Wir schauen Hannibal - Staffel 3, Folge 5

04.07.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Contorno
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Nach all der kunstvollen Gourmet-Gewalt ist es in Hannibal endlich mal Zeit für die gute alte Faust im Gesicht. Contorno ist eine erstaunlich direkte Episode, die Hannibal - die Serie und die Figur - wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Im Laufe dieser Staffel und den zwei vorangegangenen hat Hannibal zu drastischen Dingen gegriffen, um uns in diese obskure Welt einzuführen, in der mittlerweile nichts mehr überraschend sein dürfte. Wir haben Leute gesehen, die ihr Gesicht an Hunde verfüttern, wir haben welche gesehen, die genüsslich Teile ihres eigenen Körpers verspeisen. Wir haben gesehen, dass ein Sozialarbeiter in ein Pferd eingenäht wurde und wir haben gesehen, wie ein Wendigo beim Gruppensex mit Kannibalen und Psychotherapeutinnen teilgenommen hat. Bryan Fuller hat wirklich alles getan, damit die Zuschauer sich von jeglicher Form ihrer eigenen, persönlichen Realität lösen, wenn sie eine neue Episode von Hannibal schauen. Da können andere Sachen schonmal in Vergessenheit geraten, zum Beispiel, dass Dr. Hannibal Lecter ein Mensch ist.

Contorno zeigt, wie so gut wie alle anderen Folgen auch, dass Hannibal (Mads Mikkelsen) der Teufel ist. Aber sie zeigt noch viel mehr (ganz im Gegensatz zum Anthony Hopkins-Hannibal), dass er ein Teufel, gefangen in dem Körper eines Menschen ist. Und Menschen stoßen einfach an ihre Grenzen. Zwar hat er schon vorher hier und da eingesteckt, dennoch wurde ihm meistens ein gewisser Grad an Übernatürlichkeit zugesprochen - Hannibal ist jedem zu jeder Zeit drei Schritte voraus, und wenn er verletzt wird, dann wollte er das auch so. Ein Kredo, das selten in Frage gestellt und noch viel seltener gebrochen wurde. Doch nun ist plötzlich Jack (Laurence Fishburne) in Florenz angekommen und will verdammt nochmal jemandem auf die Fresse hauen. 30 Episoden lang musste er sich gefallen lassen, wie Hannibal seinen FBI-Mann und Freund geistig zu Grund richtet und aus ihm einen Serienkiller machen möchte, wie er Abigail, Beverly und zahlreiche andere Unschuldige umbringt und sich dann noch erdreistet, eine Kondolenz-Notiz zu Bellas Tod zu versenden. Nun kann er all diese Gefühle in Taten umsetzen. Hannibal überlebt diese unvergleichliche Rage nur durch Glück und muss wie ein geschlagener Hund davonlaufen. Ein überraschendes Ende für eine überraschende Episode, die nach dem Aperitivo vergangene Woche wie erwartet den Hauptgang einläutet.

Überraschend ist vielleicht vor allem, dass sich diese Staffel entgegen den Erwartungen, die die ersten drei Folgen erzeugt haben, doch noch vergleichsweise plotlastig entwickelt. Die kompromisslos bizarre Horrorromanze bekommt eine ganze Ladung Katz-und-Maus-Thriller hinzugefügt: Hannibals Feinde kündigen sich allmählich von allen Teilen der Welt an. Alana (Caroline Dhavernas) und Mason (Joe Anderson) setzen in den USA ein Kopfgeld aus und recherchieren fleißig, um herauszufinden, dass Hannibal in Florenz ist. Will (Hugh Dancy) und Chiyo (Tao Okamoto) sitzen im Zug auf dem Weg dorthin, und Jack ist ganz offensichtlich schon da. Die Luft wird dünn für Hannibal, hoffnungslos ist Lage jedoch noch lange nicht.

Es hat sich also herausgestellt, dass Chiyo und Will gar nicht mal so ein gutes Team sind. "There are means of influence other than violence. But violence is what you understand", sagt sie ihm und schmeißt ihn vom Zug. Mit Hinblick auf Wills mentalen Zustand hätte diese Szene genauso gut ein Hirngespinst sein können. Doch dafür hat Chiyo Will zu gut verstanden. Diese Frau hat den Großteil ihres Lebens in Einsamkeit verbracht, um nicht morden und damit auf die selbe Stufe wie Hannibal steigen zu müssen, und sitzt auf einmal mit Will Graham in einem Zug, einem psychisch stark labilen Wahnsinnigen, der sich nach nichts so sehr sehnt, wie Hannibal zu töten. Außerdem hat Will genau das gegenteilige Problem: "If you don't kill him, you're afraid you are going to become him", stellt Chiyo richtig fest. Sie will nicht wie Hannibal werden, indem sie ihn tötet, und er will nicht wie Hannibal werden, indem er es nicht tut. Dass vom Zug stoßen ihr da als einziger Ausweg erscheint, kann Chiyo wohl kaum verübelt werden. Doch der Hirsch gewordene Geist Hannibals, seine Anziehungskraft und Faszination helfen Will wieder auf die Beine und treiben ihn in die Dunkelheit.

Alana und Mason scheinen momentan hingegen ein besseres Team zu sein, auch wenn sie sein ekelhaftes Auftreten (Staffel 3-Oralverkehrwitz-Counter: 2) wohl kaum sehr viel länger ertragen wird. Zumal ihre neue, eiskalte Racheengel-Fassade allmählich zu bröckeln beginnt: "Hannibal is going to kill him, you know?" Ihre Frage an Mason und die Tatsache, dass sie Rinaldo Pazzi (Fortunato Cerlino) später anruft, um ihn offenbar vor der Begegnung mit Hannibal zu warnen, lässt eine empathische, besorgte Seite in ihr aufblitzen, die sie nach ihrer Defenestration scheinbar abgelegt hatte. Vielleicht hat sie sich letzten Endes doch gar nicht so sehr verändert. In Momenten wie diesen scheint sie wie die alte Alana, ein guter Mensch, der das Böse um sich herum braucht, um sich vollständig zu fühlen.

Unterm Strich ist Inspektor Pazzi der Einzige, der im Rennen um Hannibal verloren hat. Das liegt nahe, weil er die Jagd aus niederen Beweggründen angetreten hat, des Geldes wegen. Dafür kann es von Hannibal kein Verständnis geben, ganz im Gegensatz zu all den anderen, die ihn umbringen wollen. Sie wollen Rache, Vergeltung, Liebe. Aufrichtige, reine Emotionen treiben sie quer über den Globus, motiviert von Lust, Faszination, Angst und dem Begehren nach Befriedigung. Wem würde das nicht schmeicheln?

"You caught me at a rather awkward moment."

Notizen am Rande:

- Die Stahlmaske, die Pazzi Hannibal präsentiert, ist ganz offensichtlich ein Wink auf die legendäre Maske, die Hannibal in den Spielfilmen in Gefangenschaft getragen hat.

- Als Chiyo davon sprach, das manche Schnecken eine Verdauung überleben, meinte sie das ganz genau so, wie sie es gesagt hat. Manche Schnecken werden gefressen und lebendig wieder ausgeschieden .

- Es ist unglaublich, dass es die "spitters are quitters"-Zeile von Mason ins amerikanische Fernsehen geschafft hat. Das sagt auch Bryan Fuller und freut sich scheinbar mächtig  darüber, dass sie drin bleiben durfte.

- Es gibt keinen Grund, sich Musik von Rihanna anzuhören. Außer, wenn im zugehörigen Video  Mads Mikkelsen und Blut schon wieder in Verbindung gebracht werden.

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