Spieler über ihre vermeintlich idiotischen f**** s********* **** *** Teamkameraden geschrieben haben.

So erfuhr ich, dass täglich zwischen 17 und 20 Uhr eine gigantische Frustrationswelle die Community wie von Geisterhand erfasst und fast nach jeder Spielsitzung Beschwerden bei Will auf dem Schreibtisch landen. Nach und vor dieser Zeitspanne normalisiert sich die Frequenz der sogenannten Reports wieder. Da Samstage, Sonntage und Feiertage von diesem Phänomen nicht betroffen sind, war für Will die Sache eindeutig. Menschen haben einen Alltag — und der ist meistens doof. Spiele mit starkem Wettkampfcharakter stellen offenbar, vielleicht im Gegenzug zu anderen Genres, keinen guten Fluchtweg dar, sondern verhärten und verstärken den Frust nur, der sich tagsüber am Arbeitsplatz oder in der Schule in den Köpfen der Spieler angestaut hat.

Mit Statistiken wie diesen will Riot zeigen, dass schlechtes Verhalten zur Niederlage führt.

Das Gespräch mit Will ließ mich nicht mehr los. Werden wir täglich Opfer des vielleicht größten Missverständnisses unseres Hobbys? Sind Spiele vielleicht nicht immer der beste Freund des Menschen? Vor allem, wenn dieser einen Arschloch-Tag im Rücken hatte?

Mein erster Gedanke als Antwort auf diese Frage war naheliegend: Womöglich begrenzt sich dieser katalysierende Effekt von Videospielen für negative Gefühle auf besonders kompetetive Spiele, wie League of Legends oder auch FIFA, in denen die Leistung im Vordergrund steht und gleichzeitig die Möglichkeiten beschränkt sind, die eigene Gefühlswelt zu artikulieren. Kritik wird in diesem Momenten deutlich heftiger aufgefasst und zum Anlass genommen, die beschränkten Mittel der Interaktion in diesen Spielen als Botschafter des eigenen Unmuts zu nutzen: Das klassische Trollen.

Homo homini lupus: Der Mensch ist sein eigener Wolf

Ich erzählte einem guten Freund von dieser Theorie — nicht allerdings auf unserer Seite des Monitors sondern an dem Ort, wo ich ihn seit einigen Wochen fast ununterbrochen antreffen konnte: Auf den Servern des Survival-Spiels DayZ .

In DayZ übernimmt der Spieler nicht die Kontrolle über einen abstrakten Fantasie-Helden, den wir aus der Vogelperspektive steuern, nein: Hier sind wir ganz Mensch, steuern einen menschlichen Avatar durch die Apokalypse und sind auf die Zusammenarbeit mit anderen Menschen angewiesen.

Mein Freund hörte mir aufmerksam zu, während wir gemeinsam am virtuellen Lagerfeuer saßen und ich ihm über mein Headset von meiner Theorie erzählte.

"Und daher glaube ich, dass vor allem Spiele, die als Wettbewerb ausgelegt sind, besonders guten Nährboden für Frust-Verhalten bieten."

Plötzlich zielte mein Gegenüber auf mich und schoß mit seinem Karabiner in mein Knie. Mein Avatar ging zu Boden, sofort schoß Blut aus der Wunde.

"WARUM HAST DU DAS GEMACHT?"

"Stell dir einfach vor, mein Tag heute war Mist." Er schoss erneut, die Welt wurde zunehmend farbloser. "Und stell dir vor, ich spiele dieses Spiel, völlig frustriert. Und jetzt denk nun noch einmal über deine Worte nach."

Ich verstand und nickte meinem Monitor zu während meiner Spielfigur verstarb und an einem zufälligen Ort wieder erschien. So und nicht anders war es. Quasi.

You get the idea.

Die Welt von DayZ ist oft grausam und erbarmungslos.

Survival-Spiele wie DayZ bieten das perfekte Rüstzeug, um den Frust des Tages in einer virtuellen Welt auszuleben und abzubauen. In dieser virtuellen Welt begegnete ich ständig völlig irrational handelnden Fremden, die Ausrüstungsteile zerstörten oder mich grundlos angriffen. Das Spiel wird in diesem Fall abermals nicht zum Notausgang aus dem nervigen Alltag, sondern zum Beschleunigungsstreifen der eigenen Frustration: Statt mich abzulenken oder zu beruhigen, ermutigen mich die Möglichkeiten des Open World-Spiels, meine Frustration in Extreme zu treiben, die mir zwar Befriedigung verleihen, dafür aber das Spielerlebnis für meine Mitspieler völlig zerstört.

Häufig, viel zu häufig, mutieren die Spielelandschaften so zum Sportplatz, auf dem wir hemmungslos in die Beine der Mitspieler grätschen können und dabei noch weniger Folgen befürchten müssen, als im echten Leben. Während League of Legends zumindest ein System entwickelt hat, um Querulanten durch Klagenberichte zu protokollieren und zu bestrafen, sieht die eigentliche Realität anders aus: Trotz einiger Erfolge, die Riot verbucht, bleibt die Community "toxic", verbal giftig.

Es wäre falsch, aus diesen Gedanken die Forderung nach einer virtuellen "Spiele-Polizei" zu formulieren, die direkt im Spiel, quasi als materialisierter Admin, nach dem Rechten sieht. Allerdings finde ich den Gedanken faszinierend, dass Spiele von uns noch zu weit mehr genutzt werden, als nur um dem Alltag zu entkommen. Manchmal tragen wir ganz gezielt unsere Konflikt in der Virtualität aus und spüren, dass unser Alltag immer mitspielt.

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