Wir schauen Fargo - 2. Staffel, 4. Folge

05.11.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Jeffrey Donovan in Fargo
FX
Jeffrey Donovan in Fargo
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Der Krieg steht bevor in der 2. Staffel von Fargo und wenn der so aussieht wie Fear and Trembling, dann kann ich ihn kaum erwarten.

Sollen wir Peggy (Kirsten Dunst) hassen? Sie lügt, sie stiehlt, sie manipuliert, sie, nun ja, hamstert, und dann wäre da noch die kleine Sache mit der Fahrerflucht, der wir 77 Prozent des Plots der 2. Staffel von Fargo verdanken. In Fear and Trembling (S02E04) wirft Lou Solverson (Patrick Wilson) dem Ehepaar Blomquist einen Rettungsring zu. Doch als Ed (Jesse Plemons) zugreifen und die Wahrheit über den Unfall gestehen will, übertönt Peggy ihren Mann, wie sie es immer tut. Sie hängt an ihrem ganz persönlichen Xanadu. Sie zehrt von der Idee, tief in ihr drinnen warte ein besseres Ich mit einem befriedigenderen Leben darauf, hervorgeholt zu werden. Da können noch so viele Gangster durch ihre Windschutzscheibe fliegen oder furchterregende Warnungen ausgesprochen werden. Die Ironie an der Geschichte bleibt, dass Peggys verborgenes Potenzial gerade im Begriff zu sein scheint, sich zu entfalten. Ganz ohne Seminar. Alles, was es brauchte, war eine Leiche im Keller. Was ihren Tod in der nächsten Folge nicht ausschließt ...

You talked and I also talked
Ich kann Peggy nicht hassen. Das ist Kirsten Dunst zu verdanken, die ihre frustrierte Frisörin ebenso gut als amüsante Karikatur hätte anlegen können. Stattdessen spielt Dunst Peggy als Ertrinkende. Ihr steht der Alltag bis zum Hals und das wohl schon seit einer Weile. An ihrer Misere trägt sie eine beträchtliche Mitschuld, wie wir in der Szene mit Ed vor dem Spiegel sehen können. Beide reden über und aneinander vorbei, er von Kindern und seinem Fleischerladen, sie von ihrem Seminar, um zu komplett unterschiedlichen Schlussfolgerungen zu gelangen. Peggy hat sich jenem Selbstbild verschrieben, das sie wiederholt im Spiegel zu bestätigen sucht. Indessen können wir Hanzees (Zahn McClarnon) Eintritt in ihre Welt nur begrüßen. Es verstört doch einigermaßen, wie schnell das junge Ehepaar nach der Beseitigung der Leiche in seinen Trott zurückkehrt. Und was wurde eigentlich aus dem Gerhardt-Mett? Verköstigen sich die Bewohner von Luverne nun unwissentlich am Sohnemann eines Gangstersyndikats?

Unter anderem Beckett (Waiting for Dutch), Kafka (Before The Law), Camus (The Myth of Sisyphus), Ionescu (Rhinoceros) und Picasso (Did You Do This? No, You Did It!) bieten sich als Referenzen der Episodentitel dieser 2. Staffel von Fargo an. Liebe MeWi- und Philosophie-Professoren da draußen, freut euch also auf eine Flut an Haus- und Bachelorarbeiten über das Absurde in zeitgenössischen amerikanischen Serien. Fear and Trembling reiht sich da mit seinem Verweis auf Søren Kierkegaards gleichnamiges Werk (zu Deutsch: Furcht und Zittern, 1843) ein. Ob es nun eine prätentiöse Geste ist, die Episoden einer Krimiserie nach solchen berühmten Werken zu benennen, steht zur Debatte. Im Gegensatz zum dänischen Philosophen scheint Noah Hawley jedenfalls in Fargo wenig an der Religiosität des Menschen zu hängen. Dafür können wir abgesehen von den UFO-Erscheinungen (I want to believe!?) den ein oder anderen Ersatz ausmachen. Bei Kierkegaard spielt der Glaube an Gott eine zentrale Rolle in der Bewältigung der absurden Existenz, also der Tatsache, dass diese nicht durchgängig mit Sinn erfüllt werden kann. In Fargos 2. Staffel finden wir mindestens eine Figur, deren unverbrüchlicher Glaube jeden absurden Lebenszickzack glätten könnte: Peggy. Ihr Gott: me.

Provokation in der Friedenszeit
Fear and Trembling gehört zu den aufreibendsten Episoden der Serie, obwohl sich die Gewalt in Grenzen hält. Gleich bei mehreren Szenen krallen sich die Zuschauerfinger regelrecht ins Sessellehnenmark. Die Verhandlung zwischen Gerhardt-Oberhaupt Floyd (Jean Smart) und Joe Bulo (Brad Garrett aus Alle lieben Raymond) aus Kansas City bringt endlich die beiden großen Parteien an einen Tisch, die Luverne zu zerquetschen drohen. Dabei erfährt Floyd ihren ganz eigenen Moment der Furcht und des Zitterns. Denn Bulo berührt einen wunden Punkt: Würde sie für das Familienunternehmen auch über die Leiche ihres ältesten Sohnes Dodd (Jeffrey Donovan) gehen? So wie es der von Kierkegaard exemplarisch angeführte Stammvater Abraham auf Gottes Befehl hin beinahe getan hätte? Was das "Familie" im Familiengeschäft Gerhardt bedeutet, zeigen uns die spiegelbaren Szenen des Episoden-Auftakts: der junge Dodd, von seinem Vater Otto (Michael Hogan + Makeup) im Kino als Mörder instrumentalisiert, und sein späterer Neffe Charlie (Allan Dobrescu), der beim Frühstück rivalisierende Gangster vermöbeln soll. Mit dieser "History of Violence" im Rücken wirkt Jean Smarts Auftritt am Verhandlungstisch umso großartiger: Floyd schließt von ihren mütterlichen Erfahrungen (Totgeburten, Fehlgeburten, ein im Koreakrieg verlorener Sohn) auf ihre unbeugsame Haltung als Oberhaupt der Familie, statt den Tough Guy-Talk der Männer zu imitieren. Nichtsdestotrotz lässt sich in Smarts Gesicht der gesäte Zweifel über ihren Sohn Dodd ablesen. Denn was die Gerhardts auf dem Papier von dem Gangsterkonzern in Kansas unterscheidet, ist der Glaube an die Familie. Welche Opfer würde Floyd bringen, um diesem Glauben nachzukommen?

Vielleicht unterliegt Floyd nur einer fatalen Illusion. Sie mag ihre Familie bis aufs Blut verteidigen, ihre Enkelin aber liegt im Bett des Feindes und der Sohn trachtet nach der Führung des Syndikats. Glaube und Selbsttäuschung lassen sich in dieser durch die Bank mit fantastischen Szenen ausgestatteten Episode von Fargo schwer trennen. Allen voran bei Betsys neuer Krebstherapie mit ihrer 50-50-Chance eines Placebos oder eines Medikaments, das nach einem Fantasieschloss benannt wurde. Wenn in Fear and Trembling ein Moment negativ auffällt, dann jedoch die grausame Xanadu-Szene mit dem völlig unsensiblen Arzt. Hier scheint das Drehbuch einem sadistischen Spiel mit dem Zuschauer(wissen) verfallen zu sein. Lou jedenfalls will fest an Kublai Khans sagenumwobenen Sommersitz Xanadu als Rettung seiner Frau glauben. Nachdem er die Blomquists mit der Erzählung über den "bereits toten" Soldaten über ihre eigene Illusion aufgeklärt hat, mag er selbst die Hoffnung nicht aufgeben. Von allen Luftschlössern in dieser Episode ist Lous das Schönste.

Zitat der Folge/Serie/Staffel/Woche/Jahres: "It's War."

Anmerkungen am Rande:

  • Da das Lifespring-Seminar ausgerechnet in Sioux Falls (sozusagen der geografische Treffpunkt zwischen Fargo und Kansas City ) veranstaltet wird, hoffe ich, Kirsten Dunst bleibt uns länger erhalten.
  • Wer eine Schnitzeljagd durchs Coen- und Fargo-Universum liebt, sollte beim Fargo-Subreddit  vorbeischauen, wo ihr solche Schmankerl  finden könnt.
  • Kickstarter für eine Sitcom mit Nick Offermans Karl und Daniel Beirnes Sonny! Arbeitstitel: Garage. Wo ist das NBC der 80er , wenn man es braucht?
  • Sonny Greer hieß auch ein Schlagzeuger, der auf dem Album Duke Ellington at Fargo, 1940 Live zu hören ist.
  • Wenn ich in dieser Episode eines gelernt habe, dann dass ich es nicht ertragen würde, würde Nick Offerman in Fargo auch nur eines seiner prächtigen Haare gekrümmt.
  • Das Fantasy-Musical Xanadu lief 1980 an und floppte. Berühmter ist Coleridges Gedicht , das durch einen Opium-Traum inspiriert wurde und später Charles Foster Kanes Villa in Citizen Kane als Titelgeber diente.
  • Lous Vietnam-Anekdote dreht sich um den Tod, Hanzees um das Töten.
  • Hanzee und die verlorenen Stunden im Schnee: Hä?
  • Und überhaupt: Hanzee!
  • Vier Folgen drin und ich liebe diese Staffel.


Alle Recaps zur 2. Staffel von Fargo:

Fargo Recap - Waiting for Dutch (S02E01)
Fargo Recap - Before The Law (S02E02)
Fargo Recap - The Myth of Sisyphus (S02E03)

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