Wie mir League of Legends gegen meine Depression half

16.09.2015 - 14:45 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Mit schonungsloser Härte traf mich eines Tages erneut ein Ausläufer meiner Depressionen. Ich suchte vergeblich nach einem Ausweg — bis ich unerwartete Hilfe bekam.

Depressionen haben viel mit den Bossgegnern in Videospielen gemein, die sich nicht töten, sondern nur vorübergehend stoppen lassen: Egal, wie oft ich dem unsterblichen Necromorph aus Dead Space die Gliedmaßen abspaltete, er kam früher oder später immer wieder zurück, um mich erneut in die Verzweiflung zu treiben. Ganz gleich, ob wir nun der Spieler im Kampf gegen diesen nervtötenden Widersacher sind oder als Betroffener einer depressiven Phase in die Augen blicken: Wir beide müssen früher oder später eine Überlebensstrategie finden, um nicht völlig am Boden zerstört zurückzubleiben.

Der Kampf gegen den Necromorph ist eine echte Herausforderung.


Vor einigen Tagen befand ich mich in einer solchen Situation: Während ich den Necromorph schon vor Jahren in die unendlichen Weiten des Alls hinausgetrieben hatte, sah ich mich nun ein weiteres Mal am Rande einer Depression stehen: Antriebs- und Hoffnungslosigkeit paarten sich zunehmend mit selbstzerstörerischem Pessimismus und Schlafstörungen — und ich begann, mir fieberhaft Strategien und Auswege zurechtzulegen, um für den Moment gewappnet zu sein, wenn die Depression mit voller Wucht auf mich prallen sollte.

Die erste Wahl fiel, wie so oft in der Vergangenheit, auf Videospiele und die vielen Möglichkeiten zur Flucht vor der Realität, die mir diese ermöglichen wollen. Auf meinem Wohnzimmertisch lag Metal Gear Solid V, mein erstes Metal Gear-Spiel überhaupt — genügend frische, unbekannte Eindrücke, um mich von meiner Depression abzulenken. Snake, Big Boss, eine mir noch gänzlich unbekannte Videospielwelt: Das war mein selbsterwählter Notausgang.

Schließlich erreichte mich die Depression mit all ihrer Kraft. Es war ein kleiner Sieg, aus der einsetzenden Paralyse auszubrechen und die Disc in die Konsole einzulegen. Ich war bereit, durch eine der vielen Türen in die Welt von Kojima und seinem meisterlichen Superagenten zu treten und die depressive Phase im virtuellen Afghanistan in irgendeinem Erdloch auszusitzen.

Doch mein Plan ging nicht auf.

Uff — auf den ersten Blick überforderte mich Metal Gear enorm.


Ich hatte mich verschätzt: Die Welt von Metal Gear Solid war exotisch, verrückt und spannend, doch ich konnte mich den vielen Eindrücken nicht mehr öffnen. Gelangweilt und von meiner Niederlage frustriert, beendete ich das Spiel nach wenigen Stunden und versank im Strudel meiner Ratlosigkeit. Als Übersprungshandlung, fast nebenbei, öffnete ich den Client von League of Legends und begann, ein paar Runden zu spielen. Es war fast ein Automatismus, den ich seit 2009 trainiert hatte, um Zeit totzuschlagen — und nach der zweiten, dritten, vierten Runde spürte ich eine allmähliche Besserung. Meine Laune stieg und langsam schaffte ich es, immer weiter aus dem tiefen Loch zu klettern, in dem ich mich mittlerweile seit über zwei Tagen befunden hatte.

Aber Moment mal: League of Legends ist für seine junge, temperamentvolle, sexistische, rassistische und unfaire Community bekannt, die es ihren Mitspielern regelmäßig so schwer wie möglich macht — warum hat ausgerechnet dieses Spiel mir nun dabei geholfen, aus dem Teufelskreis meiner Depression auszubrechen? Darüber machte ich mir lange Gedanken — und bin nun auf eine Antwort gekommen.

Der spielerische Rahmen ändert sich nicht

Abwechslungsreichtum, Innovation, ständige Überraschungen und der regelmäßige Griff nach den spielmechanischen Sternen: Unsere Ansprüche an die Entwickler sind riesig, wenn es um unser Lieblingshobby geht. Diese Regeln gelten allerdings nicht für den eSport, zu dessen Spitze sich in den letzten Jahren League of Legends aufgeschwungen hat. Hier ist es wichtig, ähnlich wie bei traditionellen Sportarten, die Regeln möglichst gleich zu halten, um einen Rahmen zu schaffen, in dem die Leistungen der Athleten miteinander verglichen werden können. League ist hier keine Ausnahme und genau dieser Umstand stellte sich als wahrer Segen für mich heraus, als ich mit der exotischen Unbestimmtheit eines Metal Gear Solids nichts anfangen konnte.

Auch nach großen, einschneidenden Patches bleiben die Regeln des Spiels gleich.


Das mir seit Jahren bekannte Schema bot mir Sicherheit, einen Spielplatz, auf dem ich mich in jeder Ecke gut auskenne. Ich musste keine kostbare Energie darauf verwenden, eine umfassende Mythologie zu verstehen oder mich in bestehende, virtuelle Gesellschaften einzuarbeiten. League of Legends forderte von mir nicht mehr, als auf PLAY zu klicken und mich dann mit anderen Spielern zu messen: Und wie es sich herausstellen sollte, half mir der offene Wettbewerb dabei, mich aus meiner Niedergeschlagenheit herauszuspielen — auch, weil ich jederzeit Rückmeldungen zu meiner Leistung erhielt.

Ich erhalte sofort Feedback über Erfolg oder Misserfolg

Gegenüber dem echten Leben bieten die meisten Videospiele einen unschätzbaren Vorteil, den ich mehr und mehr zu schätzen lerne: Sie reagieren unmittelbar auf meine Handlung und geben mir Feedback. Mein Misserfolg mündet im Game Over-Screen und letzten Checkpoint, mein Erfolg wird mit einer seltenen Waffe oder Erfahrungspunkten belohnt — oder im Fall von League of Legends mit einer Punktzahl, die mich ähnlich wie in der Bundesliga Ränge auf- oder absteigen lässt.

Das Spiel kommuniziert mir deutlich, wenn ich etwas besonders gut gemacht habe.


Mich ganz auf dieses System des direkten Feedbacks einzulassen, gab mir das Gefühl, reagieren zu können, nicht machtlos zu sein. Passieren mir Fehler, erkenne ich meist unmittelbar, worauf ich beim nächsten Mal achten muss. Gelingt mir hingegen ein besonders spektakulärer Angriff, so werde ich mit Gratulationen meiner Mitspieler und kleinen Vorteilen in der laufenden Partie belohnt. Es ist das Urprinzip von Zuckerbrot und Peitsche, das besonders in den Situationen des Lebens eine echte Wohltat ist, in denen der sonstige, reelle Alltag in einer grauen, undurchsichtigen und überfordernden Masse verschwimmt. Und das Beste: Ich war mit meiner Freude nie alleine.

Die Community ist mehr als nur Flame und Trollerei

Der Spott und Hohn gegenüber der MOBA-Community ist mehr, als nur ein Running Gag: Berüchtigt sind die vielen Extremausfälle der Mitspieler, die mit rassistischen oder sexistischen Beleidigungen um sich werfen, sobald euch ein Fehler passiert — oder ihnen auch nur nicht das Kostüm gefällt, das ihr für euren Champion gewählt habt.

Doch es ist wichtig, die Realität nicht zu verzerren: Es gibt viele Spieler, die freundlich und offen auf Fehler reagieren  und motivieren, statt zu demoralisieren. Laut den Statistiken des Entwicklerteams von Riot sind diese guten Schäfchen gegenüber den reißenden Wölfen zahlentechnisch sogar weit überlegen — und so ist auch meine Erfahrung im Spiel. Von Capslocks begleitete Beleidigungen sind Ausnahmefälle, die zwar nicht selten, aber doch nur vereinzelt geschehen. Stattdessen schenkt mir jede Partie ein Teamgefühl und das Wissen, mit vier anderen Mitspielern ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Und wenn doch tatsächlich einmal die Wut der anderen Überhand nimmt, so ist die Stummschalten-Funktion nur einen Klick weit entfernt.

Ein Kampf, der nicht unüberwindbar ist.


Ein vertrauter Spielplatz, ein überschaubares System, das mich Erfolge und Misserfolge sofort erkennen lässt sowie das starke Gruppengefühl: All diese Faktoren vereint League of Legends auf seinem Spielplatz und half mir, zumindest dieses eine Mal der Depression zu entkommen. Es ist zwar nur ein aufgeschobener Kampf, ganz ähnlich dem unsterblichen Necromorph — doch mindert dieses Wissen um eine gute Strategie meine Angst vor diesem furchtbaren Gegner, dessen Angriff zwar unvermeidbar, aber sicherlich nicht unüberwindbar ist.

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