Wenn ihr 2024 nur einen deutschen Film schaut, dann diesen: Sterben ist ein Wunder

25.04.2024 - 15:30 UhrVor 8 Tagen aktualisiert
Lars Eidinger in SterbenWild Bunch / Jakub Bejnarowicz, Port au Prince, Schwarzweiss, Senator 2024
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Ab jetzt könnt ihr den 3-Stunden-Brocken Sterben im Kino schauen. Matthias Glasners neuer Film mit vielen deutschen Schauspieltalenten ist nicht nur ein tonnenschweres Drama, sondern überrascht mit derbstem Humor.

Wer sich typisch deutsche Filme vorstellt, denkt oft an prätentiös-verkünstelte Arthouse-Dramen oder Blödelhumor à la Keinohrhasen oder Fack ju Göhte. Mit Sterben von Matthias Glasner läuft jetzt ein neues Werk im Kino, der nicht nur drei Stunden lang ist, sondern genau diese beiden Genres verbindet. Herauskommt ein deutscher Film mit mehreren Schauspieltalenten in Höchstform, wie man ihn noch nie gesehen hat.

Deutsches Meisterwerk jetzt im Kino: Lasst euch von der Sterben-Handlung nicht abschrecken

In seinem Film breitet Glasner ein Familienporträt aus, das in drei Kapitel unterteilt ist. Oberhaupt Lissy (Corinna Harfouch) kümmert sich um ihren schwer dementen Ehemann Gerd (Hans-Uwe Bauer), obwohl sie selbst an Diabetes, Krebs, Nierenversagen und fortgeschrittener Blindheit (!) erkrankt ist.

Der erwachsene Sohn Tom (Lars Eidinger) ist Dirigent eines Jugendorchesters in Berlin und probt eine Symphonie namens Sterben, die sein bester Freund und schwer depressiver Künstlerkopf Bernard (Robert Gwisdek) geschrieben hat. Daneben zieht Tom das Baby seiner langjährigen Ex-Freundin Liv (Anna Bederke) groß, die den leiblichen Vater wiederum nicht leiden kann.

Das andere Sorgenkind der Familie ist Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg), die in Hamburg lebt. Sie ist eine alkoholkranke Zahnarzthelferin, die sich in eine Affäre mit ihrem Kollegen Sebastian (Ronald Zehrfeld) stürzt, der (natürlich) verheiratet ist und zwei Kinder hat.

Das alles klingt nach bleiernem, deutschen Familiendrama, das sämtliche Klischees in einen Film stopft, die einem Drehbuchautor nur einfallen können. Sterben ist aber so viel mehr.

Der bisher beste deutscher Film 2024: Sterben balanciert bewegende Tragik und Brachialhumor perfekt

Glasners Film ist nicht nur extrem persönlich und teilweise schmerzhaft autobiografisch, wenn Hans-Uwes Figur auf dem Plakat schon als "mein Vater" bezeichnet wird. Sterben ist als riesiges Porträt über eine dysfunktionale Familie aber genauso schrille Parodie wie aufrichtige Charakterstudie. Das Epos funktioniert sowohl als bizarre Gag-Parade als auch als nachdenklich stimmende Meditation über die großen Themen des Lebens, nach dem auf jeden Menschen der Tod wartet.

Lilith Stangenberg in Sterben

In manchen Szenen kommt man sich vor wie in einer Slapstick-Farce und könnte meinen, man hätte aus Versehen ein Kinoticket für Chantal im Märchenland gekauft. Doch auf jede irrwitzige Szene, und Glasners Film hat unzählige davon, folgt in Sterben ein zutiefst aufrührender Moment.

Dann begleitet die Kamera zum Beispiel das titelgebende Dahinscheiden einer Figur minutenlang in Echtzeit, was sich wenige (vor allem deutsche) Filmschaffende mit so einer Radikalität trauen.

Sterben ist ein Film, der die erzählerische Ambition eines Magnolia von Paul Thomas Anderson mit der nüchternen Unerträglichkeit von Michael Hanekes Liebe verbindet. Und dann Honig im Kopf und Voll Normaaal! darunter mischt. Der klug fragt, wie sehr sich Kunst verbiegen muss, um noch bei einem Publikum anzukommen, ohne den eigenen Wert zu verlieren. Und dann die Berliner Philharmonie vollkotzt.

Sterben läuft seit heute, dem 25. April 2024, in den detuschen Kinos.

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