Wie Let's Player Spiele verändern

01.05.2015 - 16:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Goat Simulator
Coffee Stain Studios
Goat Simulator
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Spiele wie Minecraft sind ideal für Let's Player, weil sie maximale Freiheit erlauben und keinerlei spielerische Leitlinien vorgeben. Mit Titeln wie dem Goat Simulator scheint es inzwischen, als würden Spiele speziell für dieses Klientel gemacht.

Gronkh hat auf YouTube über dreieinhalb Millionen Follower. Diese stolze Zahl hat er nicht zuletzt Minecraft  zu verdanken – zahllose Zuschauer gewann er über das Spiel, in dem es eigentlich um nichts anderes geht, als eine zufallsgenerierte Welt nach eigenem Willen zu formen. Marcus „Notch“ Perssons Indie-Spiel rund um einen blockigen Protagonisten in einer ebenso blockigen Welt ist für Let's Player wie Gronkh wie gemacht, denn es erlaubt ein Höchstmaß an Freiheit. Spieler sind an keine bestimmte Geschichte gebunden, sie haben keinen irgendwie gearteten Leitlinien zu folgen, müssen keine Quests erledigen, sie können einfach tun, wonach ihnen gerade ist. In freien und grenzenlosen Welten wie jenen von Minecraft werden Let’s Player zu dem, was sie wirklich sein wollen – Alleinunterhaltern. Sie bauen sich ein Haus, heben Gruben aus, werfen ihre blockigen Schweine hinein und schütten schließlich ein noch größeres Haus auf. All das lässt sich hervorragend launig kommentieren, mit Alltagssprüchen, ein paar Witzchen und Pennäler-Humor.

Let's-Play-Konzepte funktionieren nicht mit allen Spielen gleich gut. Telltale-Abenteuer etwa nehmen ihre Konsumenten an die Hand und führen durch eine vorgefertigte Geschichte. Sie erzeugen die Illusion einer Welt, in die der Spieler hineingeworfen wird und auf die er nur bedingt Einfluss hat. Tatsächlich ist der Protagonist in solchen Abenteuern nur bedingt ein Entscheidungsträger, viel mehr entwickelt sich die Welt um ihn herum und er muss auf das reagieren, womit er da konfrontiert wird. Gerade berühmte Let's Player experimentieren inzwischen zwar durchaus auch mit solchen Titeln, im Grunde sind sie für das Format aber denkbar ungeeignet. Sie verkommen darin zu einem Reagierenden – im Gegensatz zum Agierenden, der er in typischen Sandbox-Titeln wie Minecraft ist. Dort nämlich bestimmen sie alles, was in der Spielwelt geschieht – von gelegentlichen unvorhergesehenen Zusammenstößen mit Creepern mal abgesehen.

Minecraft ist bei weitem nicht das einzige Spiel seiner Art. Inzwischen hat sich ein ganzes Genre entwickelt, das perfekt auf die Bedürfnisse von Let's Playern zugeschnitten ist. Terraria  etwa übersetzt das Minecraft-Prinzip auf eine zweidimensionale Ebene, Starbound  wiederum hievt Terraria in den Weltraum. Selbst renommierte Indie-Titel wie Don't Starve  setzen auf ähnliche Crafting-Systeme, wenngleich die Prämisse – in diesem Fall das schwierige Überleben in einer lebensfeindlichen Umgebung – weitaus drastischer ausfällt.

Ich kann nicht wissen, ob es wirklich das erklärte Ziel der Entwickler ist, Let's Player anzusprechen und ihre Spiele so populär zu machen – Tatsache ist allerdings, dass YouTuber und Blogger gerade im Computer- und Videospielbereich eine entscheidende Rolle in den PR-Strategien von Entwicklern und Publishern eingenommen haben. Herkömmliche PR schreibt Redaktionen an, verschickt Review-Codes, lädt zu Events ein und hofft dann auf gute Tests. Wer ein Spiel entwickelt, das Let's Player potenziell gut finden könnten, ist davon nur noch bedingt abhängig. Längst stecken Jugendzeitschriften wie die Bravo in der Krise. Ihre Zielgruppe ist nicht mehr die gleiche wie noch vor 20 Jahren. Auch Jugendliche sind via Smartphone permanent mit dem Internet verbunden und können ungefiltert dessen Inhalte konsumieren. Der Neuntklässler von heute steht auf die Videos von Sarazar. Die sind im Gegensatz zur in die Jahre gekommenen Bravo obendrein umsonst. Mit einer Fotolovestory könnte er wohl kaum noch etwas anfangen.

Neben durchaus komplexen Spielen erschienen in jüngster Vergangenheit auch Titel wie der Goat Simulator : ein Spiel über eine Ziege mit einer klebrigen Zunge, die sich an sämtlichen Gegenständen in der frei begehbaren Welt anheften kann. Es ist möglich, die Ziege durch Fenster zu katapultieren, Autounfälle zu verursachen, mit ihrer Flatulenz Menschen in Brand zu stecken, an entzündeten Gastanks durch die Gegend zu fliegen und nicht zuletzt Fahrrad zu fahren. Und natürlich: zu meckern wie eine Ziege.

Der Goat Simulator gehört zu jenen Spielen, die beim Spielen selbst teils weniger Spaß machen als beim Zuschauen. Perfektes Material also für Let's Player, besser noch als Minecraft. Denn der Goat Simulator verlangt noch nicht einmal, dass der Spieler besondere Anstrengungen unternimmt, um Blödsinn zu produzieren, er fördert ihn von selbst. Er fordert ihn. Nicht, dass das an sich problematisch wäre – Blödsinn kann schön sein und eine Ziege mit herausgezogener Zunge durch ein Fenster splittern zu sehen hat wohl durchaus seinen Reiz. Zudem zwingt mich niemand, dieses Spiel selbst zu konsumieren, ich bin frei darin, Let's Playern zuzuschauen, denn die beherrschen es ohnehin viel besser als ich.

Mit der Ziege verhält es sich nicht viel anders als mit der Scheibe Weißbrot aus I Am Bread . Die wird zu Beginn des Spiels von ihrem Weißbrot-Laib abgeschnitten und hüpft ab dann ungelenk durch eine 3D-Jump'n'Run-Spielwelt, kippt vorn über, fällt auf einen Toaster, springt frisch gebräunt weiter und klatscht schließlich auf den Boden wie ein nasser Lappen. Nach dem Goat Simulator ist I am Bread das nächste Downgrade in der Riege der Let's-Play-Spiele. Hier gewinnt der Ausdruck "Dumm wie Brot" eine ganz neue Bedeutung, denn schließlich ist nur Brot noch dümmer als eine Ziege. I am Bread ist für die Spiele-Industrie etwa das, was Sharknado - Genug gesagt! für die Filme ist: Trash eben. Absichtlich produziert als eben solcher, mit einer spezifischen PR-Strategie im Hinterkopf. Nicht, dass ich Sharknado nicht gern gesehen hätte. Nahezu begeistert bin ich gar, dass im neuesten Teil sogar David Hasselhoff mitspielen soll.

Die inzwischen äußerst heterogene Videospieler-Community diskutiert darüber, ob Spiele nicht Kunst sein könnten und führt dazu Beispiele an wie Proteus oder Limbo. Wieder andere etablieren sich gar als politische Medien, wie in Cart Life  oder Papers, Please . Während manche nachdenklich stimmende Geschichten erzählen wie The Last of Us  oder Bastion  oder Life is Strange , fliegen anderswo Ziegen durch Fenster und getoastete Brotscheiben auf den Boden. Zur Freude nicht nur jener, die diese Ereignisse im Spiel auslösen, sondern erst recht für alle, für die Millionen, die bei YouTube zuschauen.

Vielleicht ist all das aber ein gesundes Zeichen für die Auffächerung der Szene, so es selbige denn in homogener Form jemals gab. Let’s Player könnten auf diese Weise vielleicht sogar für noch mehr Vielfalt sorgen. Gerade weil zu erwarten ist, dass in Zukunft noch mehr Entwickler und Publisher darauf setzen, ihre Spiele über Let’s Plays zu vermarkten, könnte es künftig noch mehr Spiele vom Schlage eines Minecraft geben. Indie-Hits, die ihren Spielern endlose Freiheiten einräumen und sie dazu animieren, kreativ zu werden, ihre eigenen Geschichten zu schreiben und nicht nur einer vorgegebenen Handlung zu folgen. Das wäre doch toll.

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