Wenn Grenzen überschritten werden

25.08.2016 - 18:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
"Wem würdest du deine Nummer geben?"
Rocket Beans TV
"Wem würdest du deine Nummer geben?"
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Zwei Männer laufen über die Gamescom, um Telefonnummern von Frauen zu sammeln - und plötzlich hagelt es Kritik in allen sozialen Netzwerken. Was ist passiert?

"Gibst du mir deine Nummer?" ist an sich keine besonders aufsehenerregende Frage. Sie wird täglich auf Parties, nach der Vorlesung oder auf offener Straße ausgesprochen und kann Menschen kurz- oder langfristig zusammenführen. Entscheidend aber sind Kontext und Absicht. Ziehen zwei scheinbar alkoholisierte Redakteure auf einer Fachmesse los, um möglichst viele Nummern von Frauen zu sammeln und einander ihre Männlichkeit zu beweisen, kann das zu Problemen führen. Und genau das ist am vergangenen Wochenende während der Gamescom geschehen.

Der bei Spieler_innen beliebte Twitch- und YouTube-Kanal Rocket Beans TV  veröffentlichte zum Ende der Messewoche einen Newsbeitrag mit dem bezeichnenden Titel "Nummern von Mädels auf der Gamescom Klar Machen Challenge". Darin waren zwei Mitglieder der Redaktion zu sehen, die sich gegenseitig durch Anmachversuche auszubuhlen versuchten. Was grundsätzlich als alberner Streich gelten könnte, sorgte vor allem aufgrund zweier Faktoren für Diskussionen: Erstens bedrängten und beleidigten die beiden Männer zumindest zwei der gefilmten Messebesucherinnen massiv. Und zweitens entwickelten sich Spielemessen wie die Gamescom erst in jüngster Vergangenheit langsam zu Räumen, in denen sich Frauen eben nicht bloß als Dekoration oder Freiwild, sondern als ernstzunehmende Konsumentinnen und gleichberechtigte Spielerinnen wahrgenommen fühlen dürfen.

Aktionen wie diese tragen dazu bei, dass sich weibliche Messegäste auch weiterhin nicht unbeschwert durch die Hallen bewegen und in Ruhe ihrem Hobby nachgehen können. Bereits 2013 sorgte das YouTube-Kollektiv NosTeraFuTV für Aufsehen, als es im Auftrag von GIGA Games mit einem überdimensionierten Dildo und einem Pedobear-Kostüm über die Messe zog und Frauen mit anzüglichen Witzen ansprach oder ohne ihre Einwilligung anfasste. Der Fall wurde hinlänglich diskutiert  und so ist es ernüchternd, dass er sich ganze drei Jahre später in ähnlicher Form wiederholen kann.

Ebenso irritierend ist das Unverständnis, mit dem nun viele Fans des Kanals auf die Entfernung des Videos reagieren. "Und das ganze drama weil sich so ne emanze wichtig macht", heißt es da, und dass das Vorgehen der beiden Männer ein offensichtlicher Witz sei, den satireunkundige Menschen einfach nicht verstehen würden. Dabei wird ein grundsätzliches Unverständnis über die Grenzen des Humors demonstriert, die dort enden, wo (sexuelle) Belästigung anfängt:

Und du kannst mir nicht sagen, dass Frauen nicht [sic] gut aussehen, wenn sie nicht angemacht werden wollen, und zwar richtig auf harte Art und Weise. Ich mein' so richtig belästigt. Dann würden die auch nicht gut aussehen.

Rechtfertigungen, die Opfern von Belästigung eine Mitschuld an ihren Erlebnissen zuschreiben, sind in unserer Gesellschaft extrem weit verbreitet. Ein kurzer Rock wird als Einladung, als Einverständnis absichtlich fehlgedeutet, damit man sich mit dem eigenen grenzüberschreitenden Verhalten nicht auseinandersetzen muss. Natürlich ist obige Aussage eine bewusste Übertreibung. Aber wenn dem ironischen Statement tatsächliche Belästigung folgt, erscheint es plötzlich wesentlich ernster, als es womöglich gemeint war. Dass sich die beiden Redakteure ihres Betragens sehr bewusst sind, zeigt sich in dem Video wenige Minuten vorher, als einer der Beteiligten lapidar und sichtlich entnervt einräumt, dass es sich wohl um sexuelle Belästigung handeln könnte, wenn eine Frau von zwei Männern unentwegt bedrängt wird, obwohl sie mehrfach versucht, das Gespräch zu beenden. Erst als sie mit verklemmtem Lächeln sagt, dass sie Angst hat und die beiden doch bitte Abstand halten sollen, lassen sie von ihr ab.

Satire ist "eine Kunstgattung, die [...] an Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt". Sie ist ein Mittel, um an bestehenden Machtgefällen zu rütteln und mit Humor auf Missverhältnisse hinzuweisen. Belästigt man auf einer Spielemesse Frauen, übt man keine Kritik, sondern selbst Macht über eine in dieser Szene nach wie vor unterrepräsentierte Gruppe aus. Wenn mehrere Männer mit Kamera und Mikrofon auf einzelne Frauen zusteuern, kann daraus keine normale Gesprächssituation entstehen, in der die Frage nach der Handynummer gelassen und aufrichtig beantwortet werden kann.

Wer in eine Kamera blickt und sich der Öffentlichkeit preisgegeben fühlt, verhält sich fast immer anders im Alltag und wird selbst deplatzierte und bedrängende Anmachen mit einem Lächeln abtun, um der Welt nicht für immer als verklemmt und spaßbefreit in Erinnerung zu bleiben. Dass die angesprochenen Frauen durchweg versuchten, Haltung zu bewahren, ist nicht zuletzt auf dieses wichtige Detail zurückzuführen und daher kein Beweis für die Harmlosigkeit der Aktion. Dass nicht alle Beteiligten einverstanden damit sind, derart vorgeführt zu werden, hat eine Twitch-Streamerin mehr als deutlich gemacht, nachdem sie im Vorbeigehen mit folgendem Kommentar bedacht wurde.

Ja eben. Man kann sie nicht anziehen wie... so zum Beispiel..." - "Habt ihr gesehen? Die hat aber'n Blick gehabt, du. Hasse geseh'n den Sex-Blick?" - "Die läuft mit'm Freund an der Hand durch die Gegend und checkt die Männer aus." - "Unglaublich" – 'Ja, Freund, komm' mit. Oh, guck mal, Penis!'

Trotz ihres nur kurz erkennbaren Gesichts von mehreren Fans auf das Video angesprochen, entschied sich die Spielerin, sich persönlich bei den Rocket Beans zu beschweren und stieß damit tatsächlich auf offene Ohren. Dass umgehend ein persönliches Gespräch gesucht und der Konflikt zwischen diesen beiden Parteien beigelegt  wurde, war ein guter und wichtiger Schritt. Eine öffentliche Stellungnahme, die sich insbesondere an die übrigen Betroffenen hätte richten müssen, blieb jedoch weiterhin aus – so lange, bis der Druck durch die anhaltende Kritik in allen sozialen Netzwerken zu groß wurde, um diese weiterhin zu ignorieren.

Dieser Druck ist es denn auch, über den sich zwei Redakteure, die sich zuerst äußern, massiv beschweren. "Sagt mal, habt ihr sie noch alle?", sagt einer , gefolgt von der Frage, ob es denn nichts Schlimmeres in der Welt gäbe, über das man diskutieren könne. Der andere  hält fest, dass es einem "24/7-Sender" nicht möglich sei, jeden Inhalt separat freizugeben, während sich dieses Problem bei Plattformen, die nur ab und an ihre „circlejerkende Filterbubble mit einem wahnsinnig tiefgründigen Blog-Artikel [...] beglücken", in dieser Form nicht stellte. Diese patzigen Aussagen versehen die kurz davor ausgesprochenen, aufrichtigen und einsichtigen Entschuldigungen der beiden Rocket Beans mit einem faden Beigeschmack, denn sie wirken wie Relativierungen und Zugeständnisse an eine Community, die Kritik am Video vielfach offen ablehnte.

Wenn die Redaktion tatsächlich offen angegangen und beleidigt wurde, wie es in beiden Beiträgen durchklingt, ist das natürlich inakzeptabel. Niveaulosigkeit mit Niveaulosigkeit zu vergelten, ist nie angemessen, so groß der Fehltritt auch gewesen sein mag. Kritik dagegen, mag sie auch als Twitterlawine in die Redaktionsräume hineinbrechen, muss man einfach zu ertragen in der Lage sein – gerade als professionelle Medienschaffende mit jahrelanger Erfahrung. Beleidigt in andere Richtungen auszuteilen, was man selbst nicht annehmen möchte, ist ebenso wenig konstruktiv wie das Auspacken verbaler Fackeln und Mistgabeln.

Auf meine direkte Nachfrage hin waren die beiden verantwortlichen Redakteure allerdings umgehend dazu bereit, sich direkt zu dem Vorfall zu äußern und sich bei allen Beteiligten ausdrücklich zu entschuldigen:

Wir, Gino und Florian, möchten uns hiermit für die News vom 20.08. entschuldigen, von denen sich unsere Geschäftsführung klar distanziert und wofür wir intern zurecht gerügt wurden.

Die Challenge war unangebracht, niveaulos und unwitzig. Wir möchten uns vor allem bei den Leuten entschuldigen, die sich durch die gezeigten Inhalte verletzt fühlten. Das war zu keinem Zeitpunkt unsere Absicht. Wir hätten vorher natürlich wissen müssen, wie bedenklich die Inhalte werden würden. Der Beitrag genügt nicht den Qualitätsstandards, die wir an uns selbst haben.

Wir wollten und wollen Frauen niemals herabwürdigen oder objektivieren und es tut uns sehr leid, dass wir durch diese News genau diesen Eindruck vermittelt haben.

Es war eine Kette an falschen Entscheidungen, die zu diesem Content führten. Das entschuldigt aber in keinster Weise den produzierten Inhalt! Uns fehlte in dieser Situation eindeutig das nötige Fingerspitzengefühl.

Wir werden alles dafür geben, dass so etwas nie wieder vorkommt.

Man kann nur hoffen, dass dieser der letzte Fall war, den es brauchte, um deutlich zu zeigen, dass Belästigung kein harmloser Scherz ist. Immerhin scheint diese Erkenntnis nicht nur bei den Verantwortlichen, sondern auch in den Köpfen vieler Rocket-Beans-Fans angekommen zu sein, die das Video öffentlich kritisierten . Dass solche Inhalte überhaupt für Aufruhr sorgen, anstatt einfach als szenetypisch akzeptiert zu werden, ist ein enormer Schritt nach vorne. Nun müssen wir nur noch alle ein wenig an unseren Kommunikationskompetenzen feilen.

UPDATE: 26.08 (17:10 Uhr)
Der Text wurde bezüglich einer leicht misszuverstehenden Formulierung angepasst. Die Stelle: "Der andere hält fest, dass eben andere Qualitätsstandards gelten müssten, wenn man einen "24/7"-Sender betreibe anstatt nur ab und an "seine circlejerkende Filterbubble mit einem wahnsinnig tiefgründigen Blog-Artikel zu beglücken" wurde durch "Der andere hält fest, dass es einem "24/7-Sender" nicht möglich sei, jeden Inhalt separat freizugeben, während sich dieses Problem bei Plattformen, die nur ab und an ihre „circlejerkende Filterbubble mit einem wahnsinnig tiefgründigen Blog-Artikel [...] beglücken", in dieser Form nicht stellte." ersetzt.

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