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Whiplash - Kritik

07.01.2016 - 15:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
J. K. Simmons als drillender Dirigent
2014 Sony Pictures Releasing GmbH
J. K. Simmons als drillender Dirigent
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In Damien Chazelles Musikerdrama »Whiplash« kämpft ein Schlagzeuger um Anerkennung. Der mit drei Oscars (bester Nebendarsteller, bester Schnitt, bester Ton) ausgezeichnete Film war die große Überraschung bei den Oscarverleihungen 2015

Gleich am Anfang ein Rhythmus: Die Kamera nähert sich in ausgiebiger Ruhe, durch einen dunklen Flur gleitend, einem jungen Schlagzeuger, der sein Instrument mit einem Trommelsolo malträtiert. Er hält kurz inne, schaut hoch und blickt direkt in das zerfurchte Gesicht des hochgeachteten Lehrers. »Wissen Sie wer ich bin?« Auch wenn es anscheinend die erste Begegnung ist, Andrew kennt ihn und nickt stumm. »Dann wissen Sie auch, dass ich Musiker suche. Habe ich gesagt, dass Sie aufhören sollen?« Der Junge trommelt los. »Habe ich gesagt, dass Sie spielen sollen?« Entschuldigende Verwirrung in seinem Gesicht. Durch die dirigierenden Finger des Maestros geleitet spielt er. »Schneller. Ist das alles, was Sie können? Schneller, schneller!« Der Junge blickt auf und sieht die Tür zufallen.

Diese ersten Takte von Damien Chazelles Musikerdrama »Whiplash« sind tonangebend. In den kommenden 107 Minuten werden alle romantisch-verkitschten Verklärungen des professionellen Musikertums auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Harte Arbeit und Selbstaufopferung sind der Weg zum Erfolg. Ohne Garantie allerdings. Oder, in der Anekdote des diabolischen Lehrers Terence Fletcher (J.K. Simmons): Charlie Parker ist erst zum begnadeten Bird geworden, nachdem Drummer Joe Jones ihm aus Missbilligung ein Becken an den Kopf geworfen hat, was dazu führte, dass Parker nur noch härter übte.

Andrew (Miles Teller) hat es an das elitäre Schaffer Musikkonservatorium in New York geschafft und will hoch hinaus. Erstes Ziel: Fester Bestandteil der preisgekrönten Konservatoriums-Big-Band werden. Mit harter Hand leitet Fletcher das Ensemble, jedes Vergehen, jeder Fehler wird umgehend bestraft, die Beteiligten werden aufs Gröbste erniedrigt. Wenn er den Proberaum betritt, stehen die Musiker in militärischem Drill in Reih und Glied, keiner muxt mehr. Niemand genießt eine Extrabehandlung, auch Andrew nicht, wie er gleich bei seiner ersten Probe zu spüren bekommt. Nachdem er kurz zuvor noch auf dem Flur eine nette Privatunterhaltung mit Fletcher geführt hat, wird er bei seinem ersten Proben-Einsatz regelrecht vorgeführt. Andrew hat das falsche Tempo, Flechter lässt ihn die immer selben Takte wiederholen, erniedrigt ihn als Papasöhnchen, das ohne Mami aufgewachsen ist. Informationen, die ihm der Schüler im Vertrauen mitgeteilt hatte, werden zur Waffe. Später wird der Fuchsteufelswilde noch mit Gegenständen nach Andrew schmeißen und Ohrfeigen austeilen.

Die ständigen exzessiven Soloproben von Andrew, in denen er die Felle seines Schlagzeugs mit Schweiß und Blut tränkt, sein angestrengtes, schmerzverzerrtes Gesicht, die Ausraster Fletchers und die lässig-groovige, zwischen Jazz, Swing und Funk changierende Musik – all das offenbart uns Chazelle mit einer beinahe physisch spürbaren Intensität. Und er weiß, wovon er spricht. Er hatte selbst Ambitionen, als Jazzschlagzeuger bekannt zu werden, scheiterte allerdings. Chazelle verarbeitete den Stoff bereits 2013 in dem gleichnamigen Kurzfilm, der auf dem Sundance Filmfestival mit dem Short Film Jury Award ausgezeichnet wurde, ebenfalls mit Simmons als drillendem Lehrer. In der Langfilm- Version treibt der Amerikaner die Geschichte auf die Spitze und lässt seine Protagonisten alle Extreme ihrer Passion durchleben; mit rhythmischer Präzision dreht er zur richtigen Zeit an den notwendigen dramaturgischen Schrauben. Mit Faszination und Entsetzen zugleich betrachtet man, wie Andrew, getrieben durch den permanenten Konkurrenzkampf mit seinen Nebenbuhlern nach Anerkennung strebt, wie er sich sozial abschottet und in einer Schlüsselszene im wahrsten Sinne des Wortes aufs Ganze geht. Über allem scheint die Frage zu stehen: Wie weit bist du bereit zu gehen?

Man könnte Chazelle vorwerfen, dass er einen allzu kühlen, allzu technischen Blick auf die Musik wirft und sie dadurch emotional kastriert. Nur an wenigen Stellen tritt der Spaß am Instrument in den Vordergrund, scheinen wirklich positive Vibes mitzuschwingen. Und doch reichen diese kurzen Augenblicke, um den eigentlichen Zauber, den Moment der Erlösung nach all der Arbeit zu transportieren. Diese Gradwanderung gelingt nicht zuletzt dank der grandiosen Schauspieler. Simmons mit seiner glatzköpfigen, markant physischen Präsenz, erhielt für seine Darbietung zu Recht den Golden Globe und den Oscar als bester Nebendarsteller. Sein Terence Fletcher wirkt wie ein lebender Anachronismus, ein Dinosaurier, der mit bewehrter Härte das Beste aus seinen Zöglingen herauszuholen sucht. Zugleich ist er, meist außerhalb des Proberaums, ein sympathischer musikverliebter Onkel. Auch Milles Teller spielt seinen von einer Obsession getriebenen, zu allem bereiten Jüngling mit intensiver Hingabe. Im Verlauf des Films tritt immer klarer hervor, wie ähnlich die Beiden sich doch sind. Getragen von einer natürlichen Ambivalenz, erscheinen sie als äußerst menschliche Individuen, die zur gegebenen Zeit die Zähne blecken. Am Ende steht ein furioses Finale, das nicht vorweg genommen werden soll. Nur so viel: Es ist überraschend, konsequent und an Intensität schwer zu überbieten. Und auch am Ende bebt der Rhythmus.


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