Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 1 & 2

07.10.2014 - 09:09 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
The Drone Queen
Showtime
The Drone Queen
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Homeland ist zurück und steht vor der Herausforderung, dem im vergangenen Staffelfinale versprochenen Neustart Rechnung zu tragen. Sofern wir ein neues Homeland überhaupt sehen wollen.

Bleibt Homeland ein One-Season-Wonder? Ob diese Frage die Showrunner Alex Gansa und Howard Gordon nach etlichen Flaschen Weißwein unter ihrer Schlafmaske herumtreibt, wissen wir nicht. Mit der frisch gestarteten 4. Staffel scheint die Serie, zumindest den ersten Kritiken nach zu urteilen, eine Art Bewährungsstrafe zu verbüßen. Zaghaftes Vertrauen wird ihr entgegengebracht, weil sie sich im kontroversen Finale von Staffel 3 (endlich) ihrer zweiten Hauptfigur entledigt hat. Gleichzeitig bleibt die Furcht vor erneuten Verfehlungen. Mochten wir nicht auch den Beginn der 2. Staffel? Und den der 3. Staffel? Letztendlich ist es aber völlig egal, was die Kritiker zu sagen haben. Solang Homeland die Showtime-Abonnenten bei Laune hält, kann Carries Unterlippe sich ins Nirwana zittern. Die Frage ist nur, ob die Kreativen der Serie darüber hinaus Ambitionen zeigen, den Reboot in ein Reimagining zu verwandeln, oder wir es doch nur mit einem Remake zu tun haben; um mal Marketing-Sprech zu bedienen. Willkommen also zurück zu den vorsichtig optimistischen Homeland-Recaps bei moviepilot!

Homeland - S04E01 (The Drone Queen) & S04E02 (Trylon & Perisphere)

Die Brodys haben sich verabschiedet. Fast. Denn Carries rothaariges Töchterchen wird daheim von der Schwester gepflegt, während Mutti in Kabul über Leben und Tod entscheidet. Tatsächlich schildern die ersten beiden Episoden der neuen Homeland-Staffel, wie Carrie alles tut, um bloß nicht mit diesem Baby im Arm auf der Couch zu sitzen. Mit der Ausrede wichtiger Einsätze hat sie sich von der Türkei ins kinderunfreundliche Afghanistan versetzen lassen. Wegen der Bombardierung ("technisch gesehen kein Drohnenangriff", da mit einer F-15 ausgeführt) eines Farmhauses muss sie jedoch zurück in die Staaten. Das Haus im Norden Pakistans hatte nicht nur einen Terroristen beherbergt, sondern auch eine 40-köpfige Hochzeitsgesellschaft. Als die Identität des einzelgängerischen Station Chiefs auffliegt und ein Video der Tragödie ins Netz gelangt, steht die CIA vor einer (weiteren) Krise. Carrie muss zusehen, wie ihr Kollege von einem wütenden Mob getötet wird, weil eine Homeland-Staffel ohne animalischen Mob offenbar keine Homeland-Staffel mehr ist.

Das verblüffende an dieser Entwicklung in den ersten beiden Folgen ist nicht so sehr, dass es offenbar möglich ist, Corey Stoll zu casten und nichts, aber wirklich gar nichts mit seinen Talenten anzufangen. Nein, schockierender bleibt, dass Carrie hier eine sehr plastische Darstellung ihrer Zukunft präsentiert bekommt. Sie gab den Befehl, das Haus zu bombardieren und doch lässt sie sich in der zweiten Episode von CIA-Direktor Lockhart über den Umweg der Erpressung zum Station Chief von Islamabad ernennen. Was kann einem Menschen mehr Angst machen als Mord auf offener Straße? Im Fall von Carrie sind es zwei blaue Augen und ein Schopf roter Haare.

Obwohl The Drone Queen also das spannendere Agententreiben beinhaltet, findet sich eine der markerschütterndsten Szenen der ganzen Serie daheim. Dieses Daheim muss Homeland nämlich neu definieren. In den ersten Staffeln hatte die Serie Zerstörung und Rekonstruktion und Zerstörung des Brody-Heims verfolgt. Homeland, nur zur Erinnerung, war schließlich mal eine Serie über Paranoia und Überwachungswahn, die den Krieg gegen den Terror in vier nichtsahnende Wände transferierte. Dieses Heim verlor die Serie zuletzt aus dem Blick, was manche Dana-Hasser begrüßten und andere mit der Obama-Ära begründeten. Carrie, die so gut wie jeden Lebensraum in ein Büro verwandelt, bot für die Fokussierung auf ein neues Home in Homeland keinen Anlass. 

Die Waschszene in Trylon & Perisphere gibt nun keinen Anlass zur Angst, dass wir die nächsten zehn Folgen zusehen, wie Carrie ihr Baby ums Brody-Haus kutschiert ("I was arrested on that lawn." #rofl #GoodMemories). Vielmehr ringt Autor Chip Johannessen ihren bekannten Extremen eine nicht notwendigerweise logische, aber stimmige Reaktion ab: Mit diesem kleinen Bündel Mensch kann sie nichts anfangen, schlimmer noch entdeckt sie, dass sie eine Gefahr für das Baby sein könnte. Seien wir ehrlich: Carrie reist nicht aus Nächstenliebe nach Islamabad. Altruistische Motive sind dieser obsessiven Agentin kaum anzumerken, die neben dem Baby am Frühstückstisch sitzt wie ein Fremdkörper (nicht andersherum), die sich im Streit mit ihrer absolut nachvollziehbar aufgebrachten Schwester sturr gibt, als wolle sie auf eine Party und müsse noch ihr Zimmer aufräumen. 

Dann sitzt sie vor der Wanne und für eine Sekunde scheinen alle Probleme gelöst. Das mag unmenschlich und bösartig wirken und viele schockieren. Überstürzte, potenziell destruktive Seiten unserer Antiheldin hat die Charakterzeichnung jedoch schon vorher hervorgehoben und damit meine ich weniger Kellerspaziergänge, denn einen ganz ähnlichen Moment in der zweiten Staffel, in der eine Kurzschlussreaktion beinahe zu ihrem Suizid führte. Nun droht sich die Verantwortung(slosigkeit) für ihr eigenes Wohl auf ihren Familienkreis auszuweiten. Carrie reagiert mit der Flucht in Lebensgefahr, wobei Egoismus und eine abstrakte Sorge um das Wohl des Kindes gleichermaßen ihre Motivation zu sein scheinen. Wir dürfen also gespannt sein, inwiefern Homeland Carries Drängen auf ihr altes Leben nachgibt. Oder ob sie die in der popkulturellen Darstellung so gewohnten, als selbstverständlich angenommenen Muttergefühle entwickelt und im Serienfinale einen Sixpack Vitaminwasser in den Einkaufswagen hievt1.

Während Saul ("You still got the beard.") bei seiner Sicherheitsfirma auf die ausgetretenen Pfade früherer Eheprobleme zuschlittert, bauen die Autoren Quinn als mögliches Gewissen der Serie auf. Die PTSD-Karte spielt Carrie, um ihn aus dem Knast zu holen. Das Trauma jedoch scheint sehr real, wenn er ein paar unsympathische Bros vermöbelt und später den für einen Killer im Staatsdienst kaum beruhigenden Satz "No one ever fought for me before" an seiner Tür findet. 

Den Reboot-Charakter von Homeland Staffel 4 kehren allerdings weniger Sauls neue, alte Probleme, noch Quinns bekannte Gewissensbisse hervor. Wirklich ungewohnt für die Serie ist die Perspektive Aayans (Suraj Sharma aus Life of Pi), der seine Mutter und Schwester im Bombardement verliert; ein "Geist" ohne Heim. Bisher wurden die Folgen des Kreislaufs der Gewalt, den Homeland seit dem Drohnenangriff auf Abu Nazirs Haus verfolgt, stets aus Sicht amerikanischer Zeugen geschildert. Mit Aayans wütendem Unverständnis, das er gen Himmel richtet, eröffnet Homeland einen vielversprechenden neuen Erzählstrang, der den vielen gesichtslosen Mobs dieser Serie vielleicht etwas entgegenzusetzen hat. 

Etwas mehr Rubicon oder John le Carré, etwas weniger 24 - das wünsche ich mir nach Ansicht der ersten beiden Folgen von der kommenden Staffel Homeland. Trylon & Perisphere, der sperrige Titel der zweiten Episode, erinnert mehr an Smiley als Bauer. Die beiden Monumente, ein spitz zulaufender Turm und eine riesige Kugel, wurden für die Weltausstellung 1939/1940 in New York erstellt. "The World of Tomorrow" sollte bei dem Event gezeigt werden, das auch einen Blick auf GMs Futurama  zuließ. In der Perisphere konnten die Besucher das Diorama Democracity  bestaunen und Videos mit wohlhabenden, glücklichen Vorstadt-Amerikanern der Zukunft sehen. Lange standen Trylon & Perisphere nicht. Turm und Kugel wurden abgerissen, ihr Stahl für die Rüstung im Zweiten Weltkrieg  eingeschmolzen.

TIL: "It's not even a real country, it's a fucking acronym." Lockhart verweist hier auf die Kreation des Ländernamens Pakistan, als es das Land noch gar nicht gab. In der sogenannten Pakistan Declaration von 1933  wurde der Begriff (ohne i) erstmals verwendet und setzt sich zusammen aus fünf Provinzen, deren Unabhängigkeit von muslimischen Nationalisten gefordert wurde: Punjab, die afghanische Provinz im Nordwesten, Kashmir, Sind und Baluchistan. Der Staat Pakistan wurde schließlich am 14. August 1947 gegründet.

Zitat der Folgen: "I'm fine. I'm fine."

1 Arbeitstitel: "Redhead and Mom" oder "CIA Mom" oder "MCIA". Demnächst im Abendprogramm von CBS.

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