Wer den Oscar gewinnen sollte und nicht gewinnen wird

27.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Oscargewinner (der Herzen): Mad Max – Fury Road
Warner
Oscargewinner (der Herzen): Mad Max – Fury Road
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Zu einer jeden Oscarverleihung gehört das masochistische Vorabrätseln über mögliche Gewinner und Verlierer. Mr. Vincent Vega blickt auf die sogenannten Hauptkategorien der Oscars 2016 – und liefert (k)eine Prognose.

Oscar-Tippspiele sind witzlos, wenn man sie ernst meint. Zum einen ist es nicht sehr interessant, sich in die Entscheidungslage einer Jury zu versetzen, die zu mehr als zwei Dritteln aus alten Männern besteht. Zum anderen dürfte es ohnehin kaum gelingen, die Oscars annähernd so ernst zu nehmen, wie es die Academy of Motion Picture Arts and Sciences und deren Vertreter selbst tun. Jährlich glauben sie mit ihrer Provinzveranstaltung ein Milliardenpublikum anzulocken (was vermutlich der hartnäckigste Oscar-Mythos  von allen ist), um im Nabelschaumodus der glamourösen Selbstbespaßung noch eine kulturelle Signifikanz zu behaupten. Tatsächlich Freude an der Oscarverleihung kann daher vielleicht nur haben, wer sich in dieser Kluft aus Selbst- und Fremdwahrnehmung einzurichten versteht. Und das heißt gerade nicht, den Preis und seine Zeremonie ironisch auf Distanz zu halten, sondern ganz in ihm aufzugehen: Mit zuverlässigem Unmut über verschmähte Favoriten, dem ausgestellten Ergriffensein ob des Ergriffenseins, notfalls auch einer so peniblen wie albernen Analyse der Kleider.

Denn Oscar-Vorbetrachtungen sind Verlierer-Prognosen, alles andere hat keinen Sinn.

Der Oscar für die Beste Musik

… geht in der Regel an Wohlklingendes, das Academy-Mitgliedern eine eingehende Beschäftigung mit Filmmusik erspart. Beliebt waren zuletzt exotisch anmutender Klimbim und sanfte Gitarren-Arpeggios, wie man sie als Hintergrundrauschen aus Massagesalons kennt (die unschlagbare Kombination von beidem brachte Gustavo Santaolalla zwei Oscars in Folge), und schlechterdings auch atmosphärische Klangteppiche ohne nennenswerte kompositorische Komplexität, etwa die elektronische Dauerbeschallung von Steven Price. Bliebe sich die Academy treu, müsste der Oscar 2016 also an Jóhann Jóhannsson und Sicario gehen, dem vermeintlich modernsten Score einer sonst überraschenderweise an Hochzeiten sinfonischer Filmmusik gemahnenden Auswahl. Das aber wird nicht passieren. Und wer sich tatsächlich die Mühe gemacht hat, alle fünf nominierten Soundtracks zu hören, dürfte es schwer haben, Ennio Morricone gegen John Williams auszuspielen – die mit wunderschönen neuen Weltraummotiven eingeläutete Rückkehr des einen ist dem unerwartet intimen Western-Comeback des anderen durchaus ebenbürtig.

Sollte gewinnen: John Williams (Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht)
Wird (leider) nicht gewinnen: Carter Burwell (Carol)

Der Oscar für den Besten Schnitt

… führt unweigerlich zur äußerst langweiligen Frage, was guter und was schlechter Filmschnitt ist (langweilig, weil sie nicht ohne einen individuellen Begriff von Kino diskutiert werden kann, aber ebendiese Begriffsklärung kaum stattfindet). Ich versuche es daher mal ohne eine Wertung:

  • Tom McArdle hält Spotlight durchweg und vor allem sehr gleichmäßig in Bewegung, und Spannung bezieht der Film tatsächlich aus der Dynamik seiner Faktenrekonstruktion
  • Stephen Mirrione muss in The Revenant - Der Rückkehrer einmal mehr Plansequenzen kreieren, die keine sind, und hat auch sonst bestimmt ordentlich zu tun gehabt …
  • der hyperaktive Schnitt von The Big Short schafft Irritationen, die dem zuschauerfreundlichen Selbstanspruch des Films, komplexe Zusammenhänge leicht verständlich aufzubereiten, doch sehr widersprechen
  • am letzten Krieg der Sterne war sicherlich vieles bemerkenswert, aber wirklich auch die Art, wie er montiert war?
  • Mad Max: Fury Road wäre nicht der beste Actionfilm seit Jahren, wenn es sich nicht auch um einen der bestgeschnittenen handeln würde (gut, das war eine Wertung)

Sollte gewinnen: Margaret Sixel (Mad Max: Fury Road)
Werden nicht gewinnen: Mary Jo Markey und Maryann Brandon (Star Wars 7)

Der Oscar für die Beste Kamera

… wird ebenfalls am 28. Februar 2016 verliehen, ansonsten siehe vorherigen Abschnitt. Wobei einige Dinge vielleicht doch nicht unerwähnt bleiben sollten. Erstens: Eine gute Kameraarbeit ist nicht automatisch eine Kameraarbeit, die ständig betonen muss, wie gut sie ist. Zweitens sind die Oscars wohl trotzdem nicht der richtige Ort, um die gemeinhin missachteten Besonderheiten schmuckloser Filmphotographie zu würdigen. Drittens: Ob Kindesentführung (Prisoners), WW2-Schrecken (Unbroken) oder der Drogenkrieg in Mexiko (Sicario) – es gibt nichts Hässliches, für das die Bilder von Roger Deakins nicht immer noch den schönsten Ausdruck finden würden. Viertens: Robert Richardson (The Hateful 8), John Seale (Mad Max: Fury Road) und wahrscheinlich auch Emmanuel Lubezki (The Revenant) wären verdiente Gewinner dieser Kategorie. Und fünftens nutzt Edward Lachman die durch verschiedene Gegenstände (Einkaufstheke, Restauranttisch, Klavierflügel) getrennten Räume in Carol, um seine beiden Protagonistinnen über Schärfeverlagerungen in Beziehung (und ein Verhältnis zum Publikum) zu setzen. Das ist, auf wunderbar schlichte Weise, meisterhaft.

Sollte gewinnen: jeder außer Roger Deakins
Wird nicht gewinnen: Roger Deakins (Sicario)

Der Oscar für das Beste Drehbuch

… ist seit 1941 in zwei Kategorien unterteilt (eine dritte, die für Autoren literarischer Filmvorlagen unabhängig von deren Mitwirkung am Film vorgesehen war, wurde 1957 abgeschafft). Unter den diesjährig nominierten Originaldrehbüchern sticht Ex Machina von Alex Garland zweifellos besonders hervor, gelingt es ihm doch spielend leicht, große Diskurse auf kleinem Raum zu verhandeln und sie mit pikanten Einfällen wie einer höchst eigenwilligen Tanzszene zu würzen. Die Nominierung für das revisionistische Script zu Straight Outta Compton hingegen wurde ausreichend kommentiert, Bridge of Spies und Spotlight sind gutes (nicht unbedingt preiswürdiges) Handwerk, und Alles steht Kopf war mir in der zweiten Hälfte etwas zu sehr auf turbulente Ereignisse ausgerichtet. Bei den adaptierten Drehbüchern wiederum konkurriert das Melodram (Brooklyn und Carol) mit dem Kammerspiel (Raum und Der Marsianer), was am Ende wohl dem fünften Rad am Wagen zugute kommen wird: Das von Subtilität befreite Erklärbär-Script zu The Big Short ist Seitenrascheln pur und damit ein ausgemachter Academy-Liebling.

Sollten gewinnen: Alex Garland (Ex Machina) / Phyllis Nagy (Carol)
Werden nicht gewinnen: Andrea Berloff und Jonathan Herman (Straight Outta Compton) / Drew Goddard (Der Marsianer)

Der Oscar für die beste Nebenrolle

... scheint auf der einen Seite bereits ausgemachte Sache und wird demnach an Sylvester Stallone gehen (bestimmt zu Recht, aber ich weiß es nicht und werde es auch nie wissen). Und auf der anderen Seite gibt es mit Alicia Vikander wohl ebenfalls eine klare Favoritin. Nominiert wurde sie freilich nicht für Ex Machina, sondern den Academy-Jerker The Danish Girl, der die lange Supporting-Actress-Tradition bedingungslos gütiger Frauen fortsetzt, die männlichen oder – hier eben – männlich geborenen Hauptfiguren tapfer zur Seite stehen müssen. Verdientere Siegerinnen wären Rooney Mara, die sich ihrer Figur in Carol ergebnisoffen (sprich: subtil, also chancenlos) annähert, und natürlich die erstmals in ihrer über 35jährigen Filmkarriere für einen Oscar nominierte Jennifer Jason Leigh, deren völlig durchgeknallte Performance nicht unwesentlich zum Vergnügen mit The Hateful 8 beiträgt. Randnotiz: Rachel McAdams macht einen guten Job in Spotlight, aber ich finde es sehr schwierig, bestimmte Rollen aus diesem Ensemblefilm (der die Summe seiner Schauspielleistungen ist) als besonders preiswürdig zu erachten.

Sollten gewinnen: irgendein Mann / Jennifer Jason Leigh (The Hateful 8)
Werden nicht gewinnen: Mark Ruffalo (Spotlight) / Rachel McAdams (Spotlight)

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