Wie Hollywood gegen homophobe Gesetze vorgeht

06.04.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Civil War: In homophoben Bundesstaten sollen keine Superheldenspektakel produziert werden.
Disney/Marvel
Civil War: In homophoben Bundesstaten sollen keine Superheldenspektakel produziert werden.
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Durch eine Reihe neuer homophober Gesetze erleidet der Kampf für sexuelle Gleichberechtigung in den USA herbe Rückschläge. Hollywood-Studios wie Disney und Marvel gehen entschlossen dagegen vor – und können erste Erfolge verzeichnen.

Es war zu erwarten, dass reaktionäre Kräfte nach der vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten beschlossenen Öffnung der Ehe alles daran setzen würden, LGBT-Menschen das Leben auch weiterhin möglichst schwer zu machen. Ein am 26.06.2015 gefälltes Grundsatzurteil, das die gleichgeschlechtliche Ehe in den gesamten USA für verfassungsgemäß erklärte, konnte Republikanern und ihren Anhängern nur sauer aufstoßen: Zumindest in jenen 13 verbliebenen Bundesstaaten, die bis dato erfolgreich gegen eine Gleichberechtigung sich liebender Menschen vorgingen, war man es schließlich noch gewohnt, dass Heterosexuelle zu entscheiden hatten, was für Nicht-Heterosexuelle gut ist. Wenn man sie nun zwingt, homosexuelle Eheschließungen nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu garantieren, müssen also offenbar andere Pläne her, um die Mehrheit vor den Auswüchsen der Minderheit zu schützen. Zum Beispiel mit der Begründung, dass ein Schutz von LGBT-Menschen gegen die Religionsfreiheit verstoße!

Dieses abenteuerliche Argument zieht sich tatsächlich wie ein roter Faden durch Gesetze und Gesetzesentwürfe zahlreicher US-Bundesstaaten, die sich jetzt um das vermeintliche Wohlergehen der Mehrheitsgesellschaft sorgen. In Georgia beschlossen beide Kammern des Parlaments vergangenen März das Gesetz HB 757, welches es Glaubensgemeinschaften gestatten sollte, gleichgeschlechtliche Ehen nicht schließen zu müssen. Gemeinnützige Organisationen hätten außerdem das Recht zugesprochen bekommen, homosexuelle Menschen von ihren ehrenamtlichen Leistungen (etwa Kleider- und Lebensmittelspenden oder Obdachlosenhilfe) auszuschließen, wenn es gegen deren "religiöse Gefühle" verstoße. Das Gesetz sah also vor, Kirchen und aus Steuergeldern finanzierten Einrichtungen die Diskriminierung von unerwünschten Minderheiten ausdrücklich zu erlauben – ein Backlash demokratischer Errungenschaften, der nur noch darauf wartete, vom republikanischen Gouverneur Nathan Deal abgesegnet zu werden.

Rückzugsdrohungen: Keine Selbstverständlichkeit

Dass es dazu nicht kam, hatte vor allem mit dem unerwarteten landesweiten Protest großer Unternehmen gegen das Gesetz zu tun. Zwar versicherte Nathan Deal, sein überraschend eingelegtes Veto sei keine Reaktion auf die angedrohten Konsequenzen. Doch konnte man das leicht als die Rechtfertigungsversuche eines gekränkten Politiker-Egos durchschauen. Zahlreiche Firmen wie Dell oder Microsoft, aber auch Stimmen der Profiliga im American Football kündigten nämlich Boykotte gegen Georgia an, wäre das Gesetz verabschiedet worden. Besonders deutlich positionierte sich die Unterhaltungsbranche: Der Medienkonzern Viacom, zu dem unter anderem MTV und Paramount gehören, schloss sich ebenso wie Time Warner, Netflix und AMC den vorangegangenen Aufrufen von Disney und Marvel an, die Produktionen bei Inkrafttreten des Gesetzes aus dem für Filmstudios so lukrativen Bundesstaat abzuziehen drohten. Aufgrund großzügiger Steuerzuschriften drehte Disney dort The First Avenger: Civil War und arbeitet in den Pinewood Atlanta Studios derzeit an Guardians of the Galaxy Vol. 2.

Diese Boykottaufrufe mag man nachvollziehbar finden in einer Industrie, die ihrerseits strukturelle Probleme mit Homo- und Transphopbie oder der angemessenen Repräsentation von Minderheiten hat (#OscarsSoWhite), sonst aber viel Wert auf ein liberales Image legt. Die meisten Film- und Fernsehschaffenden der USA verorten sich im Lager der Demokraten, und gegenüber anderen Branchen gehören überdurchschnittlich viele LGBT-Menschen zu ihnen. Doch selbstverständlich ist der breite Widerstand deshalb nicht: Wenn Hollywood milliardenschwere Deals mit Ländern wie China schließt, wissen deren noch wesentlich drastischere Menschenrechtsverletzungen gemeinsame Geschäfte bislang nicht zu vereiteln. Die sich daraus ergebenden Widersprüche finden im Kampf gegen homophobe US-Gesetze ein Echo: Zu den Unternehmen, die wegen eines ähnlichen Gesetzes derzeit in North Carolina Sturm laufen, zählt auch die US-Filmproduktionsgesellschaft Miramax, deren neuer Besitzer Nasser Al-Khelaifi zugleich ein Ministeramt in Katar bekleidet, wo Homosexualität unter Strafe steht.

"Religiöse Gefühle": North Carolina ain't Georgia

In North Carolina gilt die Schlacht allerdings schon als geschlagen. Der republikanische Gouverneur Pat McCrory konnte es dort kaum erwarten, ein Gesetz namens HB 2 zu unterzeichnen, das den Diskriminierungsschutz von schwullesbischen und transidentischen Personen aushebt (oder wie es Queer  formuliert: das "jeglichen Antidiskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verbietet"). Der Bundesstaat ist damit nicht nur zu einem unsicheren Ort für LGBT-Menschen geworden, sondern gibt sie mehr oder weniger gezielt zum Abschuss frei. In einem offenen Brief fordern Unternehmer wie Tim Cook (Apple) oder Mark Zuckerberg (Facebook) und Filmemacher wie Adam Shankman oder Rob Reiner den Gouverneur auf, das Gesetz zu widerrufen. Aber North Carolina ist nicht Georgia: Weder wird dort eine solche Hitserie wie The Walking Dead produziert noch das neue Filmstudio von Tyler Perry eröffnet. Fraglich also, ob die Drohungen einer weit entfernten Unterhaltungsindustrie Pat McCrory zum Umdenken bewegen können.

Sollte Hollywood auch gegen vergleichbare Regelungen anderer US-Bundesstaaten mit weiteren Boykottaufrufen vorgehen wollen, wird es künftig viel zu tun haben, um Erfolgsgeschichten der etwas anderen Art zu schreiben. Nachdem letztes Jahr zwei bereits unterzeichnete religious freedom laws in Arkansas und Indiana aufgrund heftiger Widerstände überarbeitet und doch noch mit einem Diskriminierungsschutz für sexuelle Minderheiten versehen wurden (zu den prominenten Gegenstimmen zählten damals George Takei und Cher), wartet laut Deadline  ein ähnliches Gesetz im als "Hollywood South" bekannten Louisiana darauf, widerrufen zu werden. Zu verhindern gilt es nun einerseits homophobe Regelungen in Missouri  und Kentucky , die es Geschäftsleuten neuerdings gestatten, LGBT-Menschen auszuschließen, weil schon deren schiere Existenz ihre "religiösen Gefühle" verletze (Mittelalter lässt grüßen). Und andererseits ein als bislang drastischste Aushebelung  von Antidiskriminierungsrichtlinien geltendes Gesetz in Mississippi, das nur noch vom republikanischen Gouverneur Phil Bryant unterzeichnet werden muss.

Nachtrag: Phil Bryant hat das Gesetz jetzt unterschrieben .

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