Wollen wir Second Screen im Kino um jeden Preis?

19.10.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Wollen wir Second Screen im Kino um jeden Preis?
Disney/moviepilot
Wollen wir Second Screen im Kino um jeden Preis?
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Eltern und Kinokultur haben allen Grund zur Sorge: Disney will den Second Screen im Kino salonfähig zu machen. Besonders Kinder sollen lernen, mit iPads im Dunkel der Kinosaals zu daddeln. Mit Nintendo macht sich bereits der erste Nachahmer bereit.

Wer während einer Kinovorstellung SMS schreibt, soll die volle Härte des Kinostrafgesetzes treffen – unter moviepiloten auch Kinoknigge bekannt. Madonna kann darüber ein Liedchen trällern, bekam sie schließlich Hausverbot von einer amerikanischen Kinokette erteilt, weil sie während einer Filmpremiere unaufhörlich SMS schrieb. Doch bald könnten solche Tage der Vergangenheit angehören, als Leute des Kinohauses verwiesen wurde, weil sie die Heiligkeit des Kinosaals missachteten. Denn wenn es nach Disney ginge, könnten bald Trailer wie dieser das Publikum dazu auffordern, elektronische Geräte mit in die Kinovorstellung zu nehmen.

Ein Aufreger der Woche über den drohenden Verfall einer ohnehin gefährdeten Kinokultur und einer pädagogisch fragwürdigen Markterprobung. Dass Disneys Second Screen Versuche in der Medienbranche auf fruchtbaren Boden stoßen, beweist der Videospielgigant Nintendo. Die Schöpfer von Kultfiguren wie Super Mario und Donkey Kong weigerten sich nach dem Filmdebakel mit Super Mario Bros. konsequent, ihre Videospiele weiter verfilmen zu lassen. Doch nun bröckelt der Widerstand angesichts von Disney Pionierarbeit. Plötzlich könnten sich die Herren in Nintendos Chefetage doch eine Verfilmung ihres vielleicht wertvollsten und bekanntesten Franchises vorstellen: Zelda. Aber nur mit interaktiver 3DS-Second Screen Unterstützung versteht sich.

Kindergeburtstag im Kino
Disney erprobt die Möglichkeiten des Second Screens – die Benutzung eines zweiten Bildschirms wie Smartphone oder Tablet-Computer parallel zum laufenden Fernsehprogramm – bereits seit längerer Zeit. Der Mäusekonzern nennt das eigene Konzept Second Screen Live, das bereits erfolgreich in den heimischen Wohnzimmern seine Anwendung findet. Dabei werden zu Disney Filmen über spezielle Apps Zusatzinhalte und Funktionen auf Smartphones, iPads oder Tablet-PCs aktiviert. Auf diese Weise werden Karaokeeinlagen mit- oder interaktive Spiele gegeneinander ebenso möglich wie alternative Storywendungen. Blu-Ray Filme mit Second Screen Live Unterstützung sind beispielsweise Bambi, Tron Legacy, Der König der Löwen oder Fluch der Karibik.

Im Kino begann die Erprobung im Herbst 2012, als Nightmare Before Christmas limitiert in die Kinos kam und die Zuschauer angehalten wurden, ihre iPads mit in die Kinos zu nehmen. Im September diesen Jahres erfolgte der zweite Feldversuch, als Arielle, die Meerjungfrau mit Second Screen Erweiterung ebenfalls limitiert in die amerikanischen Kinos gebracht wurde. Ein spezieller Second Screen Trailer sollte dabei dem Publikum die neue Kinoerfahrung schmackhaft machen, erzeugte aber mehrheitlich nur das ungute Gefühl, uneingeladen einem Kindergeburtstag beizuwohnen. Seit gestern erfolgt nun die dritte Erprobungsstufe, wieder mit Nightmare Before Christmas anlässlich seines 20. Jahrestags, diesmal im etwas größeren Maßstab als noch im Jahr zuvor. Auch hier veröffentlichte Disney einen Trailer, der Cineasten das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es spricht übrigens für sich, dass Disney bei beiden Second Screen Trailern jeweils die Kommentarfunktion deaktivierte.

Richtig und falsch
Der Gedanke, einem fünfjährigen Kind beim Kinobesuch ein iPad in die Hand zu drücken und es zusätzlich noch zu ermutigen, während der Vorstellung damit herumzuspielen, sollte sich selbst für einen Marketingtypen bei Disney einfach nur falsch anfühlen. Nennt mich altmodisch, nennt mich konservativ, nennt mich spießig, aber in meinen Augen sollte das einzige, was Kinder im Kino in den Händen halten sollten, eine Tüte Popcorn sein.

In vielen Familien gehört es zum Alltag, dass Kinder mehr Filme und Serien über Tablet-Computer konsumieren als ihre Eltern. Wissenschaftler streiten sich nach wie vor darüber, ob und wie sich Tablet-Computer (und Smartphones) auf die Entwicklung von Kindern auswirken. Einerseits sollen Kinder, die früh mit iPads in Kontakt kommen, eine Lernsteigerung um 27% aufweisen. Andererseits wird behauptet, dass Kinder, die Geschichten elektronisch und nicht über eine soziale Komponente aufnehmen (etwa das Erzählen), sichtlich mehr Mühe hätten, virtuelle Welten von der eigenen Wirklichkeit zu unterscheiden. Man weiß also, dass man noch so gut wie nichts weiß. Das iPad wird seit drei Jahren verkauft, wissenschaftliche Arbeiten brauchen jedoch häufig bis zu fünf Jahren, um die Wirkung von Medien auf die Entwicklung von Kindern fundiert untersuchen zu können. (via)

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